Nachdem Angela Merkel am Dienstagnachmittag im Kurpark in Cuxhaven ihren dritten Wahlkampfauftritt noch vor friedlichen Parteianhängern absolviert hatte, schlägt der Kanzlerin am Abend am Bremer Markt ein rauer Wind entgegen. Aus den hinteren Reihen ertönen lautstarke Pfiffe linker Splittergruppen, Protestplakate werden in die Höhe gereckt. Damit bekommt die CDU-Vorsitzende gleich an den ersten beiden Tagen ihres Wahlkampfmarathons einen Eindruck, was ihr mit mehr als 60 Veranstaltungen bis zur Bundestagswahl am 24. September noch bevorsteht.
Bereits am Montag hatte sich ein Protesttrupp der rechtspopulistischen AfD im hessischen Gelnhausen beim ersten Auftritt medienwirksam die Seele aus dem Leib gebrüllt. Die Sicherheitsvorkehrungen sind entsprechend gross.
Merkels Reden kreisen um Haltungsfragen
Dabei liefert Merkel eigentlich ein verbales Deeskalationsprogramm. «Wir wollen Ihnen ein Angebot machen», ruft die CDU-Chefin den Zuhörern im Stile einer politischen Verkäuferin zu. «Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben müssen und wollen. Jeder ist anders», fügt sie hinzu. «Die CDU ist immer die Partei von Mass und Mitte.» Auch die Flüchtlingskrise, die das Land polarisiert hat, taucht nur noch im Dank für die Helfer auf und in Merkels Zusage, dass sich ein Jahr wie 2015 nicht wiederholen soll.
Selbst wenn sie einzelne Wahlversprechen wie die Nachmittagsbetreuung für Grundschüler, Steuersenkungen vor allem für kleine und mittlere Einkommen oder ein Baukindergeld erwähnt - eigentlich kreisen Merkels Reden eher um Haltungsfragen. Damit versucht sie, sich ihre Umfragenstärke zunutze zu machen und ihren Vertrauensvorschuss auszubauen.
Auch in der heissen Phase will Merkel offenbar den Eindruck vermeiden, dass nur die Union die Weisheit mit Löffeln gefressen habe. «Keine Partei kann versprechen, dass sie alles richtig macht», sagt die CDU-Vorsitzende. «Aber wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir Schritt für Schritt Probleme lösen», fügt sie hinzu. Das kommt der alten «Sie kennen mich»-Haltung schon nahe, die im Wahlkampf 2017 genauso wie 2013 ziehen soll.
Welt im Umbruch
In jeder Rede betont Merkel, dass es den meisten Deutschen zwar gut gehe. «Aber jeder spürt, die Welt ist im Umbruch.» Angesichts der grundlegenden technologischen und aussenpolitischen Veränderungen sollen die Wähler auf Altbewährtes setzen - und der Kanzlerin ihre Stimme geben. Nach zwölf Jahren Amtszeit und drei erfolgreichen Wahlkämpfen klingt Vieles bei den Auftritten nach Versatzstücken aus alten Reden. So unterstreicht Merkel wie bereits 2013 ihr Credo, im Interesse künftiger Generationen keine neuen Schulden zu machen und keine Steuern zu erhöhen.
Neu ist dagegen das stärkere Bekenntnis zu Europa, für das die Kanzlerin besonders viel Beifall erhält. Konkret wird sie bei diesem Thema allerdings nicht. In Bremen sorgt zunächst für Gelächter, dass die Moderatorin mit einem schwarzen, Merkel mit einem roten und die Bremer CDU-Landesvorsitzende Elisabeth Motschmann mit einem gelben Blazer auf der Bühne ungewollt die Deutschland-Farben zusammenbringen. Doch die Kanzlerin unterstreicht rasch: «Seit vielen Jahren haben wir erstmals wieder ein Plakat im Bundestags-Wahlkampf, dass sich mit Europa beschäftigt.»
So etwas wie Kampfesstimmung
Auffallend ist, dass Merkel zumindest ihre ersten Wahlkampfreden stärker variiert als früher - als ob sie noch experimentierte. In Cuxhaven etwa serviert sie den Zuhörern, darunter viele Urlauber, eher eine sehr allgemeine Auflistung der Themen, die wichtig werden. Unter anderem hebt sie die Bedeutung einer stärkeren Förderung ländlicher Gebiete hervor. In der Großstadt Bremen dagegen geht sie viel länger auf Fragen der inneren Sicherheit und auf das Problem der Wohnungseinbrüche ein.
Nachdem Merkel in Gelnhausen die AfD-Störer noch völlig ignoriert hatte und die Lautstärke ihrer Rede einfach hochgedreht wurde, nimmt sie sich in Bremen die linken Zwischenrufer vor. «So hat jeder seine Schwerpunkte: Manche haben sich vorgenommen, dass sie einfach vier Jahre lang nur schreien», spottet sie. Ihre Anhänger jubeln. Zum ersten Mal kommt so etwas wie Kampfesstimmung auf.
(reuters/ccr)