Zehn echte Wahlkampf-Auftritte hat die CDU-Chefin Angela Merkel in der ersten Woche des «heissen» Wahlkampfes absolviert. Und vor den noch mehr als 50 ausstehenden Auftritten zeichnen sich klare Muster ab, mit welchen Strategien die Kanzlerin in der direkten Ansprache an potenzielle Wähler ein Votum für eine vierte Amtszeit erhalten will: Besonders auffallend ist dabei der betonte Anti-Kampf-Stil der Amtsinhaberin.
«Wenn Sie es ermöglichen können - beide Stimmen für die CDU», sagte sie am Freitagabend etwa bei einem Auftritt am Steinhuder Meer in Niedersachsen in der denkbar zurückhaltendsten Form der Wählerwerbung.
Die Anti-Polarisiererin
In ihrer zwölfjährigen Amtszeit wurde der Kanzlerin oft ein präsidialer Stil vorgeworfen, bei dem sie versuche, sich über das Parteien-Geplänkel zu stellen und mit Entscheidungen lange zu warten. Im Wahlkampf vermischt sie nun die Betonung grosser, überparteilicher Linien mit dem dezenten Werben für ihre Partei. «Wir haben Ihnen ein Angebot gemacht», beschreibt sie das Wahlprogramm der Union im Stil einer Produktmanagerin, die Kunden die Auswahl überlässt.
Und sie schraubt die Erwartungen der Wähler demonstrativ herunter. Sie sollten einfach überlegen: «Welcher Partei vertraue ich am meisten, dass sie zumindest einen Teil meiner Wünsche erfüllt», sagt Merkel. Damit unterstreicht die CDU-Chefin die Fehlbarkeit ihrer Partei. Das scheint dem Applaus nach zu urteilen gut anzukommen. Die politischen Gegner erwähnt Merkel ohnehin nur selten. Im Vertrauen auf den Amtsbonus wählt sie die Anti-Polarisierung - zumal bei einem Sieg sowohl SPD, Grüne als auch FDP als mögliche Koalitionspartner infrage kämen.
Haltung statt konkrete Inhalte
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat Merkel immer wieder vorgeworfen, sie drücke sich um klare Aussagen. Tatsächlich beschreibt die CDU-Chefin in ihren rund halbstündigen Reden vor allem Haltungsfragen - etwa mit einem klaren Bekenntnis zu Europa, Polizisten und Unternehmen.
Wie sie etwa die Euro-Zone reformieren oder die EU zusammenhalten will, erwähnt sie aber nicht. Stattdessen verweist Merkel in Bremen oder Cuxhaven auf das Wahlprogramm, in dem sich Wähler ja die Kapital anschauen könnten, die sie interessierten. Als am Freitag ein Zwischenruf «Komm zum Thema» ertönt, antwortet Merkel deshalb ruhig: «Nach meiner Meinung bin ich beim Thema.» Sie will lieber vage darüber reden, dass die CDU keine Vorgaben machen wolle, wie Menschen oder Familien lebten und sich organisierten, dass es aber Aufgabe des Staates sei, verschiedene Optionen zu ermöglichen.
Auch in der Steuer- und Finanzpolitik bleibt sie eher bei Grundlinien: keine neuen Schulden, keine Steuererhöhungen, Entlastungen gerade für kleine und mittlere Einkommen. Wie das genau funktionieren soll, sagt Merkel nicht. Immerhin erwähnt sie das versprochene Baukindergeld und die Erhöhung des Kinderfreibetrages, was allerdings kaum zur Unterscheidung von politischen Konkurrenten dient, die Ähnliches versprechen.
Differenzierung nach Auftrittsorten
Stärker als früher differenziert Merkel Teile ihrer Rede in Abhängigkeit vom Ort der Auftritte. Dahinter steckt die Überlegung, dass es kaum noch möglich ist, ein gemeinsames Angebot für alle Wähler zu machen. Dafür sind Lebenswelten und Realitäten in Deutschland zu verschieden.
In der Grossstadt Bremen etwa betont sie die innere Sicherheit, redet wesentlich länger über Wohnungseinbrüche und die Notwendigkeit, mehr und schneller Wohnungen zu bauen. In Niedersachsen mit seinen grossen ländlichen Gebieten spricht Merkel dagegen über Landwirtschaft und die Probleme des ländlichen Raums, weil sich Menschen wegen der sinkenden Bevölkerungszahlen Sorgen um die Gesundheitsversorgung, den öffentlichen Nahverkehr, das Einkaufen oder Breitbandanbindungen machten. Im sächsischen Annaberg geht sie gezielt und ausführlich auf das Flüchtlingsthema ein, weil dies dort die Menschen besonders erregt und der AfD hohe Stimmenzuwächse beschert hat.
«Sie kennen mich»-Basis
Sehr oft belässt es Merkel aber auch bei der Beschreibung von Problemen und Aufgaben. Der Hintergedanke: Dies lenkt die Gedanken fast automatisch zur Frage, wem man eine Lösung am ehesten zutraut.
In keinem der zehn Auftritte hat sie dies so deutlich gemacht wie am Steinhuder Meer: «Ich würde auch gerne um das Vertrauen bitte, damit ich weiter vier Jahre für Sie als Bundeskanzlerin arbeiten kann. Ein bisschen Erfahrung hab ich jetzt schon», sagt sie und erntet Gelächter. «Aber wir sind an einer Schwelle, wo es auch um viel Neues geht. Wo ich denke, dass ich diese Erfahrung recht gut einbringen könnte und gleichzeitig noch neugierig genug bin, um offen für das Neue zu sein.»
Das bestätigt zwar die Kritik von SPD und Opposition an mangelnder Konkretheit. Aber es soll bewusst auf ihren Umfragewerte und einer «Sie kennen mich»-Basis aufbauen.
Der Protest als Mobilisierung
Auffallend ist die Änderung im Umgang mit Störern, vor allem mit denen von der AfD. Beim ersten Auftritt im hessischen Gelnhausen hatte Merkel die laute Pfeif- und Brüll-Begleitung in ihrer Rede noch völlig ignoriert. Aber seit den Auftritten in Bremen und Annaberg tut sie dies nicht mehr. Denn Merkel hat gemerkt, dass die lautstarken männlichen Störtrupps nur so lange eine einschüchternde Wirkung haben, solange sie sich nicht spöttisch mit ihnen auseinandersetzt.
Eine gelassene Bemerkung über den Lärm scheint dagegen eine eher mobilisierende Wirkung auf die eigenen Anhänger zu haben. «Manche wollen zuhören. Manche können nur schreien. Das unterscheidet uns», rief sie deshalb in Annaberg und erntete stürmischen Applaus. Am Tag danach löste Merkel mit einer ähnlichen Bemerkung begeistertes Gejohle und erstmals rhythmisches Klatschen ihrer Anhänger aus.
(reuters/ccr)