Eigentlich hätte sich Judith Voney als Rechtsanwältin gesehen. Während ihres Rechtsstudiums an der Universität Bern bereitete sie sich denn auch auf das Examen als Fürsprecherin vor, wie die bernischen Rechtsanwälte heissen, und nicht auf das Lizenziat oder die Notariatsprüfung. Dennoch war sie nie in einer Anwaltskanzlei tätig. Gleich nach dem Abschluss des Studiums 1993 kam sie zur Kriminalpolizei des Kantons Bern, als Kommissärin, wie das damals hiess, und Leiterin der Spezialfahndung 2. In ihre Verantwortung gehören die Drogen- und organisierte Kriminalität, die Wirtschaftskriminalität und die Vermögensdelikte. Seit 1998 ist sie zudem stellvertretende Leiterin der Kriminalpolizei.

Das war so nicht vorgesehen. Denn nach dem Studium hatte Judith Voney mehrere Bewerbungen abgeschickt, darunter eine als Mitarbeiterin des Rechtsdienstes der Kantonspolizei Bern. Schwer vorstellbar, dass sie da lange geblieben wäre. «Ich fühle mich wohler in der Linie als in einem Stab. Nicht nur brauche ich den Kontakt mit anderen Menschen, ich schätze es auch, wenn ich mit meiner Arbeit etwas bewirken kann.» Der Hinweis beim Bewerbungsgespräch um die Stelle im Rechtsdienst, warum sie sich nicht als Polizeioffizierin der Kripo und also um eine Linienfunktion beworben habe, war durchaus willkommen. Sie hatte die Stellenausschreibung gar nicht gesehen, meldete sich jedoch umgehend und wurde engagiert.

Ähnlichkeiten von Judith Voney mit Kommissar Derrick wären rein zufällig. Zwar kommt sie bei Stellvertretungen oder im Pikettdienst gelegentlich mit spektakulären Fällen in Kontakt – kürzlich war es ein Mordfall, und 1999 leitete sie die Belange der Gerichtspolizei nach dem Canyoning-Unglück im Berner Oberland –, ihr Arbeitsplatz ist jedoch weit häufiger ihr Büro am Nordring 30 in Bern oder Sitzungszimmer der Gremien, in denen sie die Kantonspolizei Bern vertritt. Immerhin war sie im Frühjahr 2000 während elf Wochen an der FBI National Academy in Quantico, Virginia – als erste Schweizer Frau übrigens.

Am 1. Februar wird Judith Voney Leiterin der Meldestelle für Geldwäscherei im Bundesamt für Polizei. Kein leichtes Amt. Alle vier Mitarbeiter samt dem Leiter Daniel Thelesklaf haben ihre Posten verlassen. Dafür darf sie jetzt ein neues Team aufbauen, das auf sechs Personen aufgestockt wird. Keine Angst vor der politischen Brisanz des Amtes? «Nein», sagt Judith Voney. «Ich weiss zwar, dass ich mehr in der Öffentlichkeit stehen werde als bisher. Ich suche das nicht, aber ich habe keine Angst davor. Ich verfüge über ein gesundes Selbstvertrauen.» Auch mit dem Wechsel von der Fahndung in eine Stelle, die lediglich Verdachtsmomente der Finanzinstitutionen entgegennimmt und nach eingehender Prüfung an die Justiz weiterleitet, hat sie kein Problem. «Es mag sich merkwürdig anhören, aber ich will einfach einen Dienst an der Gesellschaft leisten und Freude an meiner Arbeit haben.»

Nicht geplante Karriere
Offizierin der Kantonspolizei – heute sind die militärischen Ränge abgeschafft – wurde Judith Voney durch Zufall; sie hatte die Stellenausschreibung gar nicht gesehen. Als Leiterin der Meldestelle für Geldwäscherei hat sie sich nicht beworben, sie wurde berufen. Keine geplante Karriere also und doch erstaunlich. Welchen Stärken verdankt sie ihre steile Laufbahn?

Gesundes Selbstvertrauen: Judith Voney hält nicht viel vom Frauenbonus. Die beste Qualifikation zählt, nicht das Geschlecht. Dass sie als erste Frau Kripo-Offizierin der Kantonspolizei Bern wurde, als erste Schweizerin an der FBI-Akademie studierte und jetzt als erste Frau die Geldwäscherei-Meldestelle leiten wird, darauf bildet sie sich nichts ein. Sie fühlt sich auch Männern gegenüber nicht zu einem vermeintlich typisch fraulichen Verhalten verpflichtet. Nur was jemand kann, zählt.

Weiterbildung: «Ich hatte keine grosse Ahnung von der Polizei, als ich meinen Job antrat», sagt Judith Voney. Was sie heute kann und weiss, hat sie sich grösstenteils durch Ausbildung «on the job» und fachspezifische Weiterbildung im In- und Ausland erworben. Das hielt sie jedoch nicht für ausreichend: Das Schweizerische Polizeiinstitut und die FBI-Akademie trugen wesentlich dazu bei, dass sie heute als anerkannte Expertin in ihren Fahndungsgebieten gilt.

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