Die Schweiz ist ein Kunstspeicher. Eine, die weiss, an welchen Wänden die Bacons und Monets, die Johns und Rauschenbergs hängen, ist Maria Reinshagen. Dieses Wissen bleibt ihr, auch wenn die 72-jährige Kunsthändlerin, eine der profiliertesten Figuren des Schweizer Auktionsgeschäfts, das Ganthaus Christie’s Ende 2007 verlassen hat, für das sie als Direktorin und zuletzt als Beraterin tätig war.
Lange vor dem Kunstboom, im Jahr 1978, eröffnete Maria Reinshagen die Zürcher Niederlassung von Christie’s und machte die begehrten Stücke aus Schweizer Kunstsammlungen dem internationalen Auktionsgeschäft zugänglich. Unter Reinshagen, die 1996 als erste Frau zum Vice Chairman Europe des altehrwürdigen Unternehmens aufstieg, wurde die Zürcher Filiale in kurzer Zeit zu einer der wichtigsten Quellen für kapitale Kunstwerke. Mit eisernem Willen beackerte die Pfarrerstochter, die ein Jahr Kinderpsychologie studiert hatte und Lehrerin war, bevor sie in den Vereinigten Staaten in die Kunstszene rutschte, das Gebiet zwischen Zürich, Basel und Bern. Jene Zone also, die Marc Spiegler, Co-Direktor der Art Basel, einmal das «goldene Dreieck» mit Europas vermutlich grösster Sammlerdichte nannte.
Maria Reinshagens Netzwerk ist international und filigran gewoben. In der Anfangszeit bildeten verschwiegene Kunst-Connaisseurs den Kundenstamm – und noch nicht die atemlosen Messe-Jetsetter und Trophäenjäger, welche die Auktionssäle in London und New York heutzutage bevölkern. Kunst sei in gewissen Kreisen zur «Wandaktie» geworden, bemerkt Maria Reinshagen. Filmstars, Rockmusiker und Werbeunternehmer bildeten eine neue Klientel, die mit ihrem Geschmack den Kunstmarkt zunehmend beeinflusse. Ausserdem habe sich der technologische Fortschritt der letzten Jahre sehr stark auf den Kunsthandel ausgewirkt. «Die Leute kommunizieren schneller. Das Geschäft ist damit schnelllebiger geworden. Die Bieter sitzen mit dem Handy im Saal. Damit hat eine gewisse Oberflächlichkeit Einzug gehalten. Das schnell verdiente Geld wird ebenso schnell in Kunst angelegt.»
Doch das Investieren von Millionensummen in Minutenfrist ist der international vernetzten Auktionsveteranin aus Zürich – die notabene selbst Kunst sammelt – nicht fremd. Zu einer Schlüsselrolle in der Auktionsgeschichte kam Maria Reinshagen 1990, als sie im Bietgefecht um Vincent van Goghs «Porträt des Dr. Gachet» für einen Klienten mitbot. Bei 74 Millionen Dollar gab dieser auf, das Gemälde ging für 75 Millionen Dollar an einen Mitbieter.
Der derzeitige Boom der Gegenwartskunst kann Reinshagen nicht sonderlich beeindrucken, denn die Auseinandersetzung mit der jüngsten Kunst ist für sie Alltag. Mit Pop Art und dem amerikanischen Color Field Painting wurde sie bereits vertraut, als diese Strömungen gewissermassen noch atelierfrisch waren. Das war zu Beginn der sechziger Jahre in New York, als sie als Primarlehrerin an der International School der Uno in New York arbeitete. Über den legendären Kunsthändler Leo Castelli lernte Maria Reinshagen damals Künstler wie Robert Rauschenberg, Jasper Johns und Andy Warhol kennen, und in der Galerie Sam Kootz wurde sie, die junge Blondine, einmal von Mark Rothko angesprochen.
Dann zog sie nach Kalifornien, wo sie mit einem Stipendium der Ford Foundation an der University of California, Los Angeles, vier Semester die Geschichte der Druckgrafik studierte, im Pasadena Art Museum Direktionsassistentin war und ab 1968 für Sam Francis Werke katalogisierte. 1973 gründete sie die Zürcher Niederlassung der New Yorker Galerie André Emmerich. Dort baute sie sich einen Stamm von Sammlern des amerikanischen Color Field Painting auf, bis schliesslich Walter Feilchenfeldt, Zürcher Eminenz des internationalen Kunsthandels, sie für Christie’s empfahl.
Das A und O des erfolgreichen Kunsthändlers sei das Beziehungsnetz, sagt Maria Reinshagen. Kunsthandel ist ein Knowledge Business, bei dem es bei weitem nicht nur um kunsthistorisches Wissen oder Verkäufertalent geht. Fingerspitzengefühl, das bei der Vermittlung von Werken hilft, und eben Beziehungspflege sind mindestens so wichtig. Reinshagen, die Networkerin, gab die Initialzündung dazu, dass Uli Siggs Sammlung chinesischer Kunst nach der Ausstellung in Bern 2006 in der Hamburger Kunsthalle und 2007 im Museum der Moderne in Salzburg gezeigt wurde. Sie bringt unermüdlich Sammler mit Kuratoren zusammen und vermittelt so Werke aus verschwiegenen Privatsammlungen an Ausstellungen – zuletzt ein zentrales Werk von Francis Bacon an die grosse Retrospektive nach Düsseldorf.
Heute, da der erbitterte Konkurrenzkampf zwischen den beiden Auktionsgiganten Sotheby’s und Christie’s immense Marketing-Anstrengungen bis hin zur Leistung riskanter Garantiesummen nach sich gezogen und die Jagd nach Kunst der Moderne und der Gegenwart groteske Züge angenommen hat, mögen die Erzählungen der Kunsthändlerin geradezu sentimental klingen. Zum Beispiel wenn Maria Reinshagen von Sammler-Diners inmitten der Auktionsausstellung im Vortragssaal des Zürcher Kunsthauses berichtet. Früher fanden die begehrten Einladungen inmitten der aus New York eingeführten Bilder van Goghs und Monets, Pissarros und Renoirs statt, und da muss es an den runden Tischen zu magischen Augenblicken gekommen sein, wie man sich vorstellen kann. Reinshagen erzählt vom Abend, als sie Bruno Giacometti und dessen Frau Odette am Tisch vis-à-vis einem Bild Giovanni Giacomettis, des Vaters, platzierte. Das Sujet, ein zum Brunnen ausgehöhlter Baumstamm vor dem Haus der Familie in Maloja, animierte Bruno Giacometti zu Erzählungen aus seiner Kindheit, vom Bad im Brunnen und von der Sehnsucht danach, als er an der ETH Zürich studierte. Maria Reinshagen, als Kunsthändlerin nicht gänzlich selbstlos, umschreibt das Prinzip so: «Ein Diner inmitten der Kunst löste eben auch Verkäufe aus.»
Gloriose Zeiten. Nach 35 Jahren an der Kunstfront zieht sie die Fäden jetzt im Hintergrund. Bereits 2001 zog sie sich als Geschäftsleiterin von Christie’s zurück und war danach für den New Yorker Händler Aquavella tätig. Die drei letzten Jahre hatte sie einen Beratervertrag mit Christie’s. Der Vertrag lief Ende 2007 aus. Doch vermutlich kann die Katze das Mausen nicht lassen: Die nächsten Auktionen stehen bevor. Maria Reinshagen kennt die Kataloge wohl schon auswendig.