Schon bevor die deutschen Discounter Aldi und Lidl ihr Geschäft in der Schweiz aufgenommen haben, werfen sie ihren Schatten. Die heimischen Detailhändler, allen voran Migros und Coop, reissen einen Preiskrieg vom Zaun. Vorauseilender Gehorsam gegenüber dem Preisdruck der Deutschen? Die hehre Einsicht, dass die Schweizer Preise zu hoch sind? Oder die Reaktion auf das Verhalten der Konsumenten, die vermehrt jenseits der Grenze einkaufen? Schliesslich liegt fast die ganze Schweiz in einer Grenzregion.
Was dabei herauskommen kann, wenn der Detailhandel sich nur über den Preis definiert und die Konsumenten nur noch für das Preisargument empfänglich sind, beschreibt Franz Kotteder in «Die Billig-Lüge» am Beispiel Deutschlands. «Ruinieren Sie uns!», hiess der Werbeslogan der Kaufhauskette Karstadt. Fast hätten die Konsumenten das geschafft.
Kotteder weist mit vielen Beispielen nach, welchen Flurschaden der reine Preiswettbewerb anrichten kann. Bei den Produkten verschlechtert sich die Qualität schleichend. Nicht weil die Discounter grundsätzlich schlechtere Ware einkaufen, sondern weil die anderen mitziehen müssen. Auf allen Stufen der Wertschöpfungskette wird der Kostendruck so gross, dass die Qualität leidet. Landwirtschaftsprodukte werden nur noch in industrieller Massenfertigung hergestellt – oder aus Übersee importiert. Die verarbeitende Industrie überdenkt ihre Sicherheitsstandards oder verlagert ins günstigere Ausland. Der Einzelhandel selbst drückt dort die Kosten, wo das am einfachsten geht: beim Personal.
Ein deutscher Discounter beschäftigt pro Filiale drei- bis viermal weniger Mitarbeiter als Coop und Migros. Die Löhne sind nicht unterdurchschnittlich, aber es gibt fast keine Vollzeitangestellten mehr. Teilzeitangestellte verdienen oft so wenig, dass sie unter der gesetzlichen Schwelle liegen, über der Sozialversicherungsbeiträge obligatorisch sind. Der Einzelhandel insgesamt schrumpft: In Deutschland sind in den letzten Jahren 400 000 Arbeitsplätze verschwunden.
Steht der Schweizer Detailhandel vor einer ähnlichen Entwicklung? Und will der Schweizer Konsument das? Beides ist nicht zu haben: Flächendeckend billige Waren und die gewohnte Qualität. Was nicht heisst, dass alle hohen Preise in der Schweiz gerechtfertigt wären. Viele Markenartikel und Medikamente sind tatsächlich unnötig teuer.
Franz Kotteder: Die Billig-Lüge
Droemer Verlag, München, 269 Seiten, Fr. 31.90