Arbeit ist die wertvollste Manifestation menschlichen Lebens und darüber hinaus Mittel zur Selbstverwirklichung. Nur wer arbeitet, ist wirklich Mensch. Auf dieser Grundannahme beruhen der Aufschwung der Marktwirtschaft und unser ganzer moderner Wohlstand.

Dabei ist die Idee, Arbeit sei etwas Positives, ziemlich neu. In den meisten Kulturen – und ganz besonders in den jeweiligen Oberschichten – war es vielmehr die Musse, die ein gutes Leben ausmachte. Das deutsche Wort «Arbeit» stammt vom mittelhochdeutschen «arebeit» ab, und das bedeutete so viel wie Mühsal und Plage. Das französische Wort «travail» hat einen noch schrecklicheren Hintergrund: Es soll auf den spätlateinischen Begriff «tripalium» zurückgehen, und dieser bezeichnete ein Folterinstrument. Auch die biblische Schöpfungsgeschichte hängt den Wert der Arbeit nicht sonderlich hoch (wie übrigens auch jenen des Gebärens nicht): Adam muss als Höchststrafe für seinen Frevel am paradiesischen Baum der Erkenntnis sein Brot für alle Zukunft im Schweisse seines Angesichts verdienen, und Eva muss als Strafe ihre Kinder unter Schmerzen zur Welt bringen. Dass ausgerechnet die christlichen Kirchen in späteren Jahrhunderten die Arbeit positiv besetzten, hatte weniger mit wirtschaftlichen Überlegungen oder der Würde des Menschen zu tun als mit der Hoffnung, Arbeit würde die Menschen von schlechten Gedanken fernhalten. Im Volksmund gerann das zu «Müssiggang ist aller Laster Anfang».

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Die Beispiele stammen aus einem Kapitel der historischen Kulturanthropologie «Lebensformen Europas» von Wolfgang Reinhard, emeritiertem Professor für neuere Geschichte an der Universität Freiburg. In weiteren Kapiteln beleuchtet er Entwicklung und Herkunft anderer zentraler Bereiche unserer Wirklichkeitserfahrung. Hier geht es beispielsweise um unser körperliches Selbstverständnis in Bezug auf Geschlecht, Kleidung und Hygiene, Ernährung und Hunger, Gesundheit, Heilkunst, Alter und Tod, um unseren Umgang mit den Mitmenschen in der Partnerschaft, in der Erziehung oder in der Politik. Auch unsere Umwelten werden thematisiert, etwa Raum und Natur, Wirtschaft, Bauen und Wohnen, Kommunikation, Zeit und Geschichte. Das Buch ist eine Fundgrube für Antworten auf die wohl älteste Frage der Menschen: Wie sind wir zu dem geworden, was wir sind?