Gut eine Woche vor der Brexit-Entscheidung in Grossbritannien hat BMW-Vertriebschef Ian Robertson längst gewählt: «Ich habe dafür gestimmt, in der EU zu bleiben», sagt der Brite, der seit gut acht Jahren in Deutschland lebt und als einer der wenigen Manager in Deutschland offen für den Verbleib des Königreichs in der Europäischen Union wirbt.
Für Robertsons Arbeitgeber ist Grossbritannien der viertgrösste Markt und das einzige Land, in dem alle drei Konzernmarken - BMW, Mini und Rolls-Royce - Werke haben. Fast 8000 Menschen arbeiten dort für die Bayern und ihre als urbritisch geltenden Töchter. Ein Plan B für den Brexit liegt laut Robertson nicht in der Schublade: «Wir warten ab und treffen dann eine Entscheidung.»
Einen Notfallplan haben die Wenigsten
Damit ist der Autobauer nicht allein - nur 20 Prozent der Unternehmen haben nach einer Umfrage der Beratungsfirma H&Z einen Notfallplan für den Brexit. Christof Sonderhauser, der die Analyse geleitet hat, findet das blauäugig. «Das Risiko für das eigene Unternehmen wird unterschätzt.» Michael Jung von der Unternehmensberatung ROI erläutert, ein EU-Austritt Grossbritanniens würde den Austausch von Waren, Kapital oder Personen schwieriger machen. «Der Brexit würde Bremsspuren in der Industrie hinterlassen, wenn auch nicht kurzfristig.»
Wie BMW setzen viele Firmen auf die zweijährige Übergangsfrist, um sich mit möglichen Handelsbeschränkungen, Zöllen oder Währungsschwankungen beim Pfund auseinanderzusetzen. «Die Zeit, um zu reagieren, wird reichen», meint der Autoexperte von ROI.
Von grosser Bedeutung
Gerade für die Fahrzeugbranche sei die Brexit-Entscheidung von grosser Bedeutung, sagt Jung. Denn Grossbritannien ist wichtiger Produktionsstandort und Absatzmarkt zugleich, von der glanzvollen Historie als Heimat legendärer Marken wie Aston Martin, Jaguar oder Bentley ganz abgesehen. 2,6 Millionen Neuwagen wurden dort 2015 zugelassen - mehr waren es in Europa nur in Deutschland (3,2 Millionen). Fast die Hälfte ihrer Autos importieren die Briten aus Deutschland.
Laut einer Untersuchung des Kreditversicherers Euler Hermes würde im Brexit-Fall die deutsche Autoindustrie zwei Milliarden weniger einnehmen. «Richtig vorbereiten, etwa mit konkreten Szenarien, tun sich die Wenigsten», sagt Jung von ROI. «Dazu ist es zu unklar, was danach und vor allem in welchem Zeitraum passieren könnte.»
«Künftige Investitionsentscheidungen dürften anders ausfallen»
Selbst für den Fall eines Brexits erwarten Experten nach dem Votum am 23. Juni keine Hau-Ruck-Aktionen der Branche. «Aber künftige Investitionsentscheidungen dürften anders ausfallen», glaubt Autoexperte Jung. Robert Thomson von der Beratungsfirma Roland Berger verweist darauf, dass es nach dem Branchentief 1980 viele Jahre gedauert habe, «um den britischen Autosektor wieder zu dem aufzubauen, was er heute ist: nämlich Teil der europäischen und internationalen Automobilindustrie».
Die Fahrzeugbauer haben Milliarden in Standorte und Lieferantenstruktur gesteckt. 2015 wurden in Grossbritannien insgesamt fast 1,6 Millionen Pkw produziert. Grosse Hersteller wie Toyota oder Nissan aus Japan fertigen seit den 1980er Jahren auf der Insel.
Ausbau des britischen Produktionsnetzes
BMW hat in sein britisches Produktionsnetz - dazu gehören neben dem Mini-Werk in Oxford und der Rolls-Royce-Manufaktur in Goodwood auch die Motorenfabrik in Hams Hall und das Teilewerk in Swindon - in den vergangenen Jahren rund 750 Millionen Euro gesteckt. Die Kleinwagenmarke kam zu BMW, als der Konzern 1994 Rover übernahm, und sie blieb bei den Münchnern, als sie den britischen Autobauer im Jahr 2000 nach Milliardenverlusten wieder verkauften.
Zuletzt bauten rund 4500 Beschäftigte in Oxford mehr als 200'000 Minis; weitere Modelle werden bei Auftragsfertigern in Österreich und den Niederlanden produziert. «Bei Mini, Rolls-Royce und Bentley gehört die britische Herkunft zum Markenkern», sagt Berater Jung. Bentley, eine Tochter von Volkswagen und Limousinen-Lieferant der Königin von England, fertigt in Crewe nahe Manchester, aber auch in Dresden.
Heimat ist für Rolls Royce unverzichtbar
Nur in Grossbritannien werden dagegen Rolls-Royce-Fahrzeuge gebaut, allerdings mit vielen Teilen aus Deutschland. Die Heimat auf der Insel sei unverzichtbar bei den Superluxuslimousinen, die seit 2003 unter BMW-Ägide in Südengland von Hand gefertigt werden, heisst es im Konzern. Vorsorglich warnte Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvös seine rund 1600 Mitarbeiter in einem Brief vor negativen Folgen des Brexits.
Dass BMW die Produktion aus Goodwood abziehen könnte, halten Experten intern wie extern aber für unwahrscheinlich. Autoberater Jung sagt: «Rolls-Royce ist neben Bentley das Auto der Königshäuser. Diese Fahrzeuge plötzlich in Deutschland oder woanders zu fertigen, würde zu einem gewissen Schaden an der Marke führen.»
(reuters/ccr)