Der Mixer surrt, während Zoe Torinesi Vanillezucker, Mehl und Naturjoghurt für einen Cheesecake in die Schüssel gibt. Dazu erklärt sie, wie man die Butterkekse für den Tortenboden am besten zermahlt – «in einen Gefrierbeutel tun und mit dem Wallholz richtig fest draufhauen» – und die Krümel dann am Boden der Springform festdrückt: «Dafür nehme ich ein Glas zur Hilfe, damit es ganz kompakt wird.» Mit dem Boden des Glases drückt sie die Guetslikrümel platt.
Dabei trägt Torinesi, eigentlich Moderatorin und Model, eine blaue Kochschürze mit weissen Punkten. Ihre Backkünste hält sie auf Video fest. Jeder, der will, kann die Rezepte auf ihrer Seite «Cookinesi» finden und nachbacken. Und: Die Gemeinschaft der Backwilligen wächst.
Erlebnis der Entschleunigung
Backen liegt wieder im Trend. Zusammen mit der Bewegung, die man unter der «neuen Häuslichkeit» zusammenfasst, beginnt eine Rückbesinnung auf alte Werte und die Zufriedenheit am Leben in den eigenen vier Wänden. Getrieben durch die Schnelllebigkeit der Grossstädte, erfüllt sie den Wunsch nach Geborgenheit, Ruhe und dem guten alten Selbstgemachten. Das trifft auf Selbstgestricktes ebenso zu wie auf Marmelade aus dem eigenen Garten oder selber kreierte Gerichte. Kochen ist schon lange ein Trend – und nun gehört auch Backen immer mehr zu diesem Erlebnis der Entschleunigung.
Es ist vor allem die junge Generation der 16- bis 35-Jährigen, die es vermehrt an Herd und Ofen zieht. «Es geht um dieses Back-to-the-Roots-Gefühl», sagt Zoe Torinesi. Die Moderatorin sieht, dass der Alltag immer hektischer wird, getrieben durch Globalisierung und Digitalisierung. «Es ist normal geworden, sich auf alte Werte zurückzubesinnen», sagt die 36-Jährige. Backen ist für sie zudem etwas Sinnliches: «Es riecht gut, wird warm, und ich kann kreativ sein, es ist extrem emotional.»
Steigendes Interesse
Laut dem deutschen Zukunftsinstitut geht es um den Wunsch nach kreativer Hausarbeit, die zu einem Gefühl der Entschleunigung führt. Mit der einfachen Tätigkeit des Teigmischens oder Suppekochens werde ein Gegengewicht zur Hektik der Stadt zur digitalisierten Arbeitswelt gesucht. Die Studie «Consumer Insights Food 2015» des Nürnberger Marktforschers Mafowerk zeigt, dass die Beliebtheit des Backens zugenommen hat: 2011 gaben von 1000 Befragten rund 22 Prozent an, jede Woche zu backen. 2015 waren es bereits 33 Prozent.
Wenn Torinesi etwas gelingt, freut sie sich, wenn nicht, ist sie enttäuscht – «ich bin mit dem ganzen Herzen bei der Sache und habe nichts anderes mehr im Kopf», sagt sie. Mit zehn Jahren buk sie ihre erste Pizza, stand überhaupt gerne in der Küche. «Früher war Kochen für viele meiner Freunde etwas Komisches, sie haben nicht verstanden, warum ich das mache.» Als Torinesi später eine Backshow moderiert, merkt sie, dass sie dem Thema mehr Zeit widmen will. Zudem startet sie vor rund vier Jahren ihren eigenen Blog «Cookinesi», auf dem sie unter dem Motto «eat, love, enjoy» ihre Koch- und Backkreationen mit ihrer Community teilt.
Und das Interesse ist gross: Über 6000 Likes bei Facebook, Instagram zählt über 5000 Follower, und auf YouTube und Twitter hat sie je mehr als 600 Abonnenten. Seit Anfang 2016 kann Torinesi von den Einkünften rund ums Backen und Kochen leben. Unter anderem hat sie Verträge mit Denner, Emmi oder Siroop – alle wollen ein Stück vom Kuchen.
Seit rund drei Jahren schaffen es die süssen Verführungen in der Schweiz vom Blech auf Blogs. Laut Google Trends nehmen die Suchanfragen zum Thema Backen hierzulande seit 2012 stetig zu. Auf Instagram lassen sich Cake Pops, Mug Cakes oder Naked und Drip Cakes bewundern. Dekorativ angerichtet, mit Blumen oder Schleifen verziert, lassen sie dem Betrachter das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Backen ist Trend und Lifestyle, der es aus der Küche auf die Onlineplattformen und in die Fernsehprogramme dieser Welt geschafft hat. Backkurse wie die von Xuân-Minh Fritschy in ihrer Zürcher Backschule Minh Cakes erfreuen sich grosser Beliebtheit: «Die Teilnehmerzahlen für Cake-Design-Kurse nehmen zu. Seit ich 2013 begonnen habe zu unterrichten, ist das Interesse ungebrochen», sagt sie. Fritschys Kurse seien zu 90 Prozent ausgebucht. Auch die Migros-Klubschule verzeichnet im Jahr um die 3000 Teilnehmer, die sich in der süssen Kunst der Teigverarbeitung unterrichten lassen.
Backen als Ruhepol
In ihrer Küche fing Sophie Scaramuzza vor viereinhalb Jahren an, den Rührlöffel zu schwingen, Zutaten zu vermischen und neue Köstlichkeiten zu kreieren. Die Kuchen, Cupcakes und Guetsli nahm sie ab und an mit ins Geschäft, um die Kollegen zu verköstigen. «Das kam bei allen gut an», sagt die 32-Jährige. Und sie dachte sich, dass sie das, was ursprünglich ihrem eigenen Wohlbefinden diente, auch mit anderen teilen könnte – über einen Blog.
«Damals waren Blogs in der Schweiz noch recht unbekannt, aber vor eineinhalb Jahren ging es plötzlich richtig los», sagt Scaramuzza. Neben ihren Facebook-Likes explodierten die Aufrufer-Zahlen auf ihrem Blog «Lalasophie». «Über 18'000 Personen sehen sich im Monat meine Rezepte an.» Die stellt sie regelmässig für jeden gratis zur Verfügung. Was für sie einmal als Ausgleich zum Alltag begann, ist nun ein wichtiger Lebensinhalt. «Wenn ich backe, ist das für mich wie ein Ruhepol», sagt sie. «Wenn mir etwas gelingt, dann ist das ein Erfolgserlebnis, und es gibt mir den Kick, um weiterzumachen.»
So entstanden ihre beliebten Nussschnecken, für die sie 120 Milliliter Milch mit 80 Gramm Butter erhitzt. Abgekühlt, mischt sie 130 Milliliter kalte Milch mit einem darin aufgelösten Hefewürfel dazu. Dann vermengt sie 500 Gramm Mehl, zwei Teelöffel Zucker und einen Teelöffel Salz mit der Milch-Hefe-Mischung und einem Ei und verknetet alles zu einem geschmeidigen Teig. Mit einem Tuch bedeckt, ruht er eine Stunde lang, bevor er ausgewalkt und mit der Nussfüllung (300 Gramm gemahlene Haselnüsse, 150 Gramm Zucker, etwa 200 Milliliter Halbrahm) bestrichen wird. In einzelne Stücke geschnitten, werden die Schnecken bei 180 Grad Umluft für 15 Minuten im Ofen hellbraun gebacken. Mit einer Puderzucker-Milch-Mischung bestreichen und fertig!
Medien und Detailhandel entdecken den Hype
Mit ihrem Hobby verdient Scaramuzza heute Geld. Unternehmen wie Migros oder Coop springen auf den Zug auf, bezahlen sie, damit sie für sie bloggt, Rezepte und heimeliges Backgefühl liefert – das dafür nötige Equipment ist dann nur noch einen weiteren Klick entfernt.
Scaramuzza folgt auch neuen Trends: Sie weiss, dass der Hype um Torten mit Zuckerglasur langsam abflaut und Cupcakes nicht mehr der Renner sind. Dafür erlebt die französische Backkunst gerade eine Renaissance: Eclairs, Macarons und Madeleines sind derzeit in aller Munde.
Auch das Fernsehen hat sie bereits engagiert: 2016 flimmerte die erste Staffel von «Ivo und die Backdetektive» mit Scaramuzza bei SRF 1 über die Mattscheibe, für dieses Jahr ist eine weitere Staffel geplant. Kochsendungen erfreuen sich schon länger grosser Popularität. Neu kommen nun die Shows, in denen es um die Kreation süsser Versuchungen geht. 2010 wurde in Grossbritannien die erste Staffel von «The Great British Bake Off» ausgestrahlt, in Deutschland folgte «Das grosse Backen» und «Sweet & Easy – Enie backt». In der Schweiz teilen die «Backdetektive» oder «Myriam und die Meisterbäcker» ihre Lieblingsrezepte mit den Zuschauern.
Steigende Absatzzahlen von Haushaltgeräten
Der Backofen wird dabei zum zentralen Element in der Küche – denn viele Gerichte verlagern sich vom Topf in den Ofen. Dank Dampfgarer oder Steamer wird das Steak butterweich, das Gemüse perfekt al dente zubereitet – und das auf Knopfdruck. Beim Haushaltgerätehersteller V-Zug spürt man den Trend deutlich, seit Einführung 2001 stiegen die Absatzzahlen kontinuierlich.
Bei Miele sind Kombigeräte mit Dampfgarfunktion sehr beliebt, auch in Ergänzung zum klassischen Backofen. Selbst moderne Mietwohnungen werden heute vom Vermieter immer öfter mit den entsprechenden Geräten ausgestattet. Der Steamer wird Standard. Selbstreinigende Backbleche, Brot, das nicht mehr anbrennen kann, Backfunktionen für den perfekten Zopf oder das Steak à point – alles ist möglich. Backen wird das neue Kochen.