Als im vergangenen Herbst Sergio Ermotti zum neuen UBS-Chef gewählt wurde, erntete sein Aussehen fast so viel Lob wie seine fachliche Kompetenz. «Mister Good-Looking!», «George Clooney vom Paradeplatz!», titelten die Printmedien und zitierten begeisterte – hauptsächlich weibliche – Stimmen: «Wow! Der sieht aber toll aus» oder «Wer so schön ist, kann kein Betrüger sein».

Das Beispiel zeigt: Gutes Aussehen ist nicht mehr nur für Leinwandhelden und Werbeträger relevant, sondern spielt auch in unserem breit ästhetisierten Alltag eine wichtige Rolle. Der 51-jährige Sergio Ermotti verfügt über das, was im Fachjargon «ein hoher Attraktivitäts-Konsensus» genannt wird: schlanke Statur, grau meliertes Haar, leicht gebräunter, frischer Teint und regelmässige Gesichtszüge. Kriterien, die Menschen auf der ganzen Welt als attraktiv und entsprechend vertrauenswürdig empfinden. Kriterien auch, die nicht ausschlaggebend sind für die Karriere, aber hilfreich sein können. «Wenn zwei Kandidaten mit gleichwertigen fachlichen Qualitäten zur Verfügung stehen», sind sich die Attraktivitätsforscher einig, «bekommt der besser Aussehende in der Regel den Zuschlag.»

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In unserem visuellen Zeitalter zählt der erste Eindruck – und die Fähigkeit, sich mit allen Vorteilen so in Szene zu setzen, dass man wahrgenommen wird. Wer auf die schöne Seele oder das kompetente Gehirn setzt, hat von vornherein verloren. Zwar wird nicht jeder als George-Clooney- oder Richard-Gere-Doppel geboren, aber jeder kann der Natur mit ein paar Tricks aus der Kosmetikkiste nachhelfen. Diese Erkenntnis ist zu den Männern durchgedrungen, deshalb investieren sie, egal ob Manager, Politiker oder Verkäufer, zunehmend auch in ihr Äusseres.

Früher haben sich Männer rasiert und gekämmt, heute «groomen» sie sich. Sie lassen sich in entspannendem Ambiente die Hände maniküren, salben sich Crèmes mit vielversprechenden Namen ins Gesicht, zupfen sich überall dort Haare weg, wo sie nicht wachsen sollen. Die Verkaufszahlen der Kosmetikbranche verzeichneten in den letzten Jahren zweistellige Wachstumsraten. Elisabeth Metzger, Generaldirektorin von Clarins Schweiz, freut sich über diesen Trend: «Clarins macht zirka sieben Prozent ihres Umsatzes mit Männerprodukten. Aber der grosse Vorteil dieses Marktes ist die Tatsache, dass er jeden Tag wächst.»

Nicht nur das: Männer kaufen anders ein als Frauen. Sie sind zum Beispiel weniger werbeaffin, vertrauen eher dem, was Kollegen, die aus eigener Erfahrung sprechen, sagen. Wenn sie die Produkte selber einkaufen (was mittlerweile gut die Hälfte der Männer tut), bevorzugen sie Selbstbedienungsgeschäfte und schätzen es, wenn die Ware gut sichtbar präsentiert ist. «Deshalb setzen wir bei Clarins eher auf Workshops als auf gross angelegte Werbekampagnen und legen ein besonderes Augenmerk auf unser Merchandising», sagt Elisabeth Metzger, «denn Männer sind tolle Kunden: Haben sie einmal eine Marke entdeckt, bleiben sie ihr lange treu.»

Zu viel ist zu viel. Gleichzeitig entdeckt die Herrenwelt immer mehr auch die wohltuenden Pflegerituale, die in den hiesigen Kosmetiksalons angeboten werden, oder lässt sich auf die beruhigende Atmosphäre der Day Spas ein (siehe «Männer und Wellness ist kein Widerspruch» auf Seite 98). Das Resultat dieser generationenübergreifenden Bemühungen lässt sich nicht nur auf dem Bildschirm oder in der Werbung, sondern ebenso auf der Strasse und im Büro beobachten.

«In der Schweiz kommt es auch in dieser Beziehung auf ein gutes Mittelmass an», sagt Samy Liechti, CEO von Blacksocks. Seine Internetfirma sorgt mit ihrem Socken-Abo seit dreizehn Jahren dafür, dass Männer in 75 Ländern der Welt regelmässig mit frischen Socken versorgt werden. «Ein gepflegtes Äusseres ist in der heutigen Geschäftswelt ein unbestrittenes Must, wer aber den Kult um die eigene Schönheit zu weit treibt, läuft Gefahr, unecht und somit unglaubwürdig zu wirken.» Der 43-Jährige reist in Sachen Socken regelmässig um die Welt und trifft dabei auf sehr unterschiedliche Menschen und Mentalitäten: «Das gute Mass ist immer auch eine Frage der Kultur. In den USA gelten etwa Föhnfrisuren, die mit Haarlack fixiert werden, als chic, bei uns wirkt das eher billig und aufgesetzt.» Wer zu viel am eigenen Äusseren schraube, laufe Gefahr, selbstsüchtig zu wirken, und dies werde in der Geschäftswelt selten goutiert. Liechti, der von sich selber sagt, er sei noch vor dem Männerkosmetikboom sozialisiert worden, geht einmal im Monat zum Coiffeur, reinigt und befeuchtet seine Haut regelmässig und achtet auf gepflegte Hände.

Wettbewerbsvorteil. Mehr pflegen und salben muss nicht nur, wer Kunden oder Geschäftspartner überzeugen will, sondern auch Politiker sind gut beraten, ihr Augenmerk ab und zu auf ihr äusseres Erscheinungsbild zu richten. Der Schweizer Politologe und Experte für politisches Verhalten Georg Lutz hat bei den letztjährigen Parlamentswahlen eine Studie durchgeführt und festgestellt, dass attraktive Politiker mehr Stimmen erhalten als weniger attraktive. «Heute haben die meisten Wähler keine Zeit, sich mit den politischen Profilen der Kandidaten auseinanderzusetzen – meistens werden die Menschen auf die Liste gesetzt, die einen optisch ansprechen.» Das gute Aussehen alleine sei zwar nicht wahlentscheidend, aber: «Es zeigt sich, dass die Wahl eines Kandidaten nichts anderes ist, als ein Produkt aus einem Supermarktregal zu nehmen. Eine Entscheidung, die durch die Farbe oder das Design der Verpackung beeinflusst werden kann.»

Diese Meinung teilt auch die Schönheitschirurgin Cynthia Wolfensberger: «Je grösser die Auswahl, desto wichtiger die Verpackung.» In ihrer Zürcher Praxis behandelt die Ärztin Frauen und Männer. Sie sagt: «Der Anteil an Männern, die sich für die Schönheit unter das Messer legen, ist in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen – zumindest nicht in meiner Praxis.» Ein Facelifting bei einem Mann sei nach wie vor eine Rarität. Am häufigsten verschönert Wolfensberger Augen, vor allem bei Männern, die viel in der Öffentlichkeit stehen oder im Job repräsentieren müssen: «Wenn jemand ein überlappendes Augenlid oder auffallende Tränensäcke hat, lässt ihn das müde wirken – und wer will heute schon einem müden Menschen zuhören?» Andere Eingriffe wie etwa das Absaugen von Fett im Brustbereich oder das Implantieren von Silikon im Brust-, Gesäss- oder Wadenbereich werden eher von «speziellen Gruppen» verlangt, die eine besondere Art des Körperkultes zelebrieren, und weniger von Politikern und Wirtschaftsbossen.

Auch wenn Männer immer schöner werden oder immer mehr dem gängigen Bild des schönen Mannes entsprechen, mag niemand wirklich darüber sprechen: Das Thema Schönheit gilt nach wie vor als Tabu. Welcher «ganze Kerl» gibt schon gerne zu, dass er morgens eine Viertelstunde früher aufsteht, um sich ein bisschen länger um das eigene Aussehen zu kümmern? Oder dass er im letzten Urlaub nicht auf dem Golfplatz war, sondern sich in einer Klinik die Augen hat richten lassen? Ob sich dies in den nächsten Jahren bei anhaltendem Kosmetikboom ändert? Uns kann es egal sein, denn der neue schöne Mann gefällt – vor allem wenn sich das gepflegte Äussere mit einer gehörigen Portion Charme paart.