Wenn ein Mann seiner Frau die Wagentür aufhält, ist entweder die Frau neu oder das Auto», rief Prinz Philip wohlgelaunt der Pressemeute zu, schloss die Tür hinter Königin Elisabeth und stieg auf der anderen Seite in den neuen Bentley. Weltweit hatten letztes Jahr etwa 8500 Menschen Grund für diese Geste, als sie ihren neuen Luxuswagen in Empfang nahmen. Mehr Bentleys wurden nie zuvor in der Fabrik im englischen Crewe gebaut.

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Mit diesen Stückzahlen ist die Exklusivität des Brands aus der Vergangenheit zwar perdu, als weniger als die Hälfte produziert wurden. Aber immerhin hat die Tradition eines mehr als 80 Jahre langen wirtschaftlichen Trauerspiels ihr Ende gefunden, seit Bentley zu Volkswagen gehört. Der Absatz klettert von Jahr zu Jahr nach oben, die Modellpalette wurde erweitert, und für 2016 hat die Marke einen eigenen SUV angekündigt.

Dass es Bentley überhaupt noch gibt, grenzt fast an ein Wunder. Die Wagen waren technisch immer Spitze, gewannen Grands Prix und fuhren bei den 24-Stunden-Rennen von Le Mans ständig neue Rekorde. Sie waren aber ein finanzielles Fiasko für jeden, der auch nur einen Penny in das Unternehmen investiert hatte. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg übernahm Rolls-Royce Bentley, kurz bevor die Firma endgültig an die Wand krachte. Als sich die britische Automobilbranche Ende des 20. Jahrhunderts fast vollständig in den Ruin gewirtschaftet hatte, kam die Rettung vom Kontinent. Durch das Geld, das der neue Besitzer Volkswagen in die Hand nahm, ist Bentley heute ein wirtschaftlicher Erfolg, und der Marke geht es 2013 bestens. Der Absatz in Nordamerika, dem Nahen Osten und Asien wächst stark. Etwa vierzig Prozent des Modells Mulsanne gehen nach China. Bis 2018 hat Bentley-Chef Wolfgang Schreiber eine Kapitalrendite von 21 Prozent angekündigt – 15 000 Autos sollen dann jährlich gebaut werden.

«Jeder Wagen wird auf Bestellung gefertigt», sagt Karl Shirley, Head von Bentley Experience, sozusagen der unternehmenseigenen Begeisterungsabteilung. Kunden kommen nach Crewe, um ihren Wagen zu bestellen, wie Rapper P. Diddy, der mit seiner ganzen Entourage anreiste. Sie sitzen dann im «Living Room», wie Shirley den in altem englischem Chic eingerichteten Verkaufsraum nennt, und sinken tief in die Plüschsessel. Zwischen Büchern und Produkten von Partnerfirmen, etwa von Breitling, der Schweizer Skimarke Zai oder Tivoli, sinnieren sie entspannt über die Details ihres Autos. Konfigurieren ist ein Wort, das bei Bentley irgendwie zu kurz greift. Aus 120 Farben, aus Dutzenden von Lederfarben kann man auswählen und sich allen erdenklichen Schnickschnack einbauen lassen: Lammfellteppiche im Fussraum, Champagnerkühler oder einen kleinen Kühlschrank für den Lippenstift zum Beispiel. Wer nicht selber nach Crewe kommen möchte, den besucht Shirley auch vor Ort, so etwa im Nahen Osten. Von dort kam er einmal mit einem angemalten Fingernagel zurück. Das war haargenau die Farbe, welche die Kundin haben wollte. «Die hat sie auch bekommen», sagt er. Eine teure Hello-Kitty-Farbfantasie.

Kräftig investiert

Wer an die Automatisierung in der Industrie glaubt und überzeugt ist, dass in einer modernen Autofabrik kaum noch Menschen arbeiten, sieht in den Hallen von Bentley Motors, dass es auch anders geht. Hinter den Backsteinmauern der Fabrik wimmelt es von Menschen, und es herrscht konzentrierte Geschäftigkeit. Nachdem Bentley 1998 durch Volkswagen übernommen worden war, haben die neuen Besitzer kräftig investiert. Das Personal wurde von 1800 auf über 4000 Mitarbeiter aufgestockt.

In der Ledernäherei sind etwa 20 Männer und Frauen damit beschäftigt, die Lederbezüge an die Steuerräder der Bentleys zu nähen. Das gehe nur von Hand, denn rund nähen könne keine Maschine. Die Lenkräder sind an Arbeitstischen eingespannt, und mit einem durchgehenden Faden wird ein schmales Lederband vernäht. Kreuzstich heisst die Technik, die aus der Sattlerei stammt und im Autobau ursprünglich an Steuerrädern von Rennwagen verwendet wurde. Mit dem Kreuzstich werden auch die Lederbezüge der Sitze vernäht.

All das passiert vor Ort, ausgelagert und fertig zugeliefert wird nur wenig. Einen ganzen Arbeitstag braucht es, bis das Lenkrad fertig ist; um alle Lederbezüge des Wagens zu nähen, braucht es gar eine Woche. Das geht nicht mit angelernten Kräften – Fachleute sind gefragt. «Wir haben eine ganze Reihe von Näherinnen angestellt, die aus der Textilindustrie kommen», sagt Shirley. Ein paar von ihnen sind zum Beispiel damit beschäftigt, Wappen von Kunden in die Ledersitze zu sticken. «Als ich vor 40 Jahren bei Bentley gelernt habe, hatten wir alle Zeit der Welt», sagt Frank, der Bentley-Werksfahrer, neben dem ich in einem grossen Mulsanne durch den abendlichen Linksverkehr fahren darf.

Schottisches Leder

Bei dem Material, das verarbeitet wird, ist nur das Beste gut genug. Das Leder für die Sitze etwa stammt von Bullen, die in Schottland weideten. Dort gibt es weder Stacheldraht noch Dornen, welche die Haut der Tiere verletzen und damit Narben im Leder hinterlassen könnten. Zwischen 14 und 19 Häute braucht es, um einen Bentley auszustatten. Auf sechs Leuchttischen begutachten Mitarbeiter mit scharfen Augen die Beschaffenheit der Häute und markieren die Stellen minderer Qualität. Ein Computer berechnet, wie das Leder am effizientesten genutzt werden kann, und schneidet dann die Stücke zu. «So gut und schnell kann das kein Mensch», sagt Shirley.

Auch wenn das Stichwort Handarbeit die Assoziation einer gemächlichen Manufaktur weckt, ist bei Bentley die Effizienz eines durchorganisierten Industriebetriebes überall zu sehen. Am Produktionsband sind fünf Leute damit beschäftigt, die Kabelbäume in die Karosserie einzuziehen. Sie haben nur ein paar Minuten Zeit, sonst wird die erwärmte Gummimasse, welche die Kabelbäume geschmeidig macht, zu hart, und sie lassen sich nicht mehr einbauen. Fünf Mitarbeiter bauen das Armaturenbrett ein, drei kümmern sich um die Türen.

Die Zeit, in der diese Arbeiten erledigt werden müssen, ist vorgegeben. Die ganze Produktion ist genau getaktet. In der Halle von Bentley Motors fahren ständig kleine Trolleys blinkend und hupend durch die Gänge und liefern Material an die Arbeitsstationen. Von seitlichen Förderbändern werden Verblendungen, Sitze und Karosserieteile angeliefert. Leerlauf oder Stau sieht man nirgends.

An den Arbeitsstationen hängen Audit-Formulare, in denen Zielerfüllung und Fehlerquote in Prozenten aufgelistet sind. Hier geht es um Top-Qualität. «Schauen Sie hier», sagt Shirley und hält mir ein Teil einer Türverkleidung unter die Nase, «das ist nicht akzeptabel. Das Holzteil ist zu flach und der Glanz zu stumpf.» Ich sehe das zwar nicht, glaube es ihm aber gerne. Das Teil kommt in den Ausschuss und wird neu gefertigt.

«Bentley ist ein Aspiration Brand», sagt Shirley, «etwas, das man sich immer erträumt und gewünscht hat, man sich aber bisher nie leisten konnte.» Vor Jahren warb Bentley noch mit dem Slogan in ganzseitigen Zeitungsinseraten: «Don’t even think about it, young man, just turn the page.» Man zielte auf die arrivierte und ältere Kundschaft. Das hat sich heute gewandelt. Rapper im Bling-Modus fahren Bentley, und Fussballstars wie David Beckham werden mit dem Brand in Verbindung gebracht. Auch Kindersitze gibt es, auf Wunsch mit eingesticktem Monogramm. «Wir müssen aufpassen, dass ein Bentley nicht zu gewöhnlich wird», sagt Shirley. Wenn man jeden Tag ein paar im Stau sieht, verliert sich schnell der Nimbus. Leasing sei Dank, sind die Wagen auch für den oberen Mittelstand erschwinglich geworden. Von der Produktion des Bentley Continental werden 70 Prozent geleast.

Beim Mulsanne, der über 500 000 Franken kostet, spiele der Preis für die Käufer keine Rolle mehr. «Die werden bar bezahlt.» Wenn Sie diese Summe ohne Zögern auf den Tisch legen können, wissen Sie, wo Sie angekommen sind: in der Aspiration League. Und da halten Sie garantiert gerne beim neuen Auto die Türe auf.