Zum Test steht die Bentley-Limousine New Flying Spur am Start, die seit ihrer Modellpflege im letzten Jahr sich mehr vom Coupé und Cabriolet abheben soll und deshalb nicht mehr zur Continental-Familie gehört. Sicherlich kennt jeder diverse Auto-Testberichte mit folgendem oder ähnlichem Wortlaut: «…für seine Größe ein bescheidenes Platzangebot und wenig Beinfreiheit im Fond», oder «…wurde viel billiges Hartplastik im Innenraum verwendet», oder «…Knarz- und Klappergeräusche aus dem Armaturenbrett», oder «…das Cockpit ist mit Schaltern überfrachtet und völlig emotionslos gestaltet», oder vielleicht auch «…der Fahrkomfort offenbart erstaunliche Schwächen und dem Motor mangelt es an Leistung».

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Garantiert war in diesen Berichten nie die Rede von einem Bentley New Flying Spur, denn dieser Wagen erfüllt höchste Qualitätsansprüche und ist mit Leistung und Luxus im Überfluss ausgestattet. Aber der Reihe nach. Bisher kannte ich den Bentley New Flying Spur (fliegender Sporn) nur von Fotos oder Videos. Im Original wirkt die opulente Vier-Augen-Limousine mit ihren 5,30 Metern Länge aber noch viel eindrucksvoller. Zwischen den runden Scheinwerfern mit integriertem LED-Tagfahrlicht wurde die Frontpartie Bentley-typisch mit dem gewaltigen verchromten Rauten-Kühler-Gitter gestylt. Im Gegensatz dazu wirkt die neugestaltete Heckpartie mit den eckigen LED-Rückleuchten und der doppelflutigen Auspuffanlage fast schon schlicht. Optisch fügen sich die 21-Zoll-Alus perfekt in die seitliche Karosserielinie des Bentley New Flying Spur ein. Dass diese herrschaftliche Limousine kein Leichtgewicht ist, wundert kaum, immerhin hat der New Flying Spur nach seiner Modellpflege etwas abgespeckt und bringt es jetzt «nur noch» auf ein Kampfgewicht von 2475 Kilogramm.

Noble Innenausstattung

Bentley interpretiert Luxus auf seine ganz eigene Art und Weise. Um diese Salon-Atmosphäre im Zusammenspiel mit perfekter englischer Handwerkskunst zu erleben, setze ich mich andächtig in einen der exklusivsten Innenräume, den die automobile Welt zu bieten hat. Ich lasse einige Zeit diesen verschwenderischen Luxus auf mich wirken und genieße den Duft von Leder. Nobel, sehr nobel. Samtweiches, mehrfarbiges Leder ist überhaupt das dominierende Material im Interieur. Neben den Sitzen, dem Dachhimmel und dem Armaturenbrett wurde es bis in die kleinste Ecke des Bentley New Flying Spur verarbeitet und alles natürlich handgenäht. Erwähnt werden muss aber auch der Einsatz von kunstvoll verarbeiteten Edelhölzern und stilsicheren Chromeinfassungen. Sämtliche Schalter und Knöpfe rasten satt ein und sind perfekt eingepasst. Für Qualitätsfanatiker ist es ein Traum, welches Niveau hier erreicht wurde. Und selbst die kleinen Details wie die verchromten Stellhebel der Lüftungsdüsen oder die analoge Breitling-Uhr erfreuen das Auge des Betrachters.

Der Testwagen war mit vier Einzelsitzen ausgestattet, wobei Sitz vielleicht das falsche Wort ist. Diese Komfort-Hightech-Sessel waren mit allem ausgestattet, was technisch möglich ist und um den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Mittelkonsole streckte sich in dieser viersitzigen Ausführung vom Armaturenbrett bis zum Fond. Bei den Platzverhältnissen kann der Bentley New Flying Spur auch nur mit Superlativen aufwarten. Wer hier nicht völlig entspannt die passende Sitzposition findet und seine Beine bequem ausstrecken kann, der wird sich einen Bus ausbauen müssen.

Gute Manieren

Seit 1998 gehört die englische Nobelmarke Bentley Motors zum deutschen Volkswagenkonzern, wo auch die Wurzeln seiner Motorisierung liegen. Als Antrieb im New Flying Spur haben sich die Engländer für einen 6,0-Liter-W12-Zylinder Motor mit Twin-Turbo-Aufladung aus Wolfsburg entschieden. Dass dieses Kraftwerk den hohen Ansprüchen von Bentley an eine sportliche Luxuslimousine gerecht wird, belegen schon die nackten Zahlen. Mit seinen 625 PS und einem maximalen Drehmoment von 800 Newtonmetern muss der Zwölfender pro PS nur 3,92 Kilogramm bewegen. Dieses geniale Leistungs-Gewicht-Verhältnis würde sich so mancher echter Sportwagen wünschen.

Nachdem ich den Startknopf gedrückt habe und dem Motor den Befehl zum Durchatmen erteile, verkünden die beiden Endrohre mit grollender Akustik die Bereitschaft der zwölf Zylinder zum Arbeitseinsatz. Die Kraftübertragung an die Räder erledigt die ZF-Achtstufen-Automatik über den gesamten Drehzahlbereich souverän und selbst bei der Traktion auf winterlichen Straßen kann ich dem allradgetriebenen New Flying Spur nur Bestnoten bescheinigen. Der Brite fährt, sorry, gleitet trotz seiner vielen Kilogramm unglaublich agil und handlich über den Asphalt, wobei das luftgefederte Fahrwerk den Fahrbahnunebenheiten und Schlaglöchern nicht den Hauch einer Chance lässt, um die Bandscheiben der Insassen zu ärgern. Selbst in Kurven behält der New Flying Spur seine guten Manieren und der Fahrer kann völlig entspannt agieren. Nur in schnellen Wechselkurven kann das Schwergewicht seine Pfunde nicht kaschieren, bleibt aber erstaunlich lange neutral auf Kurs.

Spektakuläre Beschleunigung

Dem Bentley New Flying Spur wurde eine extreme Schallisolierung in die Karosserie verbaut, wodurch weder im Stadtverkehr noch bei Autobahntempo Wind- oder Abrollgeräusche den exzellenten Geräuschkomfort im Innenraum stören. Beim Ampelstart musste ich mich erst an das Streicheln des Gaspedals gewöhnen, denn drückt man es auch nur einen Hauch zu weit Richtung Teppichflor, erreicht dieser Dampfhammer sofort Autobahntempo und das Punktekonto in Flensburg ist schnell belastet. Auf der Landstraße bei Tempo 80 einen Überholvorgang zu starten, war für mich das reinste Vergnügen.

Der Brite schießt förmlich Richtung Horizont und nach wenigen Sekunden sehe ich das überholte Fahrzeug nur noch weit entfernt im Rückspiegel – der New Flying Spur beschleunigt selbst beim Zwischenspurt spektakulär. Den Spurt auf 100 km/h absolviert er in 4,6 Sekunden und wer das Leistungspotential vom Bentley voll ausreizen möchte, der kann die Tachonadel bis zur 320-km/h-Marke treiben. Aber möchte man das wirklich? Wer sich einen Bentley New Flying Spur für rund 235'490 Euro (Testwagenpreis) leisten kann, den interessieren weder Kraftstoffverbrauch, noch Versicherungsprämien oder Werkstattkosten und deshalb werden sie hier auch nicht erwähnt.

Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «World's Luxury Guide» erschienen.