Orange, himbeerrot, moccabraun. Einfach zum Reinbeissen, diese Luxemburgerli! René Beyer probiert ein orangerotes und verdreht genüsslich die Augen: «Mmmmm.» Ein Stück Zürich sei das, etwas unerreicht Gutes. Etwas, was nach seiner Meinung Schweiz-Besucher aus aller Welt unbedingt probieren sollten. Dafür sorgt der Inhaber der Chronometrie Beyer: Seine Gäste erhalten zu jeder Tasse Kaffee, die er anbietet, ein Tellerchen voll der süssen Leckereien.
Beyer versteht viel von Uhren und gilt in der Schweiz als der Einzelhändler, der die meisten Patek Philippes verkauft. Beyer versteht auch viel von Kulturen: Seine Kunden kommen aus der ganzen Welt. Fünfzig Prozent aus der Schweiz, dreissig bis vierzig Prozent aus Europa, zehn Prozent aus Asien und den arabischen Ländern. Ein Grund für den umtriebigen Geschäftsmann, sich als interkultureller Vermittler zu verstehen. Er schaut sich in seinem Laden um, wo sich einige Tische weiter seit Stunden ein indisches Paar beraten lässt. «Die Leute müssen sich daheim fühlen und dennoch die Schweiz spüren.» Global denken, lokal handeln.
Beyer ist Kosmopolit. Persönliche Kontakte, viele Reisen und ein paar Jahre Aufenthalt in Deutschland und den Vereinigten Staaten haben ihn sensibel gemacht für menschliche Bedürfnisse. Und die sind immer dieselben: Jeder Weltbürger möchte, dass seine Kultur von den anderen angenommen und respektiert wird. René Beyer weiss, dass nichts mehr das Wohlbefinden von Besuchern anhebt als eine Reverenz an ihre kulturellen Gewohnheiten. Die Konsequenz: Wer sich fühlt wie zu Hause in der guten Stube, der ist entspannt. Und wer entspannt ist, dem fällt das Geldausgeben leichter. «Das sollte sich die Schweizer Hotellerie vielleicht einmal zu Herzen nehmen», meint er sanft lächelnd.
Er selbst hat sein Uhren- und Juwelengeschäft im Laufe der Jahre auf die Bedürfnisse seiner Kundinnen und Kunden eingestellt. Sieben Sprachen beherrscht sein Verkaufsteam. Englisch ist selbstverständlich, aber seit kurzem beschäftigt er auch eine Mitarbeiterin, die Mandarin spricht. Das allein reicht allerdings nicht; Beyer hat sich einiges einfallen lassen, um seiner verwöhnten Kundschaft ein Stückchen Heimat an die Zürcher Bahnhofstrasse zu holen. Angefangen beim Essen. Den Kunden, die sich lieber Uhren anschauen, statt ins Restaurant zu gehen, und denen trotzdem der Magen knurrt, servieren René Beyer und seine Angestellten internationale Spezialitäten. Den Asiaten Sushi, den Bayern Weisswürste und den Russen Borschtsch. Wechselnde Speisekarten und Absprachen mit den Restaurants der Umgebung, bei denen Beyer bestellt, machen es möglich: «Wir lassen alles auf mundgerechte Häppchen verkleinern», sagt der Gourmet, der nach eigener Aussage, hätte er nicht ein Schmuckgeschäft geerbt, am liebsten Gastronom geworden wäre.
Schwieriger wird es bei der Beschaffung von Gaumenfreuden für die Araber. Doch auch hier hat Beyer eine massgeschneiderte Lösung: Datteln in allen Varianten. Da gibt es jene, die tiefgekühlt auf ihren Einsatz warten. Kommt ein arabischer Kunde, wandern sie für 40 Sekunden in den Mikrowellenofen und sind danach perfekt! Ein Luxus, den seine Kundschaft ausserordentlich schätzt. «Sie staunen stets, wo ich frische Datteln herhabe», meint Beyer, will aber über seine Quellen nichts Genaueres verraten. Nur so viel: Sie kommen nicht aus Israel, sondern aus Oman. Ebenfalls für die arabischen Gäste sind auch die Körbchen mit den süssen Datteln, eine Spezialität, die es im Orient überall gibt. Ein Mandelkern, umhüllt von einer Dattel und mit Schokolade überzogen. Wollen Sie probieren? Er schiebt das Körbchen über den Verkaufstisch und nascht gleich selbst mit.
Um die Gepflogenheiten ihrer ausländischen Kunden besser kennen und verstehen zu lernen, haben René Beyer und sein Team auch Trainingskurse der Credit Suisse besucht, die ihrerseits ihre Angestellten so auf Begegnungen mit anderen Kulturen vorbereitet. Bei Beyer weiss jeder, dass man Thailändern bei der Begrüssung nicht die Hand reicht, sondern die Hände aufs Herz legt. Auch Arabern schüttelt man die Hand nicht. Umarmungen sind angebracht, wenn man sich besser kennt, allerdings natürlich nur unter Männern.
Zur arabischen Kultur hat René Beyer eine besondere Affinität: «Ist es im Sommer sehr heiss, laufe ich schon einmal in der Dishdasha herum.» Der weit geschnittene Überwurf scheint ihm gegen Hitze das Allerbeste zu sein. Seine Kunden kommen aus den Emiraten, aus Oman und Saudi-Arabien oder dem früheren Persien. Häufig ganze Familien. Kommt ein Araber mit seinen Frauen, werden diese hinter einem Paravent vor Blicken geschützt, damit sie in Ruhe und unter sich ihre Uhren und den Schmuck aussuchen können. Anschliessend entscheidet dann der Mann, was gekauft wird.
Aus Erfahrung weiss René Beyer, dass das Stunden dauern kann. Die arabischen Gäste lassen sich gerne die gesamte Kollektion zeigen und sind begeisterte Händler. Ein Drittel der gesamten Zeit verhandle der Araber die Rabatte. Beyer hat gelernt, damit umzugehen, «das gehört in ihrer Kultur zum Spiel». Eine gewisse Gelassenheit brauche es dazu. Dann zum Beispiel, wenn der Kunde sagt, «okay, ich kaufe, aber ich will noch deinen goldenen Kugelschreiber». Beyer lacht, «dann soll er ihn halt haben».
Der Umgang mit der asiatischen Kultur wiederum verlangt besonderes Fingerspitzengefühl. Asiaten, weiss Beyer, verlangen niemals etwas von sich aus, «sie sind dazu erzogen worden, zu dienen». Man muss wissen, wie man sie ansprechen kann. Einen Kaffee anbieten nützt nichts, denn sie würden ihn ablehnen. Man muss zuerst ein Glas Wasser offerieren, weiss René Beyer, «das ist das Zeichen, dass sie etwas verlangen dürfen». Kommt eine indische Familie, dann muss er herausfinden, wer das Oberhaupt ist, das bestimmt.
Und was ist mit den Chinesen? «Die werden über kurz oder lang unsere Kunden werden», glaubt der Schmuckhändler, der im Dezember persönliche Studien betrieben und Peking besucht hat. Das dort Gesehene beeindruckte: «Ich kenne das Volk, das labelverrückt ist: Hermes, Rolex, die Chinesen lieben alles, was gut und teuer ist.» Für den zu erwartenden Ansturm will er gewappnet sein, denn er weiss, dass alles, was im Trend liegt, «früher oder später in der Schweiz ankommen wird». Auch bei seinen Kunden will er das Interesse an chinesischer Kultur wecken. Daher lädt er im September tausend Leute in die Tonhalle zu einem chinesischen Abend ein.
Der offene Umgang mit den Kulturen seiner Kunden unterscheidet René Beyer von seinen Konkurrenten. Der Zürcher zeigt auf ein himbeerrotes Luxemburgerli: «Sehen Sie, diese Luxemburgerli gab es früher noch nicht, das nenne ich Innovation.» Etwas Spezielles zu kreieren, das ist Beyers Ziel, etwas, «das von den Mitbewerbern nur schwer zu kopieren ist». Sagts und lässt das Luxemburgerli zwischen den Zähnen verschwinden.