Eine Hand in der Hosentasche, die andere seinen blonden Wuschelkopf zerzausend, holte Boris Johnson am Sonntag zum riskantesten Schlag seiner politischen Karriere aus: die Herausforderung von Premierminister David Cameron im Kampf um die Zukunft Grossbritanniens.
Wenn die Wähler dem exzentrischen Londoner Bürgermeister folgen und am 23. Juni für den Austritt des Landes aus der Europäischen Union stimmen, könnte seine Wette aufgehen, in absehbarer Zeit Cameron als Regierungschef zu beerben. Sollten die Wähler aber für den Verbleib in der EU votieren, könnte das seine politische Zukunft verbauen.
Risikoreicher Kurs
Lange liess Johnson die Nation im Ungewissen, wie hoch er auf der politischen Karriereleiter steigen will und welche Risiken er dafür einzugehen bereit ist. Am Sonntag gab er das Versteckspiel auf. «Sie wollen meine Meinung zu Europa hören», fragte er scherzend die Dutzenden Journalisten, die vor seinem Londoner Haus darauf warteten, auf welche Seite sich Johnson beim Referendum schlagen würde. Die Ansage war eindeutig: «Ich werde für den Austritt werben.»
Es war der bislang kühnste Zug des populären Johnson auf dem politischen Schachbrett der Konservativen Partei, auf dem er sich gegen Cameron und Finanzminister David Osborne behaupten muss. Osborne, der Camerons EU-Kurs unterstützt, ist der härteste Rivale Johnsons im Kampf um die Nachfolge des Premiers.
Mit Kalkül zum Premierminister
Offenbar hat sich Johnson ausgerechnet, dass es lohnt, das hohe Risiko gegen Cameron und seine Gefolgsleute einzugehen. «Die Entscheidung von Boris, sich auf die Seite der Austritts-Kampagne zu schlagen, bedeutet eines: er denkt, dass dies die beste Gelegenheit ist, Premierminister zu werden», sagt Sonia Purnell, die Autorin einer kritischen Biografie über den Londoner Bürgermeister mit dem Titel «Just Boris».
«Seine Kalkulation: die Briten werden für den Brexit stimmen, das wird zu Camerons Rücktritt führen, und er wird schnell und triumphal zum Partei- und Regierungschef gekürt», sagt Purnell. Dem widerspricht Johnsons Vater Stanley, ein ehemaliger Europaabgeordneter der Konservativen, vehement: «Ich kann mir nichts vorstellen, was eine Karriere sicherer abwürgt, als das, was er gestern getan hat.»
Journalist mit Hang zu Exzentrik und Sarkasmus
Die EU und Brüssel haben das Leben des Alexander Boris de Pfeffel Johnson, wie der schillernde Politiker und Journalist mit vollen Namen heisst, jahrzehntelang geprägt. Als sein Vater leitender EU-Kommissionsbeamter und später EU-Abgeordneter wurde, pendelte Sohn Boris zwischen Brüssel und England hin und her. Ausgebildet wurde der am 19. Juni 1964 Geborene in den Elite-Schmieden Eton und Oxford, wo zu jener Zeit auch Cameron studierte.
1989 bis 1994 war er Korrespondent des «Daily Telegraph» in Brüssel, wo er im Pressekorps ausser durch sein exzentrisches Auftreten auch durch zynische und sarkastische Fragen auffiel. Mit Inbrunst bohrte er in Klischees, dass die EU sich vornehmlich mit so weltbewegenden Dingen beschäftige wie die Krümmung der Salatgurke oder die Grösse des EU-konformen Kondoms. Seine Standard-Einleitung habe gelautet: «Grossbritannien war gestern abend mal wieder isoliert, als Europa ...» kokettierte er mal.
15 Jahre politische Erfahrung
Nach seiner Rückkehr auf die Insel wurde Johnson Chefredakteur des Magazins «Spectator» und trat in einer populären Fernseh-Satireshow auf. Auf die grosse politische Bühne trat er mit seiner Wahl ins Unterhaus im Jahr 2001. Mehrere Skandale vor allem rund um sein Privatleben taten seiner Popularität keinen Abbruch. Mit seiner Wahl zum Bürgermeister der eher als linksorientiert geltenden Hauptstadt London 2008 bewies der Konservative, dass er über die Parteigrenzen hinaus populär war.
2012 wurde er für eine zweite Amtszeit gewählt und nutzte die Olympischen Sommerspiele, um seine Popularität weiter auszubauen. 2015 trat er wieder als Abgeordneter an und zog ins Unterhaus ein. Viele Beobachter werteten dies als ersten Schritt im Rennen um die Nachfolge Camerons, der erklärtermassen vor 2020 abdanken will. Der Premier führte die Konservativen zu einem unerwartet deutlichen Sieg, was ihn in der Partei erst einmal unanfechtbar machte und die Ambitionen Johnsons zunächst auf Eis legten. Mit dem anstehenden Brexit-Referendum sah er nun aber wohl die Gelegenheit gekommen, seinen Hut gegen Cameron in den Ring zu werfen.
(reuters/jfr)