Mit dem Wechsel von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nach Berlin gerät die komplexe Arithmetik in Brüssel durcheinander. Denn eigentlich müsste auf den SPD-Mann ein Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) an die Spitze des Parlaments folgen. So hat es Schulz zumindest mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber nach der Europawahl 2014 schriftlich vereinbart.

Das Problem: Sollte die Abmachung umgesetzt werden, wären alle drei Institutionen in der Hand der EVP, zu der auch CDU und CSU gehören. Denn mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk stellen die Konservativen schon die Präsidenten von EU-Kommission und EU-Rat. Der Vorsitzende der Sozialisten und Sozialdemokraten (S&D) im EU-Parlament, Gianni Pittella, hat schon deutlich gemacht, was er davon hält: gar nichts.

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Es geht um mehr

Da die EVP die mit Abstand grösste Fraktion im EU-Parlament stellt, könnte ihr der Unmut der S&D theoretisch egal sein, sofern sie mit Hilfe anderer Fraktionen eine absolute Mehrheit für ihren Kandidaten bei der Wahl Mitte Januar organisiert. Doch es geht um mehr, wie auch EVP-Chef Weber immer wieder hervorhebt.

Denn EVP und S&D hätten durch ihre grosse Koalition dafür gesorgt, dass es in der EU seit 2014 Reformen gegeben habe, sagt der CSU-Politiker. Da zugleich ein Schulterschluss des EU-Parlaments mit der Kommission - verstärkt durch die Freundschaft zwischen Juncker und Schulz - die Arbeit erleichterte, konnten Gesetze geräuschloser als früher auf den Weg gebracht werden. Zugleich wurden die EU-Staaten unter Zugzwang gesetzt, wichtige europäische Vorhaben nicht aufzuhalten.

Webers Befürchtung: Wenn S&D und EVP plötzlich im Parlament nicht mehr Hand in Hand arbeiten, würde sich für die Öffentlichkeit wohl bald der Eindruck einer blockierten EU verfestigen. Damit könnten populistische Parteien und EU-Gegner wohl noch mehr Auftrieb erhalten.

Oder doch die Liberalen?

Es ist also nicht ausgemacht, dass die EVP das Spitzenamt im EU-Parlament besetzt. Einen Kandidaten will sie Mitte Dezember bestimmen. Im Gespräch sind etwa der Franzose Alain Lamassoure, die Irin Mairead McGuinness und der Italiener Antonio Tajani. Weber selbst hat sich über eine Kandidatur noch nicht geäussert. Allerdings würde in seinem Fall die EU-eigene Arithmetik ins Spiel kommen, denn dass erneut ein Deutscher eine EU-Institution führt, stößt angesichts des Gewichts Deutschlands auf keine starke Gegenliebe.

Dass umgekehrt die EVP einen Kandidaten der S&D unterstützt, ist zurzeit aber auch noch nicht absehbar. Lachende Dritte des Mikados könnten die Liberalen sein. Die französische EU-Abgeordnete Sylvie Goulard hat bereits ihre Kandidatur angemeldet. Die Expertin für Finanzmarktregulierung spricht neben Französisch auch fliessend Deutsch, Englisch und Italienisch und wäre die einzige Frau an der Spitze einer eigenständigen EU-Institution.

Auch der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Belgiens ehemaliger Ministerpräsident Guy Verhofstadt, wurde als möglicher Kandidat für die Schulz-Nachfolge genannt. Die Liberalen monieren zudem, dass sie im EU-Postengefüge bisher zu kurz gekommen sind, obwohl sie mehrere Regierungschefs in Europa stellen.

Voraussichtlich am 17. Januar soll in Strassburg der neue Präsident des EU-Parlaments gewählt werden.

(reuters/ccr)