Altes und Neues zusammenbringen und daraus die Zukunft erschaffen. Diesen und keinen geringeren Anspruch hat Yunjo Lee. Derzeit beginnt die Vergangenheit für sie 1888 und endet im Heute. 1888 wurde das Juweliergeschäft Bucherer in Luzern gegründet. Zwischen diesem Ereignis und 2017 liegen Epochen, Revolutionen, Kriege.
Für das Traditionshaus hat Lee als Designerin die neue Schmuckkollektion entworfen, die auf den Namen Peekaboo hört, was Lochstickerei, aber auch Versteckspiel bedeutet. «Bucherer hat eine lange Vergangenheit, und es war für mich eine Herausforderung, etwas ganz Neues zu erschaffen und gleichzeitig die Tradition zu bewahren», sagt die gebürtige Koreanerin.
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In einer Zürcher Hotelsuite hat sie auf einem breiten Sofa Platz genommen. Sie trägt die schwarzen Haare kurz, ihr Kleidungsstil ist unaufgeregt elegant. Sie ist vor kurzem aus New York angereist, um weitere Details mit Bucherer abzusprechen.
Die Gruppe ist der grösste Uhren- und Schmuckanbieter Europas. BILANZ schätzt den Umsatz des verschwiegenen Hauses für 2016 auf 1,5 Milliarden Franken. Vertrieben werden Marken wie Rolex, Audemars Piguet, Piaget oder IWC. Daneben führt Bucherer eigene Kollektionen, wie die Uhrenmarke Carl F. Bucherer oder Schmucklinien namens Lacrima oder Vivelle – Peekaboo ist die neuste im Sortiment.
Schauspielernde Designerin
Entworfen hat Lee schon für die ganz Grossen: Neben Tiffany & Co., Michael Kors, Paloma Picasso auch für den Architekten Frank Gehry. Von Lee stammt der Schlossanhänger, den man von Tiffany-Ketten und -Armbändern kennt. Für jedes neue Design schlüpft sie in die Rolle des Auftraggebers: «Ich sehe mich mehr als Schauspielerin denn als Designerin.»
Als sie für Picasso arbeitete, versuchte Lee, sich ganz in deren Person zu versetzen, deren Vokabular anzunehmen, um herauszufinden, was sie ausmacht, welcher Stil zu ihr passt. Hatte sie am selben Tag noch einen Termin mit Gehry, stellte sie sich völlig neu ein. «Es fällt mir sehr leicht, mich anzupassen und Gewohnheiten zu übernehmen», sagt Lee mit leiser, ruhiger Stimme. Bei Bucherer war das anders. «Statt mich in die Marke hineinzuversetzen, habe ich auf sie reagiert.»
Inspiration von anderen Frauen
Für die Bucherer-Kollektion setzt Lee auf Pastelltöne, jedes Stück richte sich an die «moderne Frau, die ihr Leben geniesst und sich auf das freut, was noch kommt». Eine bestimmte Altersgruppe hat Lee dabei nicht im Auge. «Ich möchte alle Frauen mit dieser Lebenseinstellung ansprechen.»
Inspiration holte sie sich dafür von anderen Frauen. «Ich zeige Ihnen den Entstehungsprozess», sagt sie, nimmt ihr Tablet zur Hand und öffnet eine Präsentation. Auf jedem Slide hat sie kleine Collagen zusammengestellt: Farben, Formen, Frauen. Sie spricht von «Pfirsichpink», «Wasserblau» und einem «weichen Gelbton»: drei Farben, die weiblich, leicht und jugendlich wirken sollen. «Ich beginne immer mit der Frau, und ich frage mich, wer sie ist.»
Der erste Name, der ihr bei Bucherer in den Sinn kam, war Grace Kelly. «Für mich verkörpert sie die Vergangenheit von Bucherer», sagt Lee und öffnet ein weiteres Slide. Zu sehen sind nun die Schauspielerinnen Cate Blanchett und Michelle Williams, die, wie Lee sagt, zur Weiterentwicklung der Marke passen.
Und dann kommt sie zum Ende und damit zum Hier und Jetzt. Da blickt einem Marie Antoinette entgegen. Es gehe ihr nicht um die Klischees, mit denen die ehemalige Erzherzogin von Österreich in Verbindung gebracht werde, sagt Lee, sondern um die immer wiederkehrende Neuerfindung einer Figur, die Künstler und Filmproduzenten über Jahre hinweg inspiriert hat. «Sie ist eine Ikone und steht für mich für verspielte Weiblichkeit, Leichtigkeit und Romantik.»
Luxus im Blut
Attribute, die auch im Schmuckdesign immer aktueller würden, so die Designerin. Wenn es um die Kombination von Schmuck- und Kleidungsstil gehe, würden viele Frauen immer experimentierfreudiger. «Casual und Urban Style liegen im Trend, man wird viel entspannter, wenn es um die Schmuckauswahl geht.» Diese neue Risikofreude wolle sie in ihrem Design widerspiegeln. Daher auch die Namenswahl: «Peekaboo soll überraschen.»
Eigentlich hatte die feingliedrige Koreanerin nie vor, Designerin zu werden. Als kleines Kind erlebte sie, wie ihre Mutter als Schneiderin Kleider für die koreanische High Society entwarf. «Sie hatte ihr Atelier zu Hause, und ich verstand schon früh, was Stil und Luxus bedeuten – ich atmete es sozusagen ein», sagt Lee. Später wollte sie – genau wie ihre zwei Tanten – als Künstlerin tätig sein. Als Lee dann frisch mit ihrem Abschluss in moderner Kunst von der Uni kam, wollte ihr niemand einen Job geben – ausser einem Schmuckhersteller.
Dieser Text erschien in der November-Ausgabe 11/2017 der BILANZ.