Der Mann heisst Oscar Steffen, ist Direktor Schmuck bei Bucherer – und er ist einer, der zu klaren Vorstellungen steht. «Design», so heisst es jedenfalls auf einem Plakat in seinem Büro, «ist Kunst, die sich nützlich macht.» Manchmal, so ergänzt Steffen, sage er statt nützlich auch glücklich.
Hinter Oscar Steffen hing lange ein anderes grosses Plakat mit Dutzenden von kleinen Bildern darauf. Eine Art-déco-Teekanne zum Beispiel, alte Filmszenen, Vintage-Schmuck, das Chrysler Building in New York, Fotos von Mode-Defilees und viel Architektur – von Oscar Niemeyer etwa, einem brasilianischen Star-Architekten, der Oscar Steffen schon immer sehr fasziniert hat.
Moodboards nennen Kenner solche Plakate mit Fotografien, Grafiken, Skizzen und Textfragmenten – im Designgeschäft ein wichtiges Arbeitsinstrument. Es ist eine Inspirationsquelle und eine Art Anmutungswegweiser für geplante Produkte: Farben, Formen, Materialien und vor allem die Grundidee eines Designs werden so in die gewünschte Richtung gelenkt.
Aufgepeppt, aber ohne Bling-Bling
Bucherer, so muss man wissen, hat auf den Herbst eine neue Schmuckkollektion lanciert. Und was so fast beiläufig gesagt werden kann, ist für die Marke eine riesige Sache. Erstens weil es bei Bucherer nur wenige Kollektionen gibt und mithin jede ein grosses Gewicht hat. Zweitens weil die neue Linie das Image das Juweliers entscheidend prägen wird. Das Traditionshaus wird moderner, dynamischer und jünger – natürlich ohne auf Bling-Bling und Effekthascherei zu setzen.
Wie aber schafft man eine neue Kollektion? Was sind die wichtigsten Etappen? Bei Bucherer startete der Prozess vor exakt anderthalb Jahren. Sechs Monate wurden für den kreativen Teil gebraucht, neun Monate dauerte die Umsetzungsphase, in der Konstrukteure, Goldschmiede, Edelsteinfasser und Polisseure die Designskizzen zu greifbaren Preziosen materialisierten.
Ganz am Anfang standen die Vorgaben, wie Schmuckdirektor Oscar Steffen erklärt. Man wollte Schmuck in allen Preislagen haben, konkret geht das von 3'000 bis 500'000 Franken, man wollte Schmuck, der über Jahre Bestand haben wird, man wollte Schmuck für die moderne Frau, und man wollte eine flexible und auch in Zukunft ausbaubare Kollektion. Der Name klingt ein wenig wie ein Hoch auf die Weiblichkeit: Vive Elle heisst die Kollektion, laut Bucherer auch «eine Hommage an die Leichtigkeit des Seins».
Nur, so wendet Oscar Steffen rhetorisch selber ein, leben wir in einem Markt, in dem es praktisch schon alles gibt. Wie also positioniert man die neue Kollektion?
Zu dieser Ausgangsfrage liess Steffen Moodboards für acht Themenrichtungen ausarbeiten. Und setzte dann, wie er selber sagt, auf «Schwarmintelligenz».
Abstimmung an der Verkaufsfront
In jeder Bucherer-Boutique gibt es jeweils eine Schmuckverantwortliche oder einen Schmuckverantwortlichen. Sie alle mussten, um die acht Richtungen auf drei zu reduzieren, ihre Favoriten angeben. Der tiefere Grund für das Verfahren leuchtet ein: Niemand kennt die Kunden so gut wie die Leute an der Verkaufsfront. Selbstverständlich hatte Oscar Steffen aber auch seine eigene Vision der drei Favoriten. Und zu seiner Freude deckte sie sich haargenau mit dem Resultat der Umfrage. Die drei Gewinnerthemen waren Architektur, das Jahr 1888 sowie New Art déco.
Das muss natürlich etwas erläutert werden: Architektur steht für klare Formen und sichtbar gebaute Dreidimensionalität, etwa bei den Fassungen der Steine. 1888 ist das Gründungsjahr von Bucherer, die Zahl steht für Tradition und ist nebenbei dreifach mit der chinesischen Glückszahl Acht versehen. New Art déco steht für eine moderne Interpretation von Art déco, wie sie derzeit sehr angesagt ist. Art déco war in der Designgeschichte eine Bewegung von 1920 bis 1940, ein Aufbruch der klassischen Moderne, der eine gestalterische Verbindung von Eleganz der Form, Kostbarkeit der Materialien, Stärke der Farben und Sinnlichkeit der Thematik anstrebte – das klingt ein bisschen wie das Grundrezept für schönen Schmuck.
Hochkaräter
Am Schluss funkelten bei Bucherer 18 Schmuckstücke in den Schatullen. Zum Beispiel zwei glamouröse Platinringe mit Diamanten von über fünf Karat im Ovalschliff. Oder aus feinen Gliedern gefertigte Diamantcolliers von über zehn Karat mit passendem Armschmuck aus Weissgold. Dazu auch Ohrstecker oder Ohrringe mit allerlei Brillanten und ein eindrückliches Sautoir mit gegen 1000 Diamanten – tragbar tagsüber, wenn Casual Chic angesagt ist, oder am Abend zur Gala-Soirée. Dazu passen etwa auch die zierlichen Bracelets aus 18-Karat-Weissgold, ebenfalls neu in der Kollektion.
Leichtigkeit und Beweglichkeit seien oberste Maxime gewesen, sagt Bucherer-CEO Guido Zumbühl. Und unterstreicht, wie wichtig das Projekt für Bucherer ist. Mit Schmuck, so Zumbühl, könne man die Markenidentität von Bucherer definieren und behutsam in die Zukunft führen. Mit anderen Worten: Traditionsfirmen, die sich nicht entwickeln, drohen mit der Zeit etwas altbacken zu wirken. Vive Elle stehe deshalb bei Bucherer für Mut, für zeitgemässen emotionalen Schmuck. Generell habe Markenschmuck ein grösseres Wachstumspotenzial als Uhren, sagt Zumbühl, und gerade in Europa seien die jüngsten Zahlen sehr ermutigend. Besonders die Sparte Bridal, also Schmuck zur Verlobung und zur Hochzeit, erlebe einen Boom, vor allem bei einer jüngeren Klientel.
Bucherer ist übrigens der grösste Uhren- und Schmuckverkäufer Europas mit einem von der «Handelszeitung» auf über eine Milliarde geschätzten Umsatz. Die Marke hat fünfzehn Geschäfte in der Schweiz, acht in Deutschland, eines in Wien. Und am Boulevard des Capucines in Paris eröffnete das Luzerner Unternehmen im Frühling 2013 sogar das grösste Uhren- und Schmuckgeschäft der Welt. Die Verkaufszahlen, so sagt CEO Guido Zumbühl, seien sehr erfolgversprechend.
Hinter solchen Fakten steckt ein Mann, der sehr ungern in der Öffentlichkeit steht. Jörg G. Bucherer, Inhaber und VR-Präsident von Bucherer, ist der Architekt des Erfolges. Und auch ein Mann mit klaren Vorstellungen: «Im Schmuck», so pflegt er zu sagen, «verbinden sich handwerkliche Technik und kreative Kraft zu Kunstwerken der Begehrlichkeit.»
Der Mann weiss genau, wovon er spricht.