Jean-Christophe Babin (59), Chef des feinen italienischen Schmuck- und Uhrenlabels Bulgari, sitzt in der Private Lounge des Bulgari-Shops, im Hotel, das er kürzlich in Shanghai eröffnet hat. Designt wurde das Fünfsternehaus vom renommierten italienischen Architekturbüro Antonio Citterio Patricia Viel, geführt wird es von der Marriott-Gruppe. Babin, tags zuvor aus Rom eingeflogen, hat vor 200 Journalisten aus aller Welt neue Uhren präsentiert, am Abend ein Galadiner abgehalten, bis tief in die Nacht gefeiert, kaum geschlafen. Seit acht Uhr in der Früh sitzt er da, gibt Interview um Interview. Es ist 17 Uhr.
Bonjour, Monsieur Babin …
Jean-Christophe, das passt mir besser. Ihr Name?
Iris.
Schön, dass Sie da sind. Was wollen Sie von mir wissen?
Wie Sie einen solchen Marathon durchstehen.
Ich hatte schon als Baby sehr viel Energie, das ist heute noch so, meine Natur. Zudem: Das hier ist einer unserer wichtigsten Events. Ich bin der Gastgeber und da, um die Marke zu repräsentieren. Mit anderen Menschen zusammenzusein, macht mich munter, nicht müde, es ist ja auch oft interessant. Heute hatte ich beispielsweise einen ausgesprochen spannenden Lunch mit chinesischen Sammlern.
Was ist für Sie herausgesprungen?
Sammler bringen gern ihre Sammlung mit, und ich habe einige unglaubliche Uhren zu sehen bekommen.
Haben Sie auch etwas verkauft?
Das wird sich zeigen. Wir brachten jedenfalls extra für dieses Treffen einige Meisterstücke aus der Schweiz mit und dazu einige ausgewählte Schmuckstücke aus Rom, da die meisten Sammler von ihren Ehefrauen begleitet wurden. Nach dem Lunch habe ich mich verabschiedet.
Was ist bei dieser Kundschaft matchentscheidend?
Es braucht immer wieder etwas Neues, das Begehren muss in unserer Industrie immer neu geweckt werden. Grundsätzlich kann man ja ein ganzes Leben ohne so ein Produkt leben.
Der Profi
Jean-Christophe Babin, Italo-Franzose, ist seit 2013 Bulgari-CEO. Davor führte er die Uhrenmarke TAG Heuer, die wie Bulgari dem Luxuskonzern LVMH gehört. Seine Karriere startete er im Marketing und Verkauf von Procter & Gamble, Benckiser und Henkel. Babin ist Vater von fünf Kindern.
Ihre grössten Konkurrenten?
Natürlich andere Schmuck- und Uhrenhersteller. Aber nicht nur. Unsere Kunden entscheiden zwischen einer Woche Malediven und einem Schmuckstück. Heisst: Als Konkurrenz gilt alles, was sich um ein verfügbares Einkommen bewirbt. Das wird sich noch intensivieren.
Ah, was läge da näher, als Hotels zu eröffnen …
Auch. Heute reden alle von Brand Experience. 2004, als mein Vorgänger das erste Bulgari-Hotel eröffnete, existierte das Wort noch gar nicht. Aber genau darum geht es natürlich.
Konkret?
Italienisches Interior Design, künstlerische Inspiration, wertvolle Materialien – alles Teil von Bulgari. Von dieser Idee ausgehend, starteten wir eine Art Showroom in unserem Mailänder Hotel, um zu testen, ob so etwas funktioniert. Auch finanziell.
Und?
Wenn es nicht so wäre, hätten wir es wohl beim Mailänder Hotel belassen. Jede Kategorie in unserer Marke hat eine eigene Benchmark in Relation zu den Mitbewerbern. Und ich würde sagen, unser Modell im Bereich Hotel ist sehr kompetitiv.
Gibt es Fakten dazu?
An allen sechs Standorten erzielen wir die höchsten Zimmerpreise. Und wir sind überall führend bei der in der Industrie wesentlichen Quote RevPAR, also beim Umsatz pro verfügbarer Zimmerkapazität. Wir haben es über die Jahre geschafft, im Hotelbereich eine führende Marke zu werden.
Wie?
Wir gehen gleich vor wie bei einem Collier. Es besteht aus lauter exklusiven und einzigartigen Steinen. Jedes unserer Hotels ist anders, passt aber 100 Prozent zu Bulgari. Alle Hotels zusammen ergeben eine prächtige, singuläre und in sich stimmige Hotelkette.
Wie lang soll sie werden?
Wir peilen 15 an. Seit ich übernahm, habe ich von 90 möglichen sechs Hotelprojekte gestartet. Wir sind sehr selektiv, und wir setzen uns nie eineDeadline. Wir wollen auf jeden Fall ein Hotel in New York und eines in Los Angeles. Aber es wäre verrückt, sich dafür einen Termin zu setzen. Wenn wir die richtige Location gefunden haben, legen wir aber sofort los. Sich Zeit lassen ist das einzig Richtige, denn es geht um etwas sehr Langfristiges. Von allen Investments, die wir tätigen, sind Hotels diejenigen mit dem längsten Zeithorizont.
Planen Sie auch ein Hotel in der Schweiz?
Ein Bulgari-Hotel funktioniert nur, wenn es keine Saisons gibt. Der hohe Preis, den man zahlt, funktioniert nur mit einem Superlativservice. Den zu garantieren, ist sehr schwierig in einer temporären Destination, wenn das Personal im Winter hier arbeitet, im Sommer dort. Mit einer Boutique, in der fünf Leute arbeiten, kann man das machen, aber in einem Hotel mit 300 Mitarbeitern und unseren Ansprüchen geht das nicht. Das ist wie ein Orchester – jeder Musiker ist ein Mitglied, und je öfter sie zusammen spielen, desto besser spielen sie zusammen. Deshalb: Der Ort, an dem wir ein Hotel eröffnen, darf kein Sommer- oder Winterort sein. Wenn Schweiz, dann Zürich.
Jean-Christophe Babin eröffnet ein Bulgari-Hotel nach dem anderen. 2017 in Peking und Dubai, 2018 in Shanghai. Je eines in Moskau, Paris und Tokio ist im Bau. Der Ehrgeiz ist gross, die Hotels selber sind klein: Dasjenige in Peking hat 119 Zimmer, das in Shanghai 82, und das in Moskau wird 62 haben. Damit will Babin hoch hinaus. «Wir wollen die führende Luxushotelkette der Welt werden», sagt er, «und wir werden überall die höchsten Zimmerpreise haben.» In Shanghai bedeutet das 550 Euro pro Nacht. Exorbitant wird der Preis nur in Relation zu den Tatsachen: Erstens kosten die Zimmer der noblen Konkurrenz vor Ort gerade mal rund halb so viel, zweitens beträgt der jährliche Durchschnittslohn in Shanghai 7350 Euro.
Babin will in den Hotels demonstrieren, was im Hause Bulgari unter Luxus verstanden wird. Dazu gehören neben Dolce Vita, edelstem Italo-Interior-Design auch Details wie eine Dusche, bei der das Wasser vom ersten Tropfen an in der richtigen Temperatur sprudelt. Und natürlich italienisches Essen. Die Hotelrestaurants werden vom Drei-Sterne-Koch Niko Romito kuratiert.
Der erste Luxusgüterproduzent, der zur Feier der eigenen Marke bereits im Jahr 2000 ein Hotel eröffnet hat, war Versace mit dem Palazzo Versace an der Gold Coast Australiens. Inzwischen betreiben etliche Luxusbrands eigene Hotels: Ferragamo in Florenz, Armani in Mailand und Dubai, Fendi in Rom. Nun will auch Roberto Cavalli gross einsteigen. Anfang Oktober hiess es, in den nächsten zehn Jahren würden «mindestens fünf» Nobelherbergen eröffnet. Hierzulande steigt Audemars Piguet in den Reigen ein: Neben dem eigenen Museum im Vallée de Joux entsteht ein 50-Zimmer-Hotel mit Restaurants, Bar, Spa und Konferenzzentrum. Die Eröffnung ist für 2020 geplant.
Und was planen Sie in Ihrem Kerngeschäft?
Bei den Uhren wird in den Linien Serpenti, Divas’ Dream und Lucea sicher einiges gehen, bei der Herrenlinie Octo ebenfalls. Es wird aber auch eine neue Damenuhrenlinie geben.
Billiger oder teurer?
Preislich nahe an der Serpenti, aber mit einem ganz anderen Design, da wir eine andere Klientel ansprechen wollen. Zudem wird es weitere Schmuckkollektionen geben und auch im Bereich Accessoires noch das eine oder andere. Wir werden ausserdem viele Verkaufspunkte in Multimarkengeschäften schliessen.
Dies greift derzeit um sich – alle wollen Monobrand-Stores. Was steckt dahinter?
Ein Teil des Begehrens hat mit Exklusivität zu tun. Wir haben sophistizierte Produkte, und es braucht Qualifikation, um diese zu verkaufen. Schmuck werden wir nur noch in eigenen Läden verkaufen, denn es kommt uns auch sehr darauf an, wie ein Produkt verkauft wird und wo. Bei den Uhren werden wir aber weiterhin mit spezialisierten Fachgeschäften zusammenarbeiten.
Warum?
Bulgari-Boutiquen sind Schmuckläden. Da gehen Männer eher nicht hinein.
Was gefällt Ihnen eigentlich an Uhren?
Mich faszinieren Mikrotechnik, Kreativität, Handwerk, die Kombination von Kunst und Technologie.
Stichwort Tech: Wann kommt die Bulgari-Smartwatch?
Wir haben keine typische Smartwatch, sondern eine klassische mechanische Uhr mit einem NFC-Chip, der es erlaubt, Passwörter zu speichern. Wir wollten sie auch mit einem Bezahlmodus ausstatten, aber es gibt noch kein Zahlungsmittel, das global einsetzbar ist. Ohne ist das für uns nichts, denn wenn ein Kunde irgendwo nicht mit der Uhr bezahlen kann, denkt er nicht, der Fehler liege bei den Banken, sondern bei uns. Das können wir uns nicht leisten.
Ist Onlineverkauf ein Thema?
Ja, das entwickeln wir gerade. Denn damit können wir viele Kunden erreichen und Städte, in denen wir selber nie sein werden, weil wir dort das Geschäft nicht profitabel betreiben könnten.
Ihre Wachstumsambitionen?
Beim Schmuck gehören wir zu den Top 3. In zehn Jahren wollen wir Marktführer sein. Bei den Uhren sind wir noch ein Outsider und wollen unter die Top 10. Das ist machbar, braucht aber viel Disziplin, Energie und Ressourcen.
Uhren werden also immer wichtiger?
Nein, Schmuck ist unser Fokus, finanziell wie kreativ. Das ist unsere DNA, da kommen wir her, und da sehen wir auch das grösste Potenzial.
Warum veranstalten Sie denn ein solches Aufheben wie hier in Shanghai, wohin Sie eingeladen haben für die Lancierung von ein paar Uhrenneuheiten?
Wie gesagt, wir wollen von den Top 20 in die Top 10. Dafür muss man sich anstrengen. Wir haben sehr viel Know-how für Klangfedern und mechanische Uhrwerke und strengen uns an, hier die gleiche Glaubwürdigkeit zu erlangen, wie wir sie bei Damenuhren schon lange haben. Konkret heisst das: Wir wollen mit einigen wenigen Komplikationen brillieren, zum einen mit Klangfedern, denn Töne, welche die Zeit per Gong anzeigen, sind eine der kunstvollsten und auch schwierigsten Komplikationen überhaupt. Zum anderen mit unseren sehr flachen Uhren.
Was ist das Schwierigste in Ihrem Job?
Talente zusammenzubringen, ohne zu behaupten, man sei selber eines. Ein Dirigent ist kein Musiker. Er interpretiert eine bestimmte Musik in einem bestimmten Tempo und versucht das Maximum aus dem begnadeten Kollektiv herauszuholen.
Und wie machen Sie das?
Indem ich sehr darauf achte, mich nicht als Experte aufzuspielen. Ich behaupte nicht, ich könnte den Job meiner Leute besser machen, beanspruche aber für mich, dass ich dafür sorgen kann, dass unsere fünf verschiedenen Geschäftsbereiche kohärent sind, von oben bis unten, von unten bis oben.
Das heisst?
Deshalb gehe ich hier in Shanghai nicht nur zum Managing Director des Hotels, sondern auch in die Küche und zu den Zimmermädchen. Nur so kann ich sicherstellen, dass alle auf unserer Linie stehen.
Links und rechts davon geht nichts?
Nein. Disziplin ist enorm wichtig. Es gibt keine Toleranz.
Sie schlagen also einen Kurs ein, und alle müssen stur mithalten?
So ist es. Alles, was nicht zu dem passt, was wir festgelegt haben, machen wir auch nicht. Ich erlebe immer wieder, dass jemand frustriert ist, wenn ich ihm sage, seine Idee sei zwar interessant, aber sie bekomme keine Priorität. Ich verstehe das auch. Aber: Nein sagen zu können, ist in meinem Job sehr, sehr wichtig.
Welches sind die Trends im Luxusgeschäft?
Ich kenne nur Schmuck, Uhren und Hotellerie, kann also nicht für die ganze Industrie sprechen. In unseren Kategorien zählt Handwerkskunst je länger, je mehr. Und Kontinuität.
Kontinuität? Vorher sprachen Sie davon, das Begehren ständig mit Neuem zu befeuern.
Die Herstellung unserer Stücke braucht Tage, Wochen, gar Monate. Gekauft werden sie meist aus sehr besonderem Anlass. Wenn wir eine neue Kollektion lancieren und nach fünf Jahren wieder aus dem Sortiment streichen, wäre das respektlos gegenüber all denen, die sich ein Stück daraus gekauft haben. Wenn wir also etwas Neues lancieren, dann mit der moralischen Pflicht, die Langfristigkeit zu garantieren – ohne natürlich selbst die Garantie zu haben, dass wir mit dem jeweils Neuen Erfolg haben werden.
Apropos moralische Pflicht: In der Branche sprechen alle von Nachhaltigkeit, fairen Arbeitsbedingungen und so weiter. Ein Thema für Sie?
Ja, schon seit vielen Jahren. Wir achten sehr darauf, aus welchen Minen unser Gold kommt und von wem wir unsere Edelsteine beziehen. Einen Beitrag zu leisten zur Verbesserung von Lebensbedingungen und Umständen von Menschen, die nicht so privilegiert sind wie wir und unsere Kunden, ist Pflicht – und Teil der Verantwortung von jedem Unternehmen. Seit 2009 pflegt Bulgari eine intensive Partnerschaft mit Save the Children. Wir haben dem Hilfsprojekt bisher mit verschiedenen Initiativen 80 Millionen Dollar überwiesen.
Bulgari gehört seit 2011 zum Luxusgüterkonglomerat LVMH. Bernard Arnault ist Ihr Chef. Sehen Sie ihn oft?
Wir sind ein paar Mal pro Jahr miteinander auf Reisen, sehen uns etwa alle zwei Monate in Paris. Wenn er etwas hat, schickt er mir eine WhatsApp. Wenn ich etwas habe, schicke ich ihm eine. Unsere Kommunikation ist grösstenteils informell. Zudem haben wir dreimal im Jahr recht formelle Treffen in Paris, wo es um Planung und Strategie geht. Wie ich nimmt auch Monsieur Arnault gern den Puls von Mitarbeitern auf allen Stufen. Im November kommen wir dafür zusammen hierher nach China.