Er ist ein gefragter Mann: Als Ex-Chef von «Wall Street Journal» und «Washington Post» kennt Marcus Brauchli die amerikanische Medienszene wie kaum jemand sonst. Mit einem kleinen Team in einem Vorort von Washington analysiert er die globalen Trends und investiert in Internetplattformen. Doch natürlich treibt auch Brauchli die grosse Frage um: Welche Rolle spielen denn die klassischen Medien noch im Trump-Zeitalter?

Das Credo aus der grossen Zeit der «Washington Post» lautet: «Journalismus ist der erste Entwurf der Geschichte.» Gilt das heute noch?
In dieser Form nicht. Heute hat fast jede Person eine Stimme und kann ihre Ansichten global verbreiten. Die klassischen Medien sind nicht mehr wie früher der erste Überbringer von News. Sie sind heute meistens nur noch die ersten Interpreten der Fakten. Und diese Interpretationen haben sich deutlich polarisiert.

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Wie kam es dazu?
Es war in den neunziger Jahren das Kabelfernsehen, das erstmals ökonomische Anreize schuf, sich an den Rand des ideologischen Spektrums zu bewegen. Roger Ailes von Fox News stellte fest, dass sich alle Nachrichtensender im Zentrum der politischen Berichterstattung befanden. Er schuf am rechten Rand einen speziellen Platz, auf dem die Werbewirtschaft gezielt bestimmte Zuschauergruppen erreichen konnte – die Urform der zielgerichteten Werbung, mit der Facebook und Google heute die Werbung im Netz dominieren. Kabel-TV war ein Vorbote der Fragmentierung des Internets.

Und dann zogen die anderen nach?
Nachdem Fox nach rechts gegangen war, blieb CNN zunächst lange noch in der Mitte. Doch durch die Medienkrise und die zurückgehenden Anzeigenerlöse musste der Sender seinen aufwendigen Recherche-Journalismus zurückfahren. Er setzte auf kostengünstigeren Kommentar-Journalismus. Zudem riefen die verbliebenen Anzeigenkunden nach einer vertikalen Ziel gruppe ohne grosse Streuverluste. Und so positionierte sich CNN immer stärker auf der linken Seite des Spektrums.

Schweizer Wurzeln

Marcus Brauchlis Grosseltern wanderten von Bern in die USA aus, der 57-Jährige ist schweizerischamerikanischer Doppelbürger und wuchs in Boulder, Colorado, auf. Nach Studien an der Columbia University und in Harvard ging er zum «Wall Street Journal» und stieg zum Chefredaktor auf. Er verliess das Finanzblatt nach der Übernahme durch Rupert Murdoch und wurde 2008 Chef der «Washington Post». Vier Jahre später gab er seinen Rücktritt bekannt. Heute leitet er die von ihm gegründete Investmentfirma North Base Media, die weltweit in Medien investiert.

Marcus Brauchli, Ex-Chef des „Wall Street Journal” und der „Washington Post”
Quelle: Ben Baker/Redux/laif

Und die grossen Zeitungen wie die «New York Times» oder die «Washington Post»: Sind sie auch nach links gerutscht?
Auch sie fragten sich durch die Fragmentierung im Internet: Wo liegt unsere Expertise, wo können wir Zuschauer erreichen und halten? Sie bauten ihr Produkt um diese Zielgruppen auf. Die «New York Times» ist liberal und spricht global orientierte, kulturell interessierte Leser in der ganzen Welt an. Die «Washington Post» setzt seit der Wahl Trumps klar auf politische Berichterstattung und hat ihren Einsatz auf diesem Gebiet deutlich hochgefahren. Der Slogan auf der Titelseite lautet «Democracy Dies in Darkness». Das ist eine klare Mission des Widerstands gegen Trump.

Das bestätigt doch den Präsidenten, der den Leitmedien voreingenommene Berichterstattung vorwirft und sie als «Fake News»-Plattformen bezeichnet.
Die Ausrichtung der genannten Plattformen macht es ihm leicht, bei seinen Unterstützern Bestätigung zu bekommen. Natürlich sind die «Fake News»-Vorwürfe eine Vereinfachung und keine überzeugende Interpretation: Wenn Kommentatoren gegen ihn sind oder sich Medien auf eine bestimmte Kundschaft konzentrieren, die ihn kritisch sieht, heisst das noch lange nicht, dass ihre Produkte Fake News verbreiten. Es gelten noch immer professionelle journalistische Standards, und die sind bei diesen Titeln sehr hoch.

«Es ist hart und teuer, guten Journalismus zu machen.»

Aber sie zählen heute offenbar nicht mehr viel.
Social Media gibt den Lesern den Eindruck, dass es gar nicht schwierig sei, professionelle Inhalte zu produzieren. Journalismus wird nicht mehr als hohe Kunst angesehen. Plattformen wie Breitbart oder Info Wars recherchieren nicht, sondern propagieren Quellen, die ihre Weltsicht teilen, und ihr Content sieht fast so aus wie bei CNN oder «New York Times». Dabei ist doch die Realität: Es ist hart und teuer, guten Journalismus zu machen, und es braucht Jahre des Aufbaus. Professionelle Berichterstattung ist ein Metier, das man lernen muss. Doch Breitbart oder Info Wars haben es nie gelernt. Leider sehen das ihre Nutzer jedoch nicht – sie bleiben in ihren Gruppen, die denken wie sie. Das unterminiert die Glaubwürdigkeit von Journalismus und scheint Trumps Anschuldigung zu bestätigen, dass es viele Fake News gibt.

Die «Washington Post» hat nachgerechnet, dass Trump von seinem Amtsantritt bis Anfang November 6420 Lügen oder Unkorrektheiten verbreitet hat. Das sind etwa zehn pro Tag – aber es scheint ihm nichts anhaben zu können.
Es gibt schon Signale, dass die Frustration seiner Basis steigt, allerdings weniger wegen der Berichterstattung seiner Gegner. Seine eigenen Kommentare über spezielle Themen schaden ihm bei seinen Anhängern. Er verliert etwa seine Unterstützung beim Militär. Er attackiert Männer, die er zuvor als grosse Generäle aufgebaut hat. Er hat seinen Sicherheitsberater H.R. McMaster gefeuert, er lästert über Stabschef John Kelly und Verteidigungsminister Jim Mattis. Im Militär wächst der Eindruck, dass er jeden verrät. Das schadet ihm.

«Durch Trump haben die klassischen Medienmarken wieder an Bedeutung gewonnen.»

Die Medienvertreter nennt er «Feinde des Volkes» – und niemand protestiert wirklich, obwohl Redefreiheit im First Amendment der amerikanischen Verfassung eigentlich als Heiligtum gilt.
Trump hat die Institutionen der USA reihenweise delegitimiert. Er hat den Kongress delegitimiert, den Supreme Court und das Justizministerium. Und natürlich versucht er auch, die Medien zu delegitimieren. Das ist ein sehr zerstörerisches Verhalten für eine grosse Demokratie. Aber ich glaube nicht, dass die Medien vor ihm einknicken.

Warum nicht?
Weil sie profitieren, wenn sie ihre Arbeit gut machen. Die Bürger interessieren sich viel mehr für Politik als früher. Trump hat seine Welt des Reality-TV auf das Land übertragen. Digitale Medien und die Kabelkanäle laufen so gut wie lange nicht. Die Bürger verfolgen mit grosser Intensität diese riesige Soap-Opera.

Wie stark profitieren die Medienplattformen davon finanziell?
Die Geschäftsmodelle der etablierten Medienhäuser standen schon vor Trump massiv unter Druck, viele Nutzer wandten sich von den klassischen Medien ab. Durch Trump haben sie jetzt wieder an Bedeutung gewonnen. Sie haben Modelle gefunden, die funktionieren, vor allem Abo-Systeme für digitale Kunden. In diesem grossen, wilden und undifferenzierten Ozean von Inhalten suchen die Bürger immer stärker wieder Inseln der Klarheit.

Also ist Trump auch ein Segen.
Er hat auf jeden Fall das Bedürfnis nach vertrauenswürdigen Informationen verstärkt. Trump sagt ja selbst: «Die Medien brauchen mich, und sie werden mich vermissen, wenn ich weg bin.» Das stimmt sicher bis zu einem gewissen Grad. Aber natürlich behauptet das jeder Demagoge von sich, und wenn er nicht mehr da ist, geht es auch ohne ihn weiter, und das Interesse an Politik bleibt hoch.

Schwarz oder weiss, Herr Brauchli?

Washington oder New York? New York – mehr Kultur, und es geht nicht nur um ein Thema.

Rupert Murdoch oder Jeff Bezos? Jeff Bezos, weil er eine bessere Vision der Zukunft hat.

Trump oder Macron? Macron, weil er für wichtige Werte dieser Zeit steht.

Tencent oder Facebook? Tencent ist innovativer und vielfältiger.

Schweiz oder EU? Da berufe ich mich auf Neutralität.

«Financial Times» oder «Wall Street Journal»? Solange ich in den USA lebe: «Wall Street Journal».

Zürich oder Genf? Zürich kenne ich viel besser.

Jogging oder Golf? Jogging – Golf habe ich nie probiert.

Wein oder Bier? Rotwein.

Heisst das für die Medienunternehmen: Der Boden ist erreicht?
Für die grossen Medienhäuser gibt es in der Tat Grund zu der Annahme, dass die Transformation zu erfolgreichen Multimedia-Plattformen gelungen ist. Lokale oder regionale Medien haben dagegen noch immer Existenzsorgen – in den USA wie auch in Europa.

Wie weit können die klassischen Medien von der Imagekrise Facebooks profitieren?
Die Reputation hat stark gelitten. Facebook wusste, dass über die Plattform Nutzer manipuliert wurden, doch die Firma handelte nicht. Sie folgte der Silicon-Valley-Ideologie vom freien Markt und zog sich einfach auf die Haltung zurück: Wir bieten nur eine Plattform, doch was die Leute bei uns machen, ist nicht unsere Sorge. Das war unverantwortlich.

Facebook setzte sogar eine PR-Agentur zur Bekämpfung seiner Gegner ein, wie die «New York Times» aufdeckte.
Jedes Mal, wenn sich eine Blase aufbaut, entsteht auch Hybris. Das sehen wir jetzt im Silicon Valley, das haben wir früher an der Wall Street gesehen. Die Verantwortlichen halten sich für unfehlbar und können sich nicht vorstellen, dass sie irgendetwas falsch machen. Mich erinnert der Fall von Facebook an die Untersuchungen der Kartellbehörden gegen Microsoft. Bill Gates schrieb kriegerische Mails und ging davon aus, dass sie niemals vor Gericht landen würden. Er täuschte sich. Doch es war ein Weckruf für Microsoft: Die Firma hat ihr Verhalten komplett verändert.

Trump geht jedoch nicht auf Facebook, sondern auf Amazon los. Er droht, den E-Commerce-Riesen zu zerschlagen.
Er stört sich vor allem daran, dass Amazon-Chef Jeff Bezos die «Washington Post» besitzt. Trump nennt sie ja auch via Twitter die «Amazon Washington Post». Er droht also mit der Bestrafung der anderen Geschäftsaktivitäten, damit Bezos ihn mit seinem Medium in Ruhe lässt. Das mag bei Autokraten in anderen Ländern funktionieren, aber nicht in den USA.

«Facebook hat den Höhepunkt des Zulaufs bereits erreicht.»

Was hat Bezos bei der «Washington Post» bewirkt?
Er ist ein spektakulär guter Besitzer. Die Verlegerfamilie Graham hat die Zeitung lange wundervoll geführt, aber sie sah ein, dass sie nicht die Kapazität hat, sie durch diese Zeit des grossen Wandels zu steuern. Bezos ist seit fünf Jahren an Bord, und die Marke hat Kampfesmut und Strahlkraft. Seine Übernahme war eine brillante Entscheidung.

Wie ernst ist die Bewegung gegen die Übermacht der FAANGs – Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google?
Sie ist ernst, aber Trump ist nicht der Treiber, weil er ja eben nur die «Washington Post» bestrafen will. Die grossen Technologiekonzerne stehen zu Recht unter Beobachtung der Wettbewerbsbehörden. Facebook und Google haben heute eine riesige Marktmacht im digitalen Werbemarkt, Amazon dominiert viele Bereiche im E-Commerce. Da ist sicher Potenzial für Anti-Trust-Untersuchungen: Der Verdacht, dass sie ihre Position ausnutzen, um Wettbewerbsvorteile zu erreichen, steht im Raum.

Wie weit wird das gehen?
Schwer zu sagen. Microsoft und IBM wurden beide mit Anti-Trust-Sanktionen belegt, als ihre Macht zu gross wurde. Oft war es jedoch auch so, dass die Macht schon den Höhepunkt überschritten hatte, als die Wettbewerbsbehörden zuschlugen. Jetzt ist sicher eine gute Zeit, Facebook zu untersuchen – dort haben wir den Höhepunkt des Zulaufs aus meiner Sicht bereits erreicht. Die Konsumenten wenden sich ab, gerade die jungen Leute kommen nicht mehr. Mark Zuckerbergs cleverster Zug war es, Instagram und WhatsApp zu kaufen. Viele Leute, die Facebook verlassen, wandern dorthin.

Die Kongresswahlen liegen hinter uns, jetzt steht der Präsidentschafts-Wahlkampf bevor. Was passiert in den nächsten zwei Jahren? Werden Facebook oder Twitter die gleiche Rolle spielen wie bei der letzten Wahl, oder werden die klassischen Medien wieder eine grössere Bedeutung erlangen?
Es wird ein Chaos mit vielen Anbietern bleiben. Social-Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook sind schnell und werden sich anpassen, wenn es Probleme gibt.

Sie haben lange als Korrespondent in China gearbeitet, investieren heute viel in Asien. Wie stehen die chinesischen Internetriesen Tencent, Baidu oder Alibaba da?
Sie ähneln den grossen amerikanischen Technologie-Firmen und haben auch vergleichbare Ambitionen. Dennoch hat die Digitalisierung auch die kulturellen Unterschiede verstärkt. Die Welt teilt sich in Regionen auf. Die Chinesen sind besonders in Asien grosse Investoren im Geschäft mit digitalen Plattformen. Sie breiten sich in Südostasien aus, sie schauen Indien an. Doch durch die Digitalisierung ist es möglich geworden, sehr lokale Produkte in lokalen Sprachen für spezifische Nutzergruppen zu entwickeln. Früher wurde ein Produkt im Westen gemacht, und dann wurden «Time», «Fortune» oder die «Financial Times» global verteilt. Heute haben diese Länder eigene Produkte für ihre speziellen Märkte. Nur weil eine chinesische Firma sehr erfolgreich in China ist, heisst das also noch lange nicht, dass sie auch sehr erfolgreich in Indien ist.

«Chinesische Grossfirmen können im Bereich Artificial Intelligence Fortschritte machen, von denen wir nur träumen.»

Die Chinesen müssen sich nicht nach Datenschutz-Vorgaben richten.
Sicher, aber auch in den USA sind die Regeln noch deutlich schwächer als in Europa. Die chinesischen Grossfirmen machen Sachen, die im Westen unmöglich wären. Sie können deshalb im Bereich Artificial Intelligence Fortschritte machen, von denen wir nur träumen – sie haben die Daten von mehr als einer Milliarde Menschen. Das ist ein Big-Data-Paradies für die Firmen und die Regierung – aber nicht für die chinesische Bevölkerung. Sie hat nichts zu sagen über den Gebrauch ihrer Daten. Es wird sehr schwierig für die amerikanischen Techkonzerne, da mitzuhalten.

Und für Europa?
Die strengen Datenrichtlinien sind Fluch und Segen zugleich. Sie schützen das Individuum, erschweren aber die technischen Entwicklungen bei Zukunftsprojekten.

Und die Schweiz – das Land Ihrer Grosseltern?
Die Bürger wollen sich hier substanziell informieren und sind auf Dauer sicher bereit, für qualitativ hochstehende Informationen angemessen zu bezahlen. Die Privatsphäre hat hier eine sehr grosse Bedeutung. Doch wenn man den Firmen nicht gestattet, die Daten der Bürger zu verwenden, kann man bei vielen Projekten auch Artificial Intelligence nicht sinnvoll in grossem Stil nutzen. Das mag ein Nachteil sein. Doch die Schweiz hat ohnehin mit ihren vier Sprachräumen keinen skalierbaren Massenmarkt. Sie muss nicht überall der Vorreiter sein, sondern kann intelligent adaptieren.

Das Interview erschien in der Dezember-Ausgabe 12/2018 der BILANZ.