Die knallbunten Turnschuhe sind ein Hingucker: prominent platziert, perfekt ausgeleuchtet, auf einem kniehohen Sockel von allen Seiten bestaunbar. More of the same gleich daneben, ein Rucksack, ein Portemonnaie, ein Schlüsselanhänger, ein Windbreaker. Allen gemeinsam: viel Farbe, Folk-Art-mässig arrangiert – so gar nicht typisch Bally. Designt hat diese Kollektion der amerikanische Musikproduzent Swizz Beatz zusammen mit dem spanischen Künstler Ricardo Cavolo.

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Die Eyecatcher funktionieren, Bally ist seit einiger Zeit in der Modeszene wieder ein Thema: Die «Vogue» lobte die letzte Kollektion entzückt als «a slacker’s paradise», und die «New York Times» fragte erstaunt: «Is Bally more interesting than Gucci?»

Sicher ist, dass Kollektionen wie die aktuelle dem Label guttun. Und auch den Läden. «Insbesondere bei jungen Kunden kommt das gut an», sagt die Verkäuferin im Bally-Geschäft an der Zürcher Bahnhofstrasse. Hier an der Verkaufsfront ist nichts zu spüren von den grossen Veränderungen, die sich für das traditionsreiche Schweizer Luxuslabel im Hintergrund anbahnen. Einmal mehr geht es nämlich um alles, um die Zukunft.

Jacke der Bally-Kollektion mit Swizz Beatz

Kollaboration: Jacke aus der Kollektion mit Swizz Beatz.

Quelle: Getty Images/Jeff Spicer/Freier Fotograf

Ausverkaufsstimmung

Die Besitzer, die deutsche Milliardärsfamilie Reimann respektive ihre Investmentfirma JAB Holding, wollen Bally loswerden. Damals, bei der Akquisition des Labels 2008, wollte JAB in die Luxusgüterwelt vordringen.

Ihr Plan von einem Glamourkonzern nach dem Vorbild von LVMH ist aber inzwischen Makulatur. Nun streben die Reimanns nach Weltmarktführerschaft in Sachen Kaffee und Parfums. Die Luxussparte mit Bally, Belstaff und Jimmy Choo wird versilbert. Das britische Schuhlabel Jimmy Choo wurde vom US-Konzern Michael Kors im Juli für 1,2 Milliarden Dollar geschluckt. Belstaff folgte: Das britische Modeunternehmen ging an den Chemiekonzern Ineos. Nur Bally steht noch aus.

Bally, einst Perle im Portefeuille, ist zum Klotz am Bein geworden. Ein Kapitel in Ballys wechselvoller Geschichte geht zu Ende. Ein abermaliger Besitzerwechsel ist aber keineswegs die erste Neuorientierung, die der einstige Familienbetrieb in seiner 166-jährigen Geschichte vollzieht.

Alles andere als Konstanz

Nach dem Rückzug der Gründerfamilie 1977 ging Bally durch viele Hände: Ein Rüstungsunternehmen, Investoren, Spekulanten waren Besitzer. 2008 griff dann die Familie Reimann zu. Doch nach wie vor wurde mit Bally experimentiert: Neue CEOs wechselten in Serie, mit ihnen die strategische Ausrichtung und Positionierung. Viele Kreativdirektoren kamen und gingen, sie formten das Erscheinungsbild mal auf jung und modern, mal auf konservativ und prätentiös.

Ab 2007 versuchte man es mit US-Designer Brian Atwood, der drei Jahre blieb. Es folgte das Duo Graeme Fidler und Michael Herz, ehe 2014 der gerade einmal 35-jährige Argentinier Pablo Coppola Designchef wurde. Er blieb bis Dezember 2016. Seither gibt ein Team die modische Linie vor.

Uneinigkeit bei der Wertfrage

Rund 700 Millionen Dollar will Besitzerin JAB heute für Bally lösen. Ein fairer Preis? «Definitiv zu teuer», so ein Markenexperte, «Bally hat die besten Jahre hinter sich.» Das Gegenteil sei der Fall, halten mit dem Deal vertraute Personen dagegen, das Angebot stosse auf Interesse, man stecke mitten in den Verhandlungen. Kein Statement ist aus dem Hause Bally selbst zu bekommen, und von Seiten JAB heisst es: «Wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts sagen.» Auch wie es der einstigen Schuhikone Bally kommerziell geht, ist kaum zu eruieren. Zahlen nennt das Unternehmen nicht. Branchenkenner veranschlagen einen Umsatz von über 500 Millionen Franken.

Ehemaliger Bally-Sitz an der Bahnhofstrasse

Bally-Haus an der Bahnhofstrasse: Der Auszug war für viele Symbolbild für den Niedergang.

Quelle: Keystone

Bally – top oder flop? Experten und Konsumenten sind sich uneins. Für die einen ist der Schuhhersteller wieder auf Erfolgskurs, für andere ist die Marke tot: «Gibts die noch?», hört man bei Nachfragen unter Schweizer Konsumenten immer wieder. Der Auszug aus dem Bally-Haus an der Bahnhofstrasse in Zürich ist unvergessen. Für viele Schweizer ist dieser Schnitt Sinnbild des Niedergangs von Bally als Markenikone.

Fehlende Strahlkraft

Überhaupt: Für Kenner ist es fast ein Wunder, dass die Marke bis heute überlebt hat. «Um eine Luxusmarke erfolgreich zu führen, braucht es Geduld und Konstanz», sagt Scilla Huang Sun, Investmentdirektorin beim Vermögensverwalter GAM und seit vielen Jahren Expertin für den Luxusgütersektor. «Häufige Managementwechsel, die eine konsistente Umsetzung der Unternehmensstrategie verhindern, sind hingegen Gift.»

«Ein Luxuslabel ist ein zartes Pflänzchen, das man pflegen muss. Da muss von der Strategie bis zur Positionierung alles bis ins Detail stimmen», sagt auch Markenexperte Cary Steinmann. «Bei Bally war es in den letzten Jahren ein Zickzackkurs, der die Marke immer diffuser und kraftloser gemacht hat. Heute sind sie in ‹the middle of the donut› – nicht wirklich Lifestyle, nicht wirklich Luxus, nicht ultimativ exklusiv.»

Zudem sei der starke Fokus auf Asien zu naiv gewesen. «Bally kämpfte ohnehin schon gegen die Bedeutungslosigkeit, und dann kam auch noch die Krise der Luxusgüterbranche, in der selbst die wichtigen asiatischen Käufer wegblieben.» Das Verkaufsargument von Bally sei die Swissness, doch diese setze das Management nicht geschickt genug um. Heisst: Der Marke fehlt es an Stärke. «Bally war vor vielen Jahren eine sehr schicke Lifestylemarke mit Tradition, Qualität und grossem Potenzial – doch heute besitzt sie keine Strahlkraft mehr.»

Goldstandard der Branche

Einst war Bally bei der Erstbesteigung des Mount Everest dabei. Edmund Hillary hatte sich 1953 von den Schweizern Stiefel anfertigen lassen. Damals war Bally schon über 100 Jahre alt und hatte zwei Kriege überstanden. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war die Firma aus Schönenwerd an die Börse gegangen, hatte Geld für eine massive Expansion gesammelt. Das Sortiment wurde um Mode und Accessoires erweitert, und Bally besass Läden an den besten Lagen in den grossen Metropolen Europas, Nord- und Südamerikas. Zu den besten Zeiten beschäftigte Bally Tausende Mitarbeiter.

Fakten zu Bally

Heute gibt es weltweit 156 Bally-Filialen, acht davon in der Schweiz. Zudem gibt es vier Bally-Flagships-Stores in London, Los Angeles, Tokio und New York. Zwei weitere, in Peking und Mailand, sollen 2018 eröffnen. Der Hauptsitz der Firma befindet sich in Caslano TI und Mailand. In Mailand sitzen unter anderem Marketing, Design und Kommunikation. Das Londoner Büro wurde 2017 geschlossen. Insgesamt beschäftigt Bally rund 1600 Mitarbeiter. Eigenen Angaben zufolge hat das Unternehmen 2016 sein Ebitda verdoppeln sowie das Marktwachstum um vier Prozent steigern können. Der Umsatz wird von Experten auf über 500 Millionen Franken geschätzt.

Dank herausragender Qualität und Verarbeitung wurden Bally-Schuhe zum Inbegriff für Luxus, zu einer Art Goldstandard der Branche – heiss begehrt auch bei renommierten Künstlern, die das Bally-Image in eine lebende Legende verwandelten. Die Hip-Hop-Szene etwa liebte das Label: US-Stars wie Slick Rick, P. Diddy und Jay-Z rappten über Bally und liessen sich mit den Schuhen ablichten.

Für Bally sei viel Geld aufgeworfen worden, heisst es in der Branche: «Die ganze Restrukturierung der letzten Jahre, neue Läden, neue Konzepte – das kostet.» Geklotzt und nicht gekleckert hat Frédéric de Narp, seit 2013 CEO der Marke. Der 47-jährige Franzose kommt zwar aus der Luxusbranche, aber aus einem anderen Metier: De Narp kennt sich mit Uhren, teuren Steinen und Juwelen aus. Bei Cartier hatte er sich binnen neun Jahren vom Retail Director zum Chef des Nordamerika-Geschäfts hochgearbeitet.

Investieren angesagt

2010 übernahm er den Chefposten beim US-Juwelier Harry Winston und schaffte dort einen viel beachteten Turnaround. Er ist mit geschwellter Brust bei Bally angetreten. «Es gibt einiges wiedergutzumachen», räumte de Narp 2015 in einem Interview mit der «Handelszeitung» ein. Um die Marke wieder zu alter Stärke zu führen, hat er mit JAB volle Handlungsfreiheit ausgehandelt: «Die Eigentümer haben mir zugesichert, das zu investieren, was nötig ist», sagte er damals.

Und de Narp investierte. Er holte sich ein neues Managementteam, bündelte zentrale Aufgaben, analysierte wichtige Märkte, engagierte Stararchitekten für die Gestaltung der Läden, eröffnete Bally-Flagship-Stores an der Londoner Bond Street, am Rodeo Drive in Los Angeles, in Tokios geschäftigem Viertel Ginza, an der New Yorker Madison Avenue, trieb die E-Commerce-Strategie voran, baute das Omni-Channel Retailing aus.

Festgehalten hat de Narp an der Positionierung: Bally zielt nach wie vor auf das obere Ende des Marktes – kunden- wie produktseitig. Qualität hat schliesslich ihren Preis, und hohe Preise versprechen schöne Margen.

Blickrichtung Asien

In de Narps Strategie spielen Asien im Allgemeinen und China im Besonderen eine zentrale Rolle. In Festlandchina werden in 58 Läden mehr als 20 Prozent der Verkäufe abgewickelt. Dank der wachsenden Mittelklasse werde dieser Anteil in Zukunft noch steigen, sagte de Narp vor wenigen Monaten dem chinesischen Wirtschaftsmagazin «Caixin». Dabei helfen soll auch ein neuer Flagship Store in Peking, der 2018 eröffnet werden soll. Ein Bally-Kadermann sagt: «Die Geschäftszahlen sind proper, es gibt keine Negativzahlen.» Und von JAB heisst es, man sei sehr zufrieden mit der Arbeit von de Narp.

Frédéric de Narp ist Bally-Chef

Frédéric de Narp: Seit 2013 amtet er als CEO von Bally.

Quelle: Getty Images/Stefanie Keenan/Kontributor

Dass nun gerade asiatische Interessenten das Schweizer Label in ihrem eigenen Portfolio wissen wollen, verwundert also kaum. Interesse soll laut Bloomberg etwa Fosun haben, der grösste chinesische Mischkonzern in Privatbesitz. Das ehemalige Immobilienunternehmen verfügt über ein breit gefächertes Imperium, ist etwa in Banken und Versicherungen sowie in der Tourismusbranche, im Gesundheitswesen sowie in der Modewelt investiert.

Weitere Namen, die kursieren, sind der chinesische Investor Hony Capital, der chinesische Modehersteller und Handelskonzern Fujian Septwolves Industry und der japanische Mischkonzern Itochu, zu dem unter anderem die Jeansmarke Edwin gehört. Auch CVC Capital Partners oder die Onward Luxury Group, die schon Jil Sander kontrolliert, sollen sich warmlaufen.

Flippig und klassisch

Aus Sicht der Luxusexpertin Scilla Huang Sun hat das Management vieles richtig gemacht. «Bally ist heute breiter aufgestellt als eine reine High-End-Schuhmarke», sagt sie, «und hat den richtigen Mix gefunden, ohne sich zu verzetteln.» Im Sortiment hat es Flippiges wie die Kollektionen von Swizz Beatz, aber auch Schuhe von höchster Handwerkskunst und Klassik.

Damit lassen sich Junge anlocken, ohne das Stammpublikum zu verjagen. Insbesondere die Fähigkeit, den Sprung zu nächsten Generationen zu schaffen, ist für Marken wie Bally essenziell. «Ein so traditionsreiches Label wie Bally muss zeigen, dass es noch jung und cool ist», sagt Huang Sun. Ebenfalls positiv für Bally: «Der Luxusbranche geht es wieder gut, sie ist ein Wachstumssektor», sagt die Expertin, «vor allem dank Asien. Chinesen kaufen wieder Luxus, die Russen ebenso.»

Welcher Käufer am Ende das Rennen macht, wolle Bally Ende Jahr, spätestens Anfang 2018 bekannt geben, so die zuständige PR-Agentur. Fakt ist: Viel ändern wird sich wohl nicht, denn gerade ein asiatischer Käufer will Bally wegen deren Haupteigenschaft, der Swissness – dies, obschon in der Marke ausser dem Logo «Bally Switzerland» nicht mehr viel Schweizerisches steckt. Im Laden an der Zürcher Bahnhofstrasse jedenfalls sind die Verkäuferinnen optimistisch für die Zukunft: «Auch wenn es am Ende ein asiatischer Käufer würde – das wäre super, denn die mögen unsere Bally.»

Dieser Text erschien in der November-Ausgabe 11/2017 der BILANZ.