Fahl flimmert das orange Licht von der Gewölbedecke. Kalt und feucht ist die Luft, es riecht nach Moder, in den Torbogen hängen gewaltige Spinnweben. Nur das Echo der Schritte hallt nach in diesem Labyrinth von Gängen, 20 Meter unter dem Erdboden. Die Chancen, hier einem Menschen zu begegnen, sind minim: Durch die 28 Kilometer langen Gewölbe wandern an einem normalen Arbeitstag bloss fünf Männer in blauen Kitteln. Sie machen immer dieselbe Handbewegung: Sie drehen Flaschen. Champagnerflaschen. Millionen davon lagern hier unter Tage in den Kellern von Dom Pérignon, 40  000 davon bewegt jeder der sogenannten Remueurs Tag für Tag um eine knappe Achteldrehung. «20'000 mit der linken, 20'000 mit der rechten Hand», erklärt Kellermeister Richard Geoffroy.

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Am nächsten Tag geht es eine Achteldrehung weiter. Ein Kreidestrich auf dem Flaschenboden erleichtert dabei die Orientierung. Gleichzeitig erhöhen die Remueurs ganz sachte den Winkel der Flaschen, die mit dem Hals in trapezförmigen Holzpulten stecken. Nach vier bis sechs Wochen stehen die Flaschen auf dem Kopf – Voraussetzung dafür, dass sich die Perlen bilden können, ohne dass sich der Gärstoff Hefe in der Flasche mit dem Wein vermischt.

Bei Massenchampagnern sind die Remueurs längst durch Maschinen abgelöst worden. Bei Dom Pérignon hingegen setzt man noch auf Handarbeit. Einer der Gründe, warum die Flasche rund 200 Franken kostet und damit mindestens fünfmal so viel wie ein gängiger Supermarktchampagner. Der Preis für den Rosé liegt gar bei 600 Franken.

Dennoch erfreuen sich die edlen Schaumweine hierzulande grosser Beliebtheit. «Die Schweiz ist ein sehr wichtiger Markt für Spitzencuvées», sagt Geoffroy. Er muss es wissen: 350 Millionen Flaschen verlassen die Champagne jedes Jahr, nur 8 Millionen davon sind Edelcuvées. Dom Pérignon ist dabei mit deutlich über 5 Millionen verkauften Flaschen unangefochtener Marktleader. Auf Platz zwei mit geschätzten 200'000 bis 300'000 Flaschen liegt das Haus Louis Roederer, das mit seinem ursprünglich für den Zarenhof lancierten Cristal einen der ganz frühen, wenn nicht sogar den ersten Spitzenchampagner kreierte. Auf Platz drei folgt Krug, der ebenso wie Dom Pérignon aus dem Hause Moët-Hennessy kommt, das zum Luxuskonzern LVMH gehört. Mit der Veuve Clicquot Grande Dame hat LVMH noch eine weitere weltweit erfolgreiche Spitzencuvée auf dem Markt.

Auch in der Schweiz liegt Dom Pérignon mit rund 120'000 abgesetzten Bouteilles pro Jahr vorn, gefolgt von Perrier-Jouët mit dem Belle Epoque, der rund 80'000-mal pro Jahr abgesetzt wird und dessen Preis mit 160 Franken ebenfalls nicht gerade portemonnaieschonend kalkuliert ist.

Dass das Preisniveau gehoben ist, liegt freilich nicht nur an der Handarbeit der Rüttler. Selbstredend werden für eine Spitzencuvée nur die besten Trauben der besten Lagen in der Champagne verwendet, meistens Grands Crus. «Grosse Häuser haben strenge Parameter, die sie sehr ernst nehmen. Das gilt auch innerhalb der Häuser für die Spitzencuvées», sagt André Jaeger, Patron der vom «Gault Millau» mit 19 Punkten bedachten Schaffhauser «Fischerzunft», deren Champagnerkarte preisgekrönt ist. Während normaler Champagner mindestens 15 Monate lang in Flaschen gären muss, sind es bei den Vintage-Champagnern sieben Jahre und mehr. Das kostet. Für sogenannte Millésimes – das sind die meisten Spitzencuvées – werden nur die Trauben eines Jahres verwendet. Das erhöht das Risiko. «Drei bis vier Jahrgänge pro Jahrzehnt können wir nicht verwenden, weil die Trauben nicht gut genug sind», sagt Geoffroy. Einen Dom Pérignon 2001 zum Beispiel gab es nicht, die Ernte wurde an den Massenhersteller Moët & Chandon weitergereicht, der zum selben Mutterhaus gehört.

Über allem wacht mit Argusaugen der Kellermeister. Die grossen Chefs de Cave der Champagne sind eine Mischung von empfindsamen Designern, begabten Ingenieuren und ausgewachsenen Kaufleuten. Einmal berufen, wechseln sie das Haus nicht mehr und schon gar nicht das Amt. Richard Geoffroy ist seit 1990 dabei und schulterte 1996 die gesamte Verantwortung. Jean-Paul Gandon, der Önologe bei Lanson, sieht sich längst als Teil des Inventars, und Michel Fauconnet, der Magier bei Laurent-Perrier, ist der dritte Kellermeister seit der Kreation des Grand Siècle im Jahre 1959. Hervé Deschamps übernahm 1985 den Keller von Perrier-Jouët und ist damit erst der siebte Chef de Cave in der bis 1811 zurückreichenden Geschichte des Traditionshauses. Sein Spitzencuvée ist der legendäre Belle Epoque mit der vom Jugendstilkünstler Emile Gallé 1903 stilisierten Anemone auf der dunkelgrünen Flasche.

Als Millésime assembliert Deschamps für den Belle Epoque nur besonders gute Jahre. Und diese Assemblagen lässt er sieben Jahre liegen, manchmal auch noch länger. Mit einem Anteil von 51 Prozent Chardonnay, 45 Prozent Pinot noir und 4 Prozent Pinot Meunier – die einzigen Traubensorten, aus denen Champagner hergestellt werden darf, allesamt aus den hauseigenen Grand-Cru-Lagen – sowie einem Ausbau im Stahltank bekennt sich der Belle Epoque zu Eleganz, Frucht und Leichtigkeit. Boris Becker etwa schenkte an seiner letzten Hochzeit mit Lilly Kerssenberg in St.  Moritz einen Perrier-Jouët Blason Rouge aus.

Den Gegenpol bilden die mächtigen Champagner von Krug und Bollinger, die – nicht weniger kompromisslos in ihren Ansprüchen – mehr auf Pinot noir setzen und ihre Weine in alten, meist aus dem Burgund oder dem Bordelais übernommenen Eichenfässern ausbauen.

Auf den gut verträglichen Perrier-Jouët fliegen auch die leichten Mädchen. «Die Girls trinken ihn gern. Er ist angenehm leicht und bekömmlich», erklärt Otto Eder, bei Perrier-Jouët zuständig für die Deutschschweiz, wo der Belle Epoque in den Nachtclubs erfolgreich ist. Nicht immer ist diese Art Kunden gerne gesehen. 2006 machten US-Musiker wie Jay-Z und Sean Combs alias P. Diddy die Edelcuvée Cristal von Louis Roederer zum In-Getränk in der Hip-Hop-Szene, indem sie die Flaschen prominent in ihren Musikvideos zeigten. Sehr zum Unwillen von Roederer-Chef Frédéric Rouzaud, dem der damit verbundene Bling-Bling-Lifestyle zutiefst zuwider ist. Er sprach öffentlich von einer «unwillkommenen Aufmerksamkeit», worauf Jay-Z ebenso öffentlich zum Boykott der Marke aufrief. Cattier sprang in die Lücke: Ihre Cuvée Armand de Brignac machten Jay-Z & Co. alsbald zum neuen Lieblingschampagner in der Szene. Kostenpunkt in der Schweiz: 600 Franken pro Flasche.

Gleichwohl läuft der durstige Kenner Gefahr, selbst mit dem nötigen Geld auf dem Trockenen zu bleiben. Pol Roger etwa zweigt von ihrem Spitzencuvée Winston Churchill, eine Reverenz an einen grossen Liebhaber der Marke, für die Schweiz jährlich gerade 600 Flaschen ab. Noch kleiner sind die Mengen bei Billecart-Salmon, einem Haus, das für seine Blancs de Blancs – also ausschliesslich aus Chardonnay-Trauben assemblierten Champagner – hohes Ansehen geniesst. Vom Clos Saint-Hilaire, benannt nach dem Rebberg an der Marne, von dem die Trauben stammen, liefert der Importeur Martel in St. Gallen gerade 120 Flaschen im Jahr aus, zum Preis von 400 Franken. Preislicher Spitzenreiter ist freilich Krug mit dem Clos du Mesnil für 1490 Franken. Nächstes Jahr wird er von einem Gewächs aus dem eigenen Hause getoppt werden: Vom Clos d’Ambonnay werden weltweit nur 3000 Flaschen à 3000 Franken in den Handel kommen. Mehr ginge auch gar nicht, denn der Klostergarten, auf dem er angebaut wird, ist nur so gross wie ein Tennisplatz.

Das edle Getränk wird sich von selbst verkaufen, denn die Nachfrage nach Spitzenchampagnern ist auch in der Krise ungebrochen. Allenfalls ein leichtes Downgrading hat man im Hause Moët-Hennessy festgestellt: Statt zu einem Krug greift der Kunde derzeit vielleicht eher einmal zu einem Dom Pérignon, statt zu einer Grande Dame zu einem Ruinart.

Prominentester Vortrinker und Förderer von Edelchampagner ist zweifellos James Bond. Er schwört auf Bollinger – was dazu beigetragen haben dürfte, dass die Marke in Grossbritannien, dem nach Frankreich weltweit zweitgrössten Champagnermarkt, extrem beliebt ist. Zwar griff 007 im Film zwischenzeitlich auch mal zu Taittinger und zu Dom Pérignon: «Mein liebes Kind, es gibt Dinge, die man einfach nicht tut. Man trinkt zum Beispiel nie einen 53er Dom Pérignon, wenn er eine Temperatur von über acht Grad hat», belehrte er seine Gespielin in «Goldfinger». Doch seit 1973 («Live and Let Die») ist James Bond wieder fest in der Hand von Bollinger. Grande Année und Grande Année R.D. sind die beiden Spitzenkreationen des Hauses aus Aÿ. Bei beiden ist das Datum notiert, an dem die auf dem Kopf stehende Flasche ihrer Hefe entledigt, mit der Dosage, einem leichten Anteil Rohrzucker, versehen und neu verkorkt wurde. Einmal degorgiert, reift der Champagner nicht mehr, sondern altert nur noch und verliert mit der Zeit seine Frische. Da gibt es nur eines: zügig trinken. Champagner will nicht gesammelt, sondern genossen werden.

Auch aus diesem Grund baute Dom-Pérignon-Kellermeister Geoffroy unter dem Label Œnothèque an 60 Standorten weltweit ein Lager von nicht degorgierten Champagnern auf. So bleiben sie zum Teil jahrzehntelang frisch, bringen aber eine Komplexität und Intensität mit wie ein alter Wein. Von einer Verkostung einiger Jahrgänge Œnothèque-Champagner am Stammsitz in Hautevillers schwärmt André Jaeger noch heute: «Jeder Jahrgang reinste Töne!»

Eine profanere, aber durchaus effiziente Verwendung für Spitzenchampagner hat Brioni. Der italienische Edelschneider schenkt Dom Pérignon in seinem Sur-mesure-Atelier in Mailand aus. Der vormalige Brioni-Chef Umberto Angeloni kommentierte die Geste lapidar: «So verkraften die Kunden die Rechnung besser.»