«Die Bergabfahrthilfe funktioniert nicht immer, da gibts noch Probleme mit der Software. Aber einfach mal langsam losfahren und dann von der Bremse gehen; sie sollte dann schon eingreifen.» Ein Danke an den Instruktor für diese Nachricht. Das will man eigentlich nicht hören, bevor es mit einem 3,4-Tonnen-Offroader einen Abhang mit 70-prozentigem Gefälle hinuntergeht. Dem TCS-Mitarbeiter auf dem Beifahrersitz bringen wir natürlich vollstes Vertrauen entgegen. Aber sollte man sich mit dem Elektromonster einer noch weitgehend unbekannten chinesischen Marke einen Steilhang hinabstürzen?

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Doch von vorn: Bisher stand vor allem der US-Elektropionier Tesla in den Schlagzeilen, wenn es um Elektromodelle mit extremer Leistung und brachialer Beschleunigung ging. Mit dem in den USA schon lancierten Cybertruck führt das Unternehmen derzeit auch bei den elektrischen Offroadern den Online-Diskurs an.

Technikdemo auf vier Rädern

Doch selbst wenn noch jeder Tesla unter Kinderkrankheiten litt – als PR-Coup und Imagebeschleuniger taugten die Neuvorstellungen der Marke allemal. Zu dieser Strategie greifen nun auch jene aufstrebenden Anbieter Chinas, die gerade zum Sprung nach Europa und in die Schweiz ansetzen. Klotzen statt kleckern: Der M-Hero 1 des chinesischen Dongfeng-Konzerns soll an erster Stelle vor allem beeindrucken. 

Ganghebel des MHero1

Der Wählhebel für die Gänge erinnert an Schubregler von Kampfjets. 

Quelle: ZVG

«Das ist jetzt nicht das, was Kunden und Kundinnen von einem normalen Elektroauto erwarten – es ist eher eine Technikdemonstration auf vier Rädern», sagt Daniel Kirchert, CEO von Noyo Mobility, und ein alter Hase der chinesischen Autobranche. Unter anderem amtierte er als CEO beim Startup Byton, bei dem die riesigen Screens noch mehr beeindruckten als die üppige Leistung der geplanten Modelle. Doch die Corona-Pandemie stürzte die Marke in die Insolvenz. Jetzt ist Kirchert als Chef des Schweizer Importeurs der Dongfeng Motor Corporation zurück.

Deren Elektrooffensive startete das SUV mit dem Namen Free der Luxus-Tochter Voyah, das bereits auf dreistellige Verkaufszahlen kommt. Beim M-Hero 1 als zweitem Modell steht vor allem die Präsentation des Technik-Know-hows im Mittelpunkt. In den nächsten Monaten soll laut Kirchert dann ein günstiger Einsteigerstromer folgen, der «deutlich unter 30’000 Franken» kosten soll. Durchaus eine Kampfansage an europäische Hersteller, die momentan nur wenige erschwingliche Stromer anbieten, obwohl diese für den Durchbruch der Elektromobilität schmerzlich vermisst werden.

Neben der FAW Group und Changan ist Dongfeng der dritte grosse Staatskonzern der chinesischen Autoindustrie und war bisher vor allem für Militärfahrzeuge bekannt. Diese DNA ist beim M-Hero 1 sehr offensichtlich – sein Aussendesign erinnert unter anderem an den einstigen Humvee der US-Army, den der US-Autobauer General Motors zum zivilen Hummer ummodellierte. Im Cockpit wird dies weitergeführt: Die Wählhebel für die Fahrstufen sind Schubreglern aus Kampfjets nachempfunden, während die inneren Türgriffe wie verchromte Pistolen wirken.

Steckbrief: M-Hero1
  • Antrieb: 4 Elektromotoren, 1088 PS (800 kW), Allradantrieb, Batterie 142 kWh (netto) 
  • Fahrleistungen: 0–100 km/h in 4,2 Sek., Spitze 180 km/h
  • Masse: L/B/H 4,98/2,08/1,93 m, Leergewicht 3410 kg, Kofferraum 452 bis 1137 l 
  • Umwelt: Verbrauch WLTP 31,5 kWh/100 km, Reichweite 450 km
  • Preis: ab 148’990 Franken

Den M-Hero 1 deshalb als Blender abzutun, wäre ein Fehler. Nur wenige Modelle der etablierten Hersteller dürften dem Fünfplätzer abseits des Asphalts folgen können. Den Vorteil eines präzise regelbaren Elektroantriebs im Gelände demonstriert er eindrucksvoll – zumal der Bergabfahrassistent dann doch mitspielt.

Im Geländeparcours verblüfft die Wendigkeit: Dank aktiver Hinterachslenkung mit 10,6 Grad Einschlag für die Hinterräder genügen dem Fünfmeterkoloss nur 10,2 Meter als Wendekreis. Falls das nicht ausreicht, kann man die Hinterräder parallel zu den Vorderrädern einschlagen und den M-Hero1 im Krabbengang schräg zur Seite krabbeln lassen. Unmöglich mit normalen Offroadern, aber kein Problem beim Einzelradantrieb mit vier Motoren, die zusammen 1088 PS (800 kW) und 1400 Newtonmeter Drehmoment liefern.

Mit sechs Fahrmodi unter anderem für Schnee, Sand oder steinige Untergründe, Luftfahrwerk, Differenzialsperren und Bergabfahrthilfe bremsen den M-Hero 1 weder Schlamm noch Felsen, die sich per Unterbodenkamera erspähen lassen. Ohne heftige Fahrleistungen kommt natürlich auch der M-Hero 1 nicht aus.

Der 3,4-Tonnen-Riese sprintet in nur 4,2 Sekunden auf Tempo 100 und damit 2,7 Sekunden schneller als Teslas Model Y in der Basisversion. Aber seine wahre Bestimmung findet er in freier Wildbahn. Die auf dem Papier stattliche Batterienettokapazität von 142 Kilowattstunden soll laut WLTP-Zyklus für 450 Kilometer reichen. Doch beim Aufladen verbringt man geschlagene 47 Minuten am Schnelllader, um mit maximal 100 Kilowatt von 30 auf 80 Prozent zu laden – es bleibt hier Verbesserungspotenzial. 

MHero Innenraum: Luxus pur

Der Innenraum des M-Hero 1 bietet Luxus. 

Quelle: ZVG

Wer schon einmal in einem gut ausgestatteten Fahrzeug der Mercedes-G-Klasse sass, weiss, dass selbst bei echten Geländewagen ein Hauch von Luxus nicht schadet. Nappaleder, Heizung, Belüftung und Massagefunktion für alle vier Sitze sorgen fürs ganz unmilitärische Wohlfühlambiente. Kreuzchen in der Optionenliste oder happige Aufschläge sind dabei obsolet: Beim M-Hero1 werden nur Aussen- und Innenfarbe gewählt, die Topausstattung ist in jedem Fahrzeug serienmässig an Bord.

Ein Schnäppchen ist der chinesische Geländewagen mit 148’990 Franken allerdings nicht. Doch schnöde Verkaufszahlen dürften bei solch einem Technikdemonstrator auch für den Importeur Noyo kaum im Mittelpunkt stehen. Eher schon das Vertrauen in Auto und Marke, während man über die Abbruchkante in den Steilhang rollt.

Daniel Kirchert, Chef des Dongfeng-Importeurs Noyo Mobility

Daniel Kirchert, Chef des Schweizer Dongfeng-Importeurs Noyo Mobility.

Quelle: ZVG
Steckbrief: Noyo Mobility

Noyo Mobility in Hünenberg ZG importiert die Marken des chinesischen Dongfeng-Konzerns. Aktuell vertreten zehn Schweizer Händler die Marken Dongfeng und Voyah und übernehmen auch den Fahrzeugservice. CEO Daniel Kirchert will weitere «qualitativ hochwertige» Produkte aus Asien in die Schweiz bringen und setzt dabei auch auf kostengünstige Elektrofahrzeuge, die für den Durchbruch der E-Mobilität noch fehlen. Bis 2030 hält Kirchert einen Stromeranteil von über 50 Prozent für realistisch – bei rund 20 Prozent Anteil der chinesischen Anbieter: «Dann wären wir natürlich gerne einer der wichtigen Player.»