Das meistverwendete Wort in Texten über Christian Jott Jenny ist «Tausendsassa». Ein Verlegenheitsausdruck, der den unermüdlichen Aktivismus des 40-Jährigen zu beschreiben versucht. Dabei schiesst die Floskel am Ziel vorbei. Jenny (das «Jott» steht für Johannes) ist vielmehr ein fokussierter Mensch, der jetzt ein Experiment auf unbekanntem Terrain versucht. Ein Profi auf dem Gebiet der Kultur, der Events wie das Festival da Jazz in St. Moritz und Theaterstücke veranstaltet und daneben selber performt. Sei es in der weissen Schale seiner parodistisch-abgehobenen Kunstfigur Leo Wundergut oder – wie aktuell in Zürich – als Chansonnier unter seinem richtigen Namen im Programm «Quand on n’a pas ce qu’on aime …».
Sein Experiment führt ihn nun in die Lokalpolitik. Anfang Oktober wählten ihn die St. Moritzer überraschend zum neuen Gemeindepräsidenten. Im Luxusferienort kannten sie den eloquenten Unterländer bislang nur als Gründer und Direktor des Jazzfestivals. Zuletzt war die Lokalpolitik gänzlich eingeschlafen. Jenny war der einzige Gegenkandidat.
«St. Moritz hat ein Potenzial, das man weltweit suchen muss», sagt er. «Es fehlte bisher einfach ein Zirkusdirektor, der zur richtigen Zeit die richtigen Artisten und Tiere rauslässt.»
Die Freunde
Als der 15-jährige Jenny im reformierten Kirchgemeindehaus Zürich Witikon den Jazzpianisten George Gruntz auftreten liess und vom «Blick» gefragt wurde, wie er das geschafft habe, sagte er: «Persönliche Beziehungen.» Die Frühreife zeigt sich auch daran, dass viele Freunde deutlich älter sind. Zum Beispiel Francisco Fernandez.
Der Gründer des Softwarehauses Avaloq führt mit Jenny eine Art Sparringspartner-Beziehung. Zwischen den beiden soll es im firmeneigenen Fumoir gefunkt haben.
Fernandez ist ein passionierter Jazzpianist. In seinem Büro steht ein Konzertflügel, den er oft bespielt. Ein richtiger Jenny-Fan ist der Aargauer Verleger Peter Wanner.
Er hat ihn als musikalischen Unterhalter für seinen 70. Geburtstag engagiert. Bei der Vorbereitung leerten die beiden Weinkenner mehrere Flaschen Roten. «Uns verbindet vor allem, dass wir beide immer zu spät aufkreuzen», lacht Wanner.
Für den Zürcher Alt-Regierungsrat Markus Notter hat Jenny auf dessen Wahlkampftour 2003 gesungen, teilweise im Duett.
Kabarettist Viktor Giacobbo hat ihn diesen Frühling in den Verwaltungsrat seines Casinotheaters in Winterthur aufgenommen. Die beiden verstehen sich prächtig.
Sehr gut befreundet ist er auch mit dem Eventveranstalter Hans-Jürg «Schoscho» Rufener und dem Pornoproduzenten und Kinobetreiber Edi Stöckli. Die beiden arbeiten im Zürcher Niederdorf in Nachbarschaft. Seinetwegen trägt Jennys Sohn Emil den dritten Namen Edi.
Die Gegenspieler
Feinde sind nicht aufzuspüren. Am ehesten unfreundlich gesinnt ist ihm Sigi Asprion, der bisherige Gemeindepräsident von St. Moritz.
Bei der Neuwahl verlor der Parteilose unlängst gegen Politneuling Jenny. Ein weiterer Nicht-Freund ist «Dolder»-Besitzer Urs Schwarzenbach, der sich partout nicht für das Festival da Jazz engagieren will. Und dies, obwohl er Mitglied des Dracula Clubs ist. Nach einem vierstündigen Gespräch in Schwarzenbachs Villa sollen sich die beiden aber immerhin sympathisch geworden sein.
«Schweizer Illustrierte»-Kolumnist Peter Rothenbühler zweifelte vor Jennys Wahl an dessen Kompetenz: «Ich sähe Sie also sehr gut in einem super Werbespot für St. Moritz», schrieb er. «Aber muss es gleich Gemeindepräsident sein?»