Claude Hauser, der neue Präsident des Migros-Genossenschafts- Bundes (MGB), ist mit seinen 57 Jahren einer der Jüngsten der alten, noch ganz dem Geist ihres Gründers Gottlieb Duttweiler verpflichteten Garde in der Migros-Führung. Eine Zerschlagung der regionalisierten Genossenschaftsstruktur, wie sie beim Konkurrenten Coop Schweiz erfolgt ist, schwebt Hauser nicht vor. Schon als Chef der Migros Genf hat er sich stets gegen alle Zentralisierungsbemühungen der «Zürcher» gewehrt. Die Migros Genf hat, seit er 1967 als Stagiaire antrat, sein ganzes Berufsleben geprägt. Sein Sprung an die Spitze des MGB garantiert dem Schweizer Detailhandelsriesen Kontinuität, aber auch erhöhte Kampfbereitschaft. Denn bei allen bewahrenden Bemühungen ist Claude Hauser enorm ehrgeizig: Dass Coop schneller wächst als die Migros, wird er ganz gewiss ändern wollen, freilich ohne die Migros umzubauen: «Mit unseren Strukturen haben wir fünfzig Jahre Erfolg gehabt. Sie können nicht plötzlich schuld sein, wenn unsere Umsätze zu wenig wachsen.»
Die Genf-Connection
Claude Hausers Migros-Machtbasis sind seine sechs Genfer Vizedirektoren: Herbert Bock, Verkauf, Claude Deffaugt, Marketing, Bernard Dosso, Logistik, Edgar Lanz, Finanzen, Jean-Charles Bruttomesso, Personal, und Guy Vibourel, Chef von Migros France. «Diese Mannschaft», sagt Claude Hauser, «ist sehr ausgeglichen, was das Alter und die Fachkenntnisse betrifft.» Und unter diesen sechs Vizedirektoren, so steht zu vermuten, lässt sich gewiss auch der Spitzenkandidat für Hausers Nachfolge in Genf finden. Einer der wesentlichsten Gründe für seinen Aufstieg an die Migros-Spitze dürfte der Erfolg seiner Genfer Regionalgenossenschaft in den letzten zwei Jahren sein, am augenfälligsten 1999. Mit drei Prozent Umsatzwachstum hat Migros Genf nicht nur den MGB (0,3 Prozent) massiv übertroffen – auch Coop Genf blieb mit 2,5 Prozent deutlich hinter der lokalen Konkurrenz zurück. In Genf zumindest hat Hauser gezeigt, wie man der in jüngster Zeit dynamischer wirkenden Coop Paroli bieten kann.
Die MGB-Beziehungen
Das Beziehungsnetz Claude Hausers innerhalb des Migros-Genossenschafts-Bundes ist nicht sonderlich eng, dafür wirksam. Seine Genfer Karriere wurde von seinem dortigen Vorgänger Alfred Gehring protegiert. Als es beim MGB um die Nachfolge von Jules Kyburz ging, schwang sich Pierre Arnold, ehemals der starke Mann der Migros und heute noch Präsident der Gottlieb und Adele Duttweiler-Stiftung, zu seinem Fürsprecher auf, ohne formal ein Mitbestimmungsrecht in dieser Frage zu haben. Dies tat er wohl auch, um damit allzu einschneidende Veränderungen bei der Migros zu verhindern (Hausers Gegenkandidat hatte offenbar radikale Neuerungen im Sinn). Überdies vermochte Arnold so das welsche Element an der Migros-Spitze zu stärken.
Die Freunde
«Wenn man eine Arbeit wie ich hat, bleibt sehr wenig Zeit für die Freunde», sagt Claude Hauser mit einigem Bedauern. Besonders zahlreich sind seine Freunde denn auch nicht. Zum engsten Kreis zählt ganz gewiss Jean-Bernard Münch, Generalsekretär der European Broadcasting Union (EBU), den er seit der Kindheit kennt. Münch bezeichnet seinen Freund als «offen und ehrlich», aber auch hartnäckig: «Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, erreicht er das auch.» Er zwinge niemandem seinen Standpunkt auf und höre auf jeden Ratschlag; weil er aber so beharrlich sei, gehe er aus jedem Disput als Sieger hervor. Für einen anderen engen Freund, den Unternehmer Marcel Eskenazi, ist Claude Hauser ein Perfektionist, «der das Mittelmass verabscheut. Was er auch unternimmt, er will es am besten machen.» Ausserhalb des Geschäfts hat Hauser nur wenige Vertraute. Etliche Freunde hat er im Rotary Club Genf Süd gefunden, den er in den Jahren 1986/87 präsidierte.
Konkurrenten, Gegner
«In Genf», sagt Claude Hauser selbstbewusst, «habe ich keine Feinde.» Nicht einmal der regionale Konkurrent, André Mislin von Coop Genf, mag ihm Böses nachsagen. «Ein pragmatischer, kompromissfähiger Mensch. Ich glaube, der MGB hat eine gute Wahl getroffen.» Als harten Verhandler hat Gilles Desplanches, Präsident des Genfer Gewerbeverbandes, Claude Hauser kennen gelernt. Als es um die Ladenöffnungszeiten ging, kämpfte Hauser bis zuletzt hartnäckig für seine Vorstellung, täglich bis 22 Uhr offen zu halten, fand sich aber später mit einmal wöchentlich bis 20 Uhr ab. «In einer politischen Debatte», sagt Desplanches, «schätzt man einen Gegner mit klar formulierten Vorstellungen.» Härter geht Gewerkschaftssekretär Charles Beer mit Claude Hauser ins Gericht: «Ein unflexibler Mann, mit dem man kaum verhandeln kann. Im sozialen Bereich hat sich unter seiner Führung bei Migros Genf kaum etwas getan.»
Eher ungehalten reagiert Claude Hauser auf den Namen des Coop-Chefs Hansueli Loosli. «Diesen Messias, der vor drei, vier Jahren aufgetaucht ist und angeblich alles geändert hat», will er in die Schranken weisen, und zwar subito. Seit ein paar Jahren weist Coop, immer noch mit Abstand die Nummer zwei im Detailhandel, deutlich höhere Wachstumsraten auf als die Migros. Ausnahme: Genf, wo es Claude Hauser geschafft hat, die regionale Coop-Genossenschaft wachstumsmässig hinter sich zu lassen. Und das will er jetzt auch gesamtschweizerisch schaffen: «Ich will im Jahr 2001 besser als Loosli sein.» Wenn er sich da nur nicht übernimmt. Skeptisch äussert sich zumindest Raymond Léchaire, Direktor von Coop Genf, der im Übrigen sehr viel von seinem nach Zürich entschwindenden Konkurrenten hält: «Den Loosli zu schlagen, das schafft sogar ein Hauser nicht.»