Allmorgendlich in aller Herrgottsfrühe, kurz nach sechs Uhr, tuckert ein angejahrter Mercedes-Diesel der E-Klasse bergauf zu der kleinen Wallfahrtskapelle Herrenrast nahe dem bayrischen Flecken Ilmmünster. Ein älterer Herr steigt aus und schliesst die wuchtige Tür zum Gotteshaus auf. Gemächlich schreitet der Frühaufsteher zum Altar, kniet in der ersten Bank nieder, verharrt einige Minuten – und verlässt das Kirchlein wieder so still, wie er es betreten hat.
Der Messmer von Herrenrast versieht den Kirchendienst ehrenamtlich. Hauptberuflich missioniert der 67-jährige bekennende Katholik Claus Hipp seit beinahe fünf Jahrzehnten für sein ganz persönliches Glaubensbekenntnis: Leben im Einklang mit der Natur. Mit diesem Credo hat der Patriarch die Familienfirma Hipp-Werke mit Babynahrung und Fertigmenus für Kleinkinder in die Branchenspitze geführt: gegen 400 Millionen Franken Umsatz, rund 1000 Mitarbeiter, Produktionsstätten in der Schweiz sowie in Deutschland, Österreich, Ungarn, Kro-atien und der Ukraine. Auf einen Superlativ ist der umweltliebende Unternehmer besonders stolz: Hipp ist der weltgrösste Verarbeiter von biologischen Rohstoffen.
Geprägt haben Hipp einerseits der Agronom Albrecht Thaer mit dessen Schriften (Hipp: «Thaer hat schon im 18. Jahrhundert die Dreifelderwirtschaft abgeschafft») und anderseits ganz besonders der Schweizer Hans Müller aus dem Emmental. Der Exlehrer aus Grosshöchstetten BE, promovierter Naturwissenschaftler, späterer Nationalrat und Freund des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler, gilt als Begründer der organisch-biologischen Landwirtschaft. «Landbau lernst du bei mir», erinnert sich Hipp an ungezählte Lehrstunden bei Müller in den fünfziger und sechziger Jahren und an dessen ganz persönliche Empfehlung für ein Hauptstudium: «Mach Jura!»
Hipp promovierte in Jurisprudenz, absolvierte nebenher in München die staatlich anerkannte Malschule von Heinrich Kropp – und profiliert sich unverändert als gelehriger Schüler und Jünger Müllers. «Nur auf gesunden Böden wachsen gesunde Pflanzen.» Und nichts anderes als gesundes Obst und Gemüse will Hipp für seine Markenprodukte. Der Weg zu möglichst rückstandsfreien Rohstoffen für die Säuglingsnahrung war steinig. Wo gab es vor einem halben Jahrhundert noch unberührte Natur? Die chemische Industrie verkaufte sich fast flächendeckend als Heilsbringer für Ackerbau und Viehzucht. So ziemlich alle hatten ihre eigene grossbäuerliche Stallapotheke. Jahrelang als grüner Spinner verspottet, liess sich der damalige Twen Claus Hipp nie von seinem von Müller gewiesenen Weg abbringen: Obst, Gemüse und Getreide sollen ohne chemische Keule heranwachsen und reifen.
Wie ein Missionar klapperte schon der Jusstudent die Bauernhöfe rund um die väterliche Fabrik im bayrischen Pfaffenhofen ab und kreuzt auch heute noch regelmässig in seinem Uralt-Diesel, angetrieben natürlich mit Pflanzenöl, bei den Landwirten auf. Er predigt gebetsmühlenhaft strikte Enthaltsamkeit von Pestiziden und Herbiziden. Nach und nach haben sich bis heute mehr als 3000 Bauern Hipps Bewegung zur biologischen Bewirtschaftung von rund 15 000 Hektar Acker- und Obstwiesenland angeschlossen und verzichten auf Kunstdünger sowie Unkrautvernichter. Vielleicht nicht alle aus tiefer Überzeugung, sondern weil – inzwischen – auch die Kasse stimmt: Hipp honoriert das Umweltbewusstsein mit Abnahmeverpflichtungen zu garantierten Preisen.
Der Familienkonzern, benannt nach dem Vater Georg Hipp, dominiert längst in Deutschland den Handel mit Bébénahrung. «Wir sind Marktführer», bestätigt der Senior mit hörbarem Stolz. Neuerdings lässt die Gruppe neben den Nahrungsklassikern zusätzlich Pflegelotionen und Crèmes in der Schweiz für besonders zarte Kleinkinderhaut mischen und exportieren. Ordentliches Gewicht auf die Waage bringt Hipp in Österreich und Ungarn («Da sind wir stark»). Zufrieden zeigt sich der Herr der Gläschen mit den Verkäufen in Grossbritannien und in Osteuropa. Gegen eine Million Portionen verlassen täglich nach mehr als 250 Kontrollen die Hipp-Fabriken.
«Wir prüfen 260 Parameter», präzisiert der Fabrikant eine umfassende «Untersuchung auf 800 mögliche Schadstoffe». Was später in den Verkaufsregalen steht, soll laut Chef höchstselbst nichts weniger als «Spitzenqualität» sein – mit Bio-Siegel und der Botschaft «Das Beste aus der Natur. Das Beste für die Natur». Besorgten Müttern bietet Hipp in Werbespots eine längst sprichwörtliche Geborgenheit: «Dafür stehe ich mit meinem Namen.»
Doch nun drohen neue Gefahren aus den multinationalen Chemieküchen: gentechnisch veränderte Pflanzen. «Über Jahrhunderte hat die Menschheit in die Schöpfungsordnung eingegriffen, die Böden in Unordnung gebracht», giftet Hipp. Und jetzt? «Jetzt wird versucht, die Pflanzenwelt an die Unordnung des Bodens anzupassen.»
Sosehr ihn die Abstimmung des Volkes in der Schweiz gegen genveränderte Pflanzen auch freue, die ertragreichsten Gemüsebeete, Getreideäcker und Obstwiesen für die Familienfirma liegen in Bayern. Und da beackern Chemielobbyisten derzeit das politische Feld. Der frühere deutsche Gesundheitsminister Horst Seehofer von der bayrischen Regierungspartei CSU will, im neuen Amt als Agrarminister, Sonderrechte von Biobauern abmähen. Ausgerechnet Seehofer, dessen Wahlkreis für das deutsche Bundespar-lament in Hipps gesunden Gemüsegärten liegt.
Dass die wachsende Weltbevölkerung nur durch Chemie und Gentechnik überleben kann, bestreitet der Fabrikant aus der Zentralschweiz mit Inbrunst. Und mit Statistiken: «Die alten Ägypter und die Azteken in Mexiko haben vor Jahrtausenden mit ihren Ernten pro Hektar 15 Menschen ernährt», doziert Hipp. Heute sei dies anders. «In den USA reicht die Ernte pro Hektar für nur eine Person.»
Der Babykost-Hersteller und selber praktizierende Biobauer droht deshalb unverhohlen, seine Zutaten fürderhin aus Österreich, Ungarn oder Polen zu importieren. Da wird absolutes Gentechnik-Verbot garantiert. Und diese Garantie gibt der Hersteller schliesslich seinen Millionen Kunden. Hipp hat speziell in Deutschland einen untadeligen Ruf als Biomarke und dank der jahrzehntelangen zähen Bekehrung Tausender von Bauern zur reinen Naturlehre einen Bekanntheitsgrad wie der Mercedes, den der Missionar fährt.
Mit seinem positiven Image hat Hipp dabei Mercedes-Benz zuletzt gar glatt überholt, eben auch durch die glaubwürdigen Werbeauftritte des Patriarchen im Fernsehen. Hipps konsequente Markenpflege und ausdrücklich «seine Zähigkeit» honorierte eine Jury beim Start-up-Wettbewerb der Zeitschrift «Stern» im vergangenen Herbst mit dem Deutschen Gründerpreis. Kontinuierlich steigende Umsätze, Gewinne im zweistelligen Millionenbereich und der wachsende Wert der Marke führten den Hipp-Clan denn auch schon vor Jahren mit einem geschätzten Vermögen von 200 bis 300 Millionen Franken in die BILANZ-Rangliste der 300 Reichsten.
Nur in der Schweiz, der Heimat der Ahnen mütterlicherseits, dem Wirkungsfeld seines Vorbildes Hans Müller, dort, wo er längst auch eigene Wurzeln geschlagen hat, da harzte Hipps Geschäft lange. Natürlich wollte schon Vater Georg Hipp, dessen Gattin Anna aus Solothurn stammte, Kleinkinder in der neuen Zweitheimat mit seinem Brei beglücken. Nur liessen sich Schweizer Mütter nicht so schnell überzeugen. Denn hier kommt ein weiterer Nationalheld ins geschäftliche Spiel: Maximilian Oskar Bircher-Benner. Ein Mitarbeiter von Hipp senior vertraute sich, als er schwer erkrankt war, zur Untersuchung auf dem Zürichberg dem Arzt und Rohkostpapst Bircher-Benner an. Der Medikus therapierte auf seine ureigene und inzwischen legendäre Weise: mit eingeweichten Haferflocken, Kondensmilch, Honig, geriebenen Nüssen plus Früchten – dem heute weltberühmten Bircher-Müesli eben. Doktor Bircher kurierte den Hipp-Angestellten nicht nur von seinem Gebrechen, sondern entliess ihn auch mit einer Geschäftsidee zurück in die Arbeitswelt.
Die Hipps päppelten fortan in Obwalden dank Bircher-Benners Müesli-Formel eine neue Firmentochter auf: Bio-Familia. Mit gegen 7000 Tonnen Müesli und anderen Cerealien, die heute bei Bio-Familia Jahr für Jahr hergestellt, eingetütet und verkauft werden, ist das Unternehmen schweizweit längst Branchenprimus für diese Produkte. Nach und nach taucht auch Hipps Urprodukt Bébékost in Schweizer Verkaufsregalen auf. «Wir waren die erste Marke bei Migros», freut sich Hipp.
Das Distributionsnetz der inzwischen auch schon über 50 Jahre gewachsenen Bio-Familia-Organisation reicht landesweit. Wo jedoch Bio-Familia draufsteht an dem Fabrikgebäude an der Brünigstrasse in Sachseln OW, ist – beinahe unsichtbar – auch Hipp drin. Formaljuristisch steuert die Familie nämlich aus Obwalden seit 1999 ihr gesamtes Firmenimperium. Die schmucklose Industrieimmobilie beherbergt zum Beispiel die Hipp & Co., das Holdingdach für sämtliche Ableger der Firmengruppe. Als Zweck nennt die Gesellschaft «insbesondere die Übernahme der Kommanditanteile an der Hipp in München». In Sachseln liess der Clan eine Hipp Beteiligungs AG ebenso registrieren wie die Hipp Finanz. Als VR-Präsident lenkt der Senior aus der Zentralschweiz auch Hipp Holding und Hipp Management.
Bei der Kommanditgesellschaft in Sachseln wird sichtbar, dass Hipp zwar in der Aussendarstellung wie eine One-Man-Show abläuft. Tatsächlich teilen sich jedoch drei Söhne des Gründers Georg Hipp den Konzern. Neben dem Erstgeborenen, dem Verkaufsgenie Claus Hipp, kontrolliert dessen einer Bruder, Georg Johann, die Vermögensverwaltung und dessen anderer, Paulus, die Finanzen. Claus Hipps Söhne Sebastian und Stefan Georg Hipp trainieren längst erfolgreich für eine spätere Übernahme der Gesamtverantwortung. Mit noch bescheidenen Einlagen traten die Junioren als Kommanditäre der Holding in Sachseln bei.
Sosehr der Familie absolute Glaubwürdigkeit für die Marke wichtig ist, so sehr beteuern die Hipps stets auch das strikte Einhalten jeglicher Bürgerpflichten. «Für uns als auch in Deutschland wohnende Schweizer Bürger gilt das deutsche Steuerrecht genauso wie das zwischen Deutschland und der Schweiz abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen», betonen die beiden Schweizer Claus und Paulus Hipp nachdrücklich. «Sich auch der schweizerischen Wurzeln seiner Familie bewusst zu bleiben und ihnen auch räumlich und nicht nur emotional nahe zu sein, ist legitim», begründen sie plausibel ihren Entscheid für das Schweizer Bürgerrecht.
Mit der Schöpfung von Hipp & Co. in Sachseln hat der Clan allerdings diskussionslos, wenn auch heimlich, still und leise ein für viele Familienunternehmen in Deutschland existenzbedrohendes Problem gelöst: Eine Erbschaftssteuerlast wird für die insgesamt acht Kinder von Claus und Paulus Hipp in Obwalden bei einem späteren Nachlassfall deutlich milder ausfallen.
In den Medien hatte Stammhalter Stefan Hipp im Vorjahr seinem Vater unfreiwillig vorübergehend einmal den Rang abgelaufen: als Lebensgefährte von Maya Flick, der Exfrau des Wahlschweizer Kunsthorters Friedrich Christian («Mick») Flick. Die Mutter von drei Flick-Kindern, eine geborene Gräfin von Schönburg-Glauchau und Schwester der schillernden Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, gehört halt zum so genannten Jetset. Der Mann an ihrer Seite steht zwangsläufig mit im Blitzlichtgewitter auf dem Boulevard, erst recht, wenn er der Mittvierzigerin zum vierten Mutterglück verhilft.
Der strenggläubige Katholik Claus Hipp soll laut Presseberichten ob des vorehelichen Sündenfalls wenig erbaut gewesen sein. «Unsinn. Ich habe mich über meine Enkeltochter sehr gefreut», widerspricht der junge Grossvater vehement. Mehr noch: «Ich bewundere, dass Maya mit 45 Jahren den Mut hatte, noch ein Kind zur Welt zu bringen.» Der Senior, dessen Enkeltochter Maria Carlotta Beatrice übrigens wie er selbst im Sternzeichen Waage geboren wurde, denkt und fühlt in diesem Fall wie Bayerns bürgerlicher Fussballkaiser Franz Beckenbauer. «Der liebe Gott freut sich über jedes Lebewesen», hatte der Präsident des FC Bayern München die Boulevardpresse entwaffnet, als ihm nach einer clubinternen Weihnachtsfeier Vaterfreuden winkten.
Bei aller geschäftlichen Extrovertiertheit: Privates bleibt für Claus Hipp privat. Seine Töchter Nicola, Antonia und Felicitas stehen ebenso diskret im Hintergrund wie Paulus Hipps weibliche Nachkommen Maria, Domenica und Elisabeth. Für weniger gut informierte Museums- und Galeriebesucher scheint es gar einen Doppelgänger zu geben: den Maler Nikolaus Hipp. Den feinen Unterschied im Vornamen kreierte der Nebenerwerbskünstler dabei mit Bedacht. Wenn er nach Feierabend vor seiner Staffelei in einem versteckten Forsthaus steht und malt, hat das mit dem Business nichts zu tun.
Der Maler Nikolaus Hipp geniesst längst einen internationalen Ruf. Seine abstrakten Gemälde hängen in Museen; er präsentiert regelmässig in Galerien, oft auch in seiner Bürgergemeinde Solothurn. Die Universität in der georgischen Hauptstadt Tiflis berief Nikolaus Hipp zum Kunstprofessor. Gelegentlich lehrt er auch im südtirolischen Bozen. Seinen Lebensunterhalt könnte Hipp längst mit seinen Kunstwerken bestreiten. Gegen 150 000 Franken nimmt er jährlich ein mit dem Verkauf von Bildern. Diesen Erlös spendet der 67-Jährige komplett für wohltätige Zwecke.
Dr. iur. Claus Hipp aus Sachseln? Oder Professor Nikolaus Hipp aus dem deutschen Ehrensberg? Amtlich fällt diese hippsche Zweifaltigkeit eindeutig aus. Getauft wurde er auf den Vornamen Nikolaus – nach dem Schweizer Nationalheiligen Nikolaus von der Flüe.