Seit Tagen bewege ich mich nur noch mit einem Apple-Gerät und Ohrstöpseln durch die Gegend. Ich höre Leuten aus der ganzen Welt zu, wie sie sich in der neuen App Clubhouse über Gott und die Welt unterhalten. Wenn mich jemand anspricht, winke ich energisch ab. Ich will nicht gestört werden.
Es ist ein Erlebnis, Menschen zuzuhören, die man manchmal kennt, häufig nicht, und man sich trotzdem angesprochen fühlt. Man muss nur das Händchen auf dem Bildschirm antippen und schon wird man aus dem Zuhörerraum auf die Moderatoren-Ebene geholt und kann mitreden, Fragen stellen oder seine Expertise einbringen. Alle Gespräche sind höflich, freundlich, interessiert. So geht Social Media.
Das Faszinierende – neben der Gesprächskultur – ist das demokratische Mitreden. Wer etwas besprechen möchte, eröffnet einen Raum, setzt eine Uhrzeit, organisiert bestenfalls noch zwei Co-Moderatoren und los geht es. Hörer kommen garantiert oder man lädt sie vorher ein. Einzige Voraussetzung ist ein Apple-Gerät und eine Einladung.
Riccarda Mecklenburg ist im Vorstand des Verband Frauenunternehmen und Co-Moderatorin des «1-Satz-Literaturclub» auf Clubhouse.
Die App schlägt Wellen wie seit Jahren keine zweite. Unsere Isolation in der Pandemie beschleunigt wahrscheinlich den Erfolg. Unmengen von Menschen haben Zeit und Langeweile. Hungern nach Austausch und Aufmerksamkeit. Wie perfekt ist da eine App, wo nur die Stimme und das Gesagte wichtig sind.
Ein demokratischer Podcast zum Mitreden. Flache Hierarchien, kein Townhall-Gedönse, kein Zoom-Meeting mit gequält geheucheltem Interesse. Gespräche auf Augenhöhe, so wie es New Work verspricht. Neulinge sind an der Konfettikanone in ihrem Profilbild zu erkennen. Das ist das Signal für den Welpenschutz.
Jetzt wird auf Clubhouse experimentiert. Aber seien Sie nicht überrascht, wenn bald Ihr Kommunikations- oder PR-Experte auf Sie zukommt und vorschlägt, dass Sie dringend ihre Expertise in diesem oder jenem Talk einbringen müssen, um ihre Profilierung zu unterstreichen. Spätestens dann hat die Plattform ihre Unschuld verloren. Geniessen wir sie noch verspielt und unverdorben.