Herr Dueck, Sie halten Dutzende von Keynotes vor DAX-Unternehmen, Verbänden und Institutionen in Deutschland, aber auch in der Schweiz. Sind Sie nicht langsam müde, immer dasselbe zu erzählen?
Es ist zäh, aber 2019 fühlt sich an wie Aufbruch. Ich denke, die junge Generation hat die Digitalisierungs-Wehleidigkeit satt. Hier bei der re:publica in Berlin kann ich einmal zu neuen Themen reden. Das Motto «Too long, didn´t read» ist greifbar gut gewählt und ich kann mich mal mit etwas Neuem austoben. Am schlimmsten ist es, vor Publikum zu sprechen, das nicht homogen ist, etwa bei Preisverleihungen, bei denen das Publikum absolut nicht wegen des Redenthemas lauscht. Solchen Zuhörern bin ich dann oft zu scharf und direkt – wo sie dann eher Unterhaltung erwartet hätten. Ich glaube, ich mag solche Veranstaltungen nicht mehr, weil ich immer eine echte Message rüberbringen möchte.
Über welche Themen haben Sie in letzer Zeit besonders oft gesprochen?
Na, über Digitalisierung. Die hat zwei Seiten: Ganz neue Innovationen – und auf der anderen Seite die Industrialisierung oder «McDonaldisierung» der Service-Gesellschaft. Die Kommunikation im Service zum Beispiel beim Hotel-Checkin oder am Flughafen ist schon so sehr standardisiert und formalisiert, dass da bald Roboter oder Terminals stehen.
In welcher Situation passiert das?
Überall. Bald werden auch in Meetings keine inhaltlichen Dinge mehr besprochen, sondern nur noch ein Abhaken betrieben. Es laufen fast schon Skripte ab, also kleine Programme wie Kurzrituale. Es gibt dazu den üblichen Streit um die Abteilungsinteressen wie in der Parteipolitik. Emotionen funken dazwischen. Viele fühlen sich als Darsteller im Theater, also fast schon in vorgegebenen Texten gefangen. Gefühlt sind es Algorithmen, die unsere Zusammenarbeit steuern. Es geht kaum noch um Inhalte, nur noch um Abläufe. Abläufe und Prozesse sind ja schon in etwa Algorithmen. Generell tendieren wir bei der Industrialisierung der Services dazu, die Gesellschaft zu algorithmisieren.
Eine Gruppe, die Sie besonders gerne kritisieren, sind Manager. Weshalb?
Etablierte und besonders alteingesessene Firmen entwickeln langsam ihre eingefahrenen Rituale, die wir als System dann Betriebskultur nennen. Manager arbeiten nach einem festgelegten Methoden-Kanon. Im digitalen Umbruch funktionieren die bewährten Schablonen aber nicht mehr. Man muss wieder ganz neu unternehmerisch denken und im Wandel bestehen. Jetzt gilt es, wieder mit inhaltlichen Visionen zu arbeiten und nicht mehr Ziele wie «Plus 10 Prozent Umsatz» an die Mitarbeiter zu kaskadieren. Genau so etwas aber geschieht: Heute wird im Management vor allem eine Methoden-Kultur betrieben. Wenn etwas nicht klappt, holt man Berater und führt eine neue Methode ein. Agilität ist gerade Mode. Dann wird das Fliessband jetzt mal schnell agil betrieben... Für Disruptionen reichen solche Pseudo-Methodenwechsel nicht.
Gunter Dueck lebt als freier Schriftsteller, Philosoph, Blogger, Business Angel und Speaker in Waldhilsbach bei Heidelberg. Nach einer Karriere als Mathematikprofessor arbeitete er fast 25 Jahre bei der IBM, zuletzt als Chief Technology Officer. Dueck ist korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Fellow des amerikanischen Ingenieursverbandes IEEE und Fellow der Gesellschaft für Informatik. Er hat zahlreiche Bücher über die Zukunft der Arbeit, Management, Bildung und Innovationen geschrieben, zuletzt «Das Neue und seine Feinde» und «Schwarmdumm».
Können Sie ein Beispiel nennen?
In etlichen Konzernen machen sehr viele Mitarbeiter Lehrgänge mit: Agilität, Design-Thinking, Empathie, Emotionale Intelligenz, so wie früher TQM (Total Quality Management) oder Six Sigma. Diese Belehrungen erzeugen meist nur sogenanntes «träges Wissen», solches, was man im Kopf hat, aber im Tagesgeschäft nicht anwenden oder gebrauchen kann. Solches Wissen macht aus einem Dieselmotor keine Batteriefabrik. Und der normale Mitarbeiter hat ja auch nichts mit den disruptiven Entscheidungen zu tun. Sollen doch erst einmal die da oben Design-Thinking betreiben!
Sie sprechen von diesen endlosen Powerpoint-Präsenationen...
Ach, ich klage, dass man nicht über Lösungen spricht, sondern Frontalunterricht über Powerpoints bekommt. Das ist auch so ein Ritus, der im Alten gefangen hält. Im besten Fall bekommen die Zuhörer wieder nur träges Wissen eingebläut. Sie hören jetzt zum Beispiel von Beratern, dass sie Big Data oder KI machen sollten. Und nun? Wie soll man das umsetzen?
Das bedeutet, Unternehmen müssten von der Methoden- zur Inhaltsentwicklung umstellen?
Leute, die BWL studiert haben, sind aber wieder nur auf Methoden ausgerichtet. Wenn ich stetig nach neuen weltrettenden Methode suche und die ganze Zeit mit deren Einführung verbringe, übernehme ich keine Verantwortung für den inhaltlichen Wandel. Wer die Inhalte eines Unternehmens verändern möchte, muss irgendwann sagen: Dafür stehe ich! Anker lichten und neue Kontinente urbar machen!
Wie können Firmen diesen Teufelskreis durchbrechen?
Es gibt schon lange die Idee der «learning organization». KPIs werden nicht mehr nur nach Zahlen gemessen, sondern wie viel ein Unternehmen bereit ist zu lernen. Da geht es nicht um träges Wissen, sondern um neue besonnene Handlungsorientierung. Nehmen Sie Tesla: Der Autobauer lernt extrem viel. Erst wie man Autos produziert, jetzt wie man sie distributiert. Das Unternehmen gibt es aber erst ein paar Jahre. In der heutigen Zeit müssen Mitarbeiter und Manager immer wieder neu lernen – und es kommen Phasen in Unternehmen, bei denen niemand eine schnelle Lösung bereit hat. Da muss man durch. Auch wenn es Häme gibt wie bei Tesla. Die Börse ist sensibler als die Altmanager, die meist augenrollend nicht erklären können, warum Unternehmen wie Uber, Tesla, Salesforce an der Börse so viel wert sein sollen. Die Börse bewertet aber das Lernen, nicht das statische Managen.
Nochmals zu den Managern. Was machen sie falsch?
Sie merken ja alle schon, dass eine neue Zeit kommt. Ich sage immer: Bei einer Sintflut sollst du nicht Deiche bauen, sondern Schiffe. Das mögen sie nicht, sie bauen Deiche. Man versucht also das Alte noch effizienter zu machen, um das Etablierte zu retten. Das artet dann in Sparen, Qualitätskompromissen und Einfordern von unbezahlten Überstunden aus. Das wiederum führt zu immer mehr Qualitätsproblemen und mehr Überlast, siehe Deutsche Bahn. Es entsteht ein Komplexitäts-Gau. Man managt dann nur noch das Stolpern von einem Problem ins nächste.
Wer ist eigentlich der beste Manager der Welt?
Es gibt ja keinen besten. Mich fasziniert zurzeit Zeit Elon Musk. Ich weiss, das ist nicht sonderlich überraschend, aber ich kann ihnen sagen wieso. Er ist sehr prägend – nicht so sehr im Zusammenhang mit Tesla, sondern mit Space X. Was er da geleistet hat, ist unglaublich. Er hat mit dem simplen Gedanken angefangen, dass die Einzelteile einer Rakete zusammen viel weniger kosten als die Raumrakete am Ende. Das muss doch einfacher gehen! Musk hat diese Diskrepanz hinterfragt und ist ihr auf den Grund gegangen. Er hat SpaceX gegründet und nach wenigen Jahren wurde es profitabel. Wer wagt sich schon, einfach mal so etwas furchtbar Komplexes wie eine Rakete zu bauen – und schafft das auch? Niemand, ausser Elon Musk.
Das neuste Buch von Dueck heisst «Flachsinn: Ich habe Hirn, ich will hier raus», Campus Verlag