1975 erging an die Schweizer Uhrenmanufaktur Zenith in La Chaux-de- Fonds die Order, alle Maschinen und Werkzeuge zur Herstellung des legendären El-Primero-Kalibers zu verschrotten. Definitiv. Das Kapitel Mechanik, so die Begründung, gehöre der Vergangenheit an: veraltet, abgehakt, vorbei.
Der Befehl kam aus den USA, konkret von der amerikanischen Zenith Radio Corporation, damals im Besitz der fast gleichnamigen Schweizer Uhrenmanufaktur. Doch auch in der Schweiz glaubte mitten in der Uhrenkrise kaum mehr jemand an das Überleben der mechanischen Uhr. Billige und doch hochpräzise Quarzuhren aus Fernost waren angesagt, mechanische Uhren blieben in den Regalen der Läden liegen. Mit fatalen Folgen: Mehr als die Hälfte der 90 000 Uhren-Arbeitsplätze wurden abgebaut.
Mit der Verschrottung der El-Primero-Werke wurde bei Zenith ausgerechnet der wackere Uhrmachermeister Charles Vermot beauftragt, der sich zuvor vehement in verschiedenen Briefen an die Zenith Corporation fü das Überleben des Kalibers eingesetzt hatte. Vermots Liebe zur Mechanik blieb indes stärker als die Loyalität zu den Chefs: Heimlich zerlegte er El-Primero- Werkzeuge und Maschinen, beschriftete sie fein säuberlich und versteckte sie auf dem Dachboden der Manufaktur.
Die Episode hätte eine muntere Anekdote der Industriegeschichte bleiben können. Doch das eigenmächtige Vorgehen ist von Belang, weil Charles Vermot damit eines der wichtigsten Uhrenwerke rettete, das je in der Schweiz gebaut wurde. Es ist gemeinsam mit dem Kaliber 11 von Breitling und Heuer sowie einem japanischen Produkt das erste automatische Chronografenwerk überhaupt. Es schwingt statt mit den üblichen 28 800 Halbschwingungen mit rasanten 36 000 Halbschwingungen pro Stunde, was die Uhr mechanisch sehr anspruchsvoll macht. Aber auch sehr präzise. Das El-Primero-Werk von 1969 gilt heute noch als technische Meisterleistung. 1984, als sich ein Revival der mechanischen Uhr abzeichnete, konnten bei Zenith dank Charles Vermot die Maschinen für das Werk rasch wieder zusammengebaut werden. Und für das El-Primero-Kaliber begann ein zweites Leben – lange auch als Motor von Ebel- oder, leicht modifiziert, Rolex- Daytona-Uhren.
Dass wir die Geschichte heute erzählen, hat einen guten Grund: Mit dem El Primero hat Zenith unter Führung des neuen CEOs Jean-Fréderic Dufour im letzten Jahr den dritten Frühling erlebt. Und in eine neue Erfolgs- Ära abgehoben. Kaum eine Marke hat bei Uhrenfreunden so viel Terrain gutgemacht.
Zuvor war Zenith von Ex-CEO Thierry Nataf zur Glamourmarke hochgeföhnt worden. Nataf kam aus dem Champagnergeschäft und wendete Methoden an, mit denen er bei Veuve Clicquot Erfolg hatte. Es gab bei Zenith plötzlich rauschende Feste, es gab viel Glitzer, viel Scheinwerfer, viel Lifestyle und viele auffällige Modelle. Uhrenpuristen wandten sich indigniert ab – sie sahen die Marke um ihr Erbe betrogen. Jetzt ist ihre Welt wieder im Lot. Jean- Frédéric Dufour hat alles Bling- Bling resolut über Bord geworfen, die Zahl der Referenzen zusammengestrichen und die Lifestyle- Brand zur reinen Uhrmacher- Marke für Kenner getrimmt.
Dafür steht symbolisch die ganz neue El Primero Chronomaster 1969. Sie zitiert die Farben des Ur-Primero und gibt den Blick auf das Werk frei (siehe Bild), übrigens ein reines, schnell schwingendes El Primero, nur haben es die Ingenieure von Grund auf erneuert.
Zu haben ist es für 6600 Euro – ein christlicher Preis für eine Uhr mit einem eher seltenen Manufakturwerk. In einer ähnlichen Kategorie gibt es seit einigen Monaten auch eine El Primero mit Jahreskalender. Bei ihr muss das Datum nur Ende Februar von Hand umgestellt werden. Sie kostet in Stahl 7000 Euro.
Es ist tröstlich für Freunde schöner Mechanik, dass es nach wie vor ehrliche Uhren mit schönen Manufakturwerken zu nicht abgehobenen Preisen gibt. Und ein bisschen verdanken wir das auch dem Uhrmacher Charles Vermot.
Pierre-André Schmitt ist Chefredakteur des Schweizer Stil-Magazins „First“ und leidenschaftlicher Fan feiner Uhrenmechanik