Die grossen chinesischen Gründergeschichten faszinieren, doch selten stehen die Tycoons für ein Interview zur Verfügung. Für BILANZ macht Yeung Kin-Man, grösster Luxusglasproduzent der Welt, eine Ausnahme. Seine Fabrik liegt in Huiyang, 30 Kilometer nördlich von Hongkong. Der 64-Jährige ist in der Kronkolonie aufgewachsen, doch die Produktion hat er längst in die Volksrepublik verlagert. «Ich liebe die Schweiz», sagt er gleich zu Beginn des Gesprächs. Ein guter Einstieg.
Herr Yeung, Ihr Unternehmen Biel Crystal ist der weltgrösste Hersteller von Touchscreens und nach einer Schweizer Kleinstadt benannt – das freut uns!
Da muss ich Sie leider etwas enttäuschen. Biel wird auf Chinesisch wie «Blessed» ausgesprochen, das englische Wort für «gesegnet». Als ich mich vor 30 Jahren für den Namen Biel Crystal entschied, war dieser positive Klang meine Hauptmotivation. Der Name hat uns wirklich Segen gebracht: Heute haben wir 120 000 Mitarbeiter und sind der weltgrösste Glasproduzent für globale Erfolgsfirmen wie Apple oder Samsung – und die Schweizer Uhrenindustrie.
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Dass die Schweizer Uhrenmetropole Biel genauso heisst, war Ihnen aber bekannt.
Ja, sicherlich, und das hat mich in meiner Namenswahl bestärkt. Immerhin haben wir den Einstieg in die Uhrenindustrie über Tissot geschafft, und die Swatch Group als Tissot-Eigentümerin hat ja ihren Sitz in Biel. Sie haben sich vor mehr als 25 Jahren als erste Schweizer Uhrenmarke für unser Saphirglas entschieden.
Sie kennen die Schweiz also bestens?
Ich komme gern zur Uhrenmesse nach Basel – immerhin liefern wir für mehr als die Hälfte der Schweizer Uhren die Gläser. Diese Marken wollen höchste Qualität, und wir freuen uns sehr, ihnen diese zu liefern.
Sie haben also eine emotionale Beziehung zur Schweiz?
Auf jeden Fall. Bevor der Smartphone-Boom begann, erzielten wir mit der Uhrenindustrie die Haupteinnahmen. Die hohen Qualitätsanforderungen ermöglichten uns erst, mit Apple und Samsung überhaupt in Verhandlungen zu treten.
Als 34-Jähriger gründete Yeung Kin-Man 1987 in Shenzhen die Glasfabrik Biel Crystal mit 100 Mitarbeitern. Er belieferte Uhrenhersteller wie Tissot, Seiko und Citizen. Der Durchbruch kam, als die Mobiltelefonhersteller von Plastik auf Glas wechselten. Heute ist Yeung klarer Weltmarktführer für Smartphone-Touchscreens. Der Umsatz liegt laut Schätzungen bei sieben Milliarden Dollar, die Marge wird auf über zehn Prozent geschätzt.
Heute ist der Umsatz im Uhrengeschäft klein im Vergleich zum Smartphone-Geschäft – gerade einmal fünf Prozent Ihres Umsatzes.
Ja, aber die Geschäfte mit der Schweiz waren die Grundlage für unseren Erfolg, und wir wollen sie gern weiter ausbauen.
Wie viele Menschen auf der Erde nutzen Ihre Produkte?
Sicher mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, also mehr als vier Milliarden Menschen. Wir produzieren über die Hälfte aller Glasabdeckungen von iPhones, Samsung Galaxys und sind auch bei günstigeren Anbietern wie Huawei, Oppo oder Vivo klarer Marktführer. Insgesamt liegt unser Marktanteil bei High-End-Touchscreens bei etwa 50 Prozent. Bei den Apple Watches sind wir sogar Monopolist: Wir haben hier in Huiyang die Gesamtproduktion der Touchscreens übernommen – jeden Tag mehr als 100 000 Stück.
Der Wettbewerb zwischen Apple und Samsung ist der härteste der Welt – und in Ihrer Fabrik lagern alle Designs der neusten Modelle unter einem Dach?
Wir haben die Produktion extrem streng getrennt. Es gibt auf unserem Fabrikgelände ein eigenes Apple- und ein eigenes Samsung-Gebäude. Beide haben eigene Facharbeiter, eigene Ingenieure und eigene Entwickler. Das sind zwei komplett unterschiedliche und separate Kulturen.
Aber bei Ihnen in der Geschäftsleitung läuft alles zusammen – Sie wissen alles.
Ich kümmere mich nicht um die Details des Designs oder der Touchscreen-Technologie, dafür haben wir unsere Techniker. Grundsätzlich gilt: Wenn uns diese Kunden nicht vertrauen würden, würden sie sofort ihre Aufträge abziehen. Auch vom iPhone X stellen wir deutlich mehr als die Hälfte der Touchscreens her, und es hat auf beiden Seiten Glas. Dass wir diesen Prestigeauftrag bekommen haben, zeigt das grosse Vertrauen.
Apple gilt als sehr streng. Schickt die Firma heimlich Inspektoren vorbei, um die Abläufe zu kontrollieren?
Ja, wir erhalten regelmässig unangemeldeten Besuch.
Was prüfen die genau?
Sie checken, ob unsere Sicherheitsmassnahmen gut genug sind, um ihre Daten zu schützen. Wir haben einen eigenen Hochsicherheitstrakt. Sie prüfen auch die Firewall zu den Konkurrenzherstellern.
Hat Apple nie versucht, Sie als exklusiven Zulieferer zu bekommen?
Sie haben es versucht, aber ich habe Nein gesagt. Wir können sie sehr gut unterstützen. Nehmen wir die Apple Watch. Sie haben mit einer japanischen und einem taiwanesischen Unternehmen verhandelt, doch unsere Technologie war die beste. Deswegen wollen sie mit uns zusammenarbeiten und akzeptieren, dass wir mit anderen arbeiten. Wir entwickeln mit unseren Kunden auch gemeinsame Produkte, zum Beispiel beim Samsung Galaxy. Manche Kunden kommen auch mit ganz speziellen Sonderwünschen zu uns, die wir dann umsetzen.
Ist Apple nicht längst abhängig von Ihnen? Wenn es hier ein Erdbeben gibt, hat die Zentrale im Silicon Valley ein grosses Problem.
Das gilt für fast alle unsere Kunden. Wir sind Partner und brauchen uns gegenseitig. Unsere grossen Maschineninvestitionen lohnen sich auch nur, wenn wir Verlässlichkeit auf der Gegenseite haben.
In den Vereinigten Staaten steigt der Druck auf Unternehmen wie Apple, wieder verstärkt in der Heimat zu produzieren. Merken Sie da einen Unterschied?
Bisher läuft alles gut weiter. Wir müssen sehen, was die Zukunft bringt. Fakt ist: Unsere Fabrik kann man nicht in den USA betreiben. Die Rohstoffe, die Grösse, die Arbeitskosten – all das liesse sich auch nicht ansatzweise zu den gleichen Konditionen in den USA aufbauen. Der Assembly-Partner, der die Einzelteile zusammensetzt: Das liesse sich vielleicht in den USA ansiedeln. Unser Zulieferergeschäft nicht.
Hat Apple das Thema angesprochen?
Nein, gar nicht.
Der chinesische Präsident Xi Jinping tritt als Freihändler auf, sein US-Gegenpart Donald Trump als Isolationist.
Dazu kann ich nur sagen: Unsere Produktion ist für beide Volkswirtschaften gut – für die USA und China. Einen Autohersteller aus Japan können die Amerikaner vielleicht mit hohen Importzöllen belegen, denn sie stellen ja selbst genügend Autos her. Doch unsere Industrie betrifft das nicht.
Im Westen verschärft sich die Kritik an der chinesischen Expansion. In der Schweiz etwa haben chinesische Unternehmen grosse Firmen wie Syngenta oder Gategroup übernommen, doch im Gegenzug dürfen westliche Firmen keine chinesischen Firmen kaufen. Wie stehen Sie dazu?
Für uns sind Übernahmen kein Thema, wir sind bisher immer organisch gewachsen, und das soll auch so bleiben. Ich bin in Hongkong aufgewachsen, da haben wir uns schon immer für offene Märkte eingesetzt. Diese Richtung sehe ich langfristig auch unter der aktuellen Führung in China.
Und jetzt wollen Sie noch weiter wachsen, von 120 000 auf 200 000 Mitarbeiter...
Smartphones bleiben unsere Zukunft. Die neuen Produkte für die Netze 5G und 6G funktionieren mit Metallabdeckungen nicht mehr. Glas wird also noch weiter massiv an Bedeutung gewinnen. Alle wollen Glas, Glas, Glas. Das ist ein gigantisches Geschäft.
Finden Sie die neuen Mitarbeiter einfach?
Es ist ein harter Wettbewerb mit anderen Fabriken. Wir müssen etwas bieten. Wir haben Kindergärten, Grundschulen, Sportaktivitäten, Unterhaltung. Zentral ist, dass die Mitarbeiter, die oft aus weit entfernten Regionen stammen, in ihrer Heimat positiv über uns berichten. Dann kommen immer wieder fähige Mitarbeiter nach.
Ihr Fabrikgelände ist eine Stadt. Wie viele Menschen leben hier insgesamt?
Etwa 400 000, davon arbeiten 100'000 für uns.
Was heisst das für die Infrastruktur?
Ein paar Beispiele: Wir haben 25 Tischtennisplatten, neun Badminton-Courts und sechs Karaoke-Bars. Allein unser Reinigungsteam umfasst 250 Mitarbeiter. Doch das ist erst der Anfang. Wir wollen allein nächstes Jahr 60 000 neue Mitarbeiter anstellen. Also bauen wir weiter aus: Wir erschliessen gerade neu ein Terrain von 40 000 Quadratmetern.
Die Sensor-Technologie für die Touchscreens ist Hightech. Woher bekommen Sie die Forscher und Entwickler?
Wir haben mit der City-Universität in Hongkong ein sehr gutes Programm entwickelt und stellen höchste Anforderungen an unsere Führungskräfte. Um bei uns in der Technikabteilung anzufangen, benötigen die Bewerber einen Abschluss in Optik, Chemie, Materialwirtschaft oder Ingenieurwesen. Ich unterstütze die Universität auch über meine Stiftung.
Wie viel verdienen Ihre Mitarbeiter mit Universitätsabschluss?
In Franken umgerechnet etwa 1500 im Monat, nach zehn Dienstjahren können es 5000 werden.
Und die Arbeiter ohne fachspezifische Ausbildung?
Sie liegen bei 670 Franken monatlich. Shenzhen, hier direkt an der Grenze zu Hongkong, ist neben Shanghai die grösste Boomregion des Landes. Der Mindestlohn hier beträgt 340 Franken. Da gibt es einen harten Wettbewerb um die guten Mitarbeiter. Das Bild der Volksrepublik China als billiger Werkbank der Welt stimmt nicht mehr.
Zurück zur Uhrenproduktion: Wird sie im Vergleich zu den Smartphones weiter an Bedeutung verlieren?
Nein, im Gegenteil. Wir wollen auf diesem Gebiet auch ausbauen. Unser Ziel ist es, unsere führende Touchscreen-Technologie noch besser mit der Schweizer Luxusuhrenindustrie zu verbinden. Wir haben hier erstklassige Designer und Entwickler. Wir wollen zu einem speziellen Anbieter für die Entwicklung einer Luxus-Smartwatch werden.
Sind die Schweizer Uhrenhersteller nicht technologieaffin genug?
Sie sind bisher sehr erfolgreich bei den mechanischen Luxusuhren, aber ich glaube, sie könnten noch erfolgreicher sein, wenn sie ihre starken Luxusmarken mit der neusten Technologie verbänden. Wir glauben an eine Art Hybrid-Smartwatch. Jetzt kostet eine Smartwatch vielleicht 300 Franken. Aber die Leute hier in Asien wollen einen Brand-Namen, ein Statussymbol. Dann geben sie dafür auch 3000 oder 10'000 Franken aus.
Sie tragen eine Apple Watch, Ihre Mitarbeiter auch, kombiniert mit einem teuren Armband. Heisst das: Wenn die Schweizer Uhrenbranche nicht stärker auf Technologie setzt, bekommt sie ein Problem im chinesischen Markt?
Ja, das glaube ich. Die Käufer hier sind extrem technologieaffin, gleichzeitig suchen sie ein Statussymbol. Wenn diese Kombination gelingt, geben sie sehr viel aus. Je teurer das Produkt, umso mehr kaufen es.
Bloomberg schätzt Ihr Vermögen auf 13,4 Milliarden Dollar. Stimmt das?
Ich halte 51 Prozent an der Firma, 49 Prozent liegen bei meiner Frau. Wie genau diese Schätzungen zustande kommen, weiss ich nicht.
Sie wollen nächstes Jahr 20 bis 30 Prozent von Biel Crystal in Hongkong an die Börse bringen. Dann können Sie den genauen Firmenwert messen. Überflügeln Sie den reichsten Mann Hongkongs, Li Ka-Shing?
Das ist nicht mein Ziel (lacht). Bei dem Börsengang geht es mir überhaupt nicht ums Geld. Wir sind zu hundert Prozent eigenfinanziert und bezahlen alle Investitionen aus dem Cashflow. Mit dem Börsengang will ich vor allem die Systematik und die Disziplin in der Unternehmensführung erhöhen. Ein Konzern mit 120'000 Mitarbeitern braucht hochprofessionelle Abläufe. Wir sind kein Familienbetrieb mehr.
Warum kotieren Sie Biel Crystal in Hongkong und nicht in Shanghai?
Unser Firmensitz befindet sich noch immer in Hongkong, auch wenn hier nur die Verwaltung sitzt. Die Produktion findet längst in China statt. Hongkong liegt bei Kapitalmarktthemen noch immer vor Shanghai, auch haben wir von hier einen deutlich besseren Zugang zu den internationalen Märkten. Und schliesslich: Hongkong ist meine Heimat.
Und jede Woche ruft mindestens eine Investmentbank an, um den Börsengang zu organisieren?
Jede Woche? Machen Sie Witze? Jeden Tag! Doch bisher halte ich sie mir alle vom Leib.
Dieses Interview erschien in der Januar-Ausgabe 01/2018 der BILANZ.