Das waren noch Zeiten: Als im März 1996 die Zusammenlegung von Peter Wanners «Badener Tagblatt» mit dem «Aargauer Tagblatt» angekündigt wurde, löste dies im Mittellandkanton ein kleines Erdbeben aus. Die beiden freisinnig-liberalen Tageszeitungen hatten sich während Jahrzehnten einen heftigen und oft gehässigen Konkurrenzkampf geliefert. Sie waren Rivalen, genauso wie die Städte, aus denen sie stammten: Baden und Aarau. Man sprach deshalb diplomatisch von einer «Fusion», von einer «50:50-Lösung» und war pingelig darauf bedacht, alle wichtigen Posten paritätisch zu verteilen.
Wanner wurde Verlagschef, der Chefredaktorenposten ging ans «Aargauer Tagblatt». «Wir schauten immer darauf, dass die Kirche im Dorf blieb, dass es nicht nach einer Übernahme aussah», erinnerte sich Peter Wanner beim 20-Jahre-Jubiläum seiner «Aargauer Zeitung».
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Wanner ist einmal mehr der Sieger
Auch bei seinem neusten Deal, dem Zusammenschluss seiner AZ Medien mit den NZZ-Regionalmedien, sprechen die beiden Unternehmen geflissentlich von gleichberechtigter Partnerschaft und von paritätisch organisierten Entscheidstrukturen. Im «Jei Vi», wie die Beteiligten ihr Joint Venture gerne nennen, hätten beide Seiten gleich viel zu melden.
Aber wie vor 21 Jahren dürfte auch diesmal der Verleger aus Baden als Sieger vom Platz gehen. Denn er hat sich nicht nur das Verwaltungsratspräsidium der neuen Firma gesichert und seinen CEO, Axel Wüstmann, inthronisiert, sondern hält auch einen «Call», sprich eine Option, das ganze Unternehmen zu übernehmen. Die NZZ, auf der anderen Seite, kann nur eines: ihren 50-Prozent-Anteil verkaufen. In zehn Jahren – oder auch früher, wobei die Vertragspartner hier keine Details bekannt geben.
Chance auf gewaltiges Medienimperium
Es war Wanner, der bei den Verhandlungen auf einen Scheidungsmechanismus pochte. Jetzt hat er die Möglichkeit, in spätestens zehn Jahren in Besitz eines Medienimperiums zu kommen, das mit mehreren Radio- und TV-Sendern und 20 Bezahlzeitungen über die Hälfte der Schweiz abdeckt – vorausgesetzt, Wanner verfügt dereinst über die finanziellen Mittel, der NZZ-Gruppe die Aktien abzukaufen. Dann wäre er Herr über ein Unternehmen mit 500 Millionen Franken Umsatz, aufgebaut auf dem «Badener Tagblatt», das sein Ururgrossvater Josef Zehnder 1856 als «Tagblatt der Stadt Baden» gegründet hatte.
Heute zählen die Regionalzeitungen des AZ-NZZ-Verbunds laut den aktuellsten Wemf-Zahlen 934'000 Leser. Zum Vergleich: Die Tamedia-Redaktion kommt via «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» und die Zürcher Landzeitungen «nur» auf eine Nettoreichweite von 899'000 Lesern.
Um die politischen Gemüter zu beruhigen, haben die beiden Medienhäuser nicht nur die Regierungen aus den betroffenen Kantonen über ihren Zusammenschluss vorinformiert, sondern am Vorabend der Bekanntgabe sämtliche 246 Bundesparlamentarier per Mail avisiert. Um 20.05 Uhr traf das Schreiben in den elektronischen Briefkästen der National- und Ständeräte ein. Ein paar Stunden später drang die Meldung auf diesem Weg an die Öffentlichkeit. Eine Panne in dem vom PR-Büro Farner begleiteten Kommunikationsprozess. Aber der politische Aufstand blieb aus, die erste Hürde ist damit genommen.
Zweiter Anlauf
Es ist nicht das erste Mal, dass Wanners AZ Medien und die NZZ-Gruppe unter Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod miteinander verhandelten. Schon 2015 sassen die beiden Medienhäuser zusammen am Tisch: Damals ging es um ein Joint Venture für eine gemeinsame Sonntagszeitung für alle Regionalzeitungen.
Konkret hätte dies bedeutet, dass Wanner seine «Schweiz am Sonntag» auch an die Leser der Ost- und Innerschweizer Zeitungsabonnenten hätte liefern können, im Gegenzug hätten die «Luzerner Zeitung» und das «St. Galler Tagblatt» ihre «Zentralschweiz am Sonntag» und die «Ostschweiz am Sonntag» eingestellt. Damals sollte Peter Wanner nicht nur das Verwaltungsratspräsidium erhalten, sondern auch 51 Prozent am Gemeinschaftsunternehmen halten. Doch nach nochmaligem Rechnen machte die NZZ einen Rückzieher. Dies vielleicht auch, weil sie die Konkurrenz für ihre «NZZ am Sonntag» fürchtete.
Doch die NZZ-Gruppe wollte unbedingt eine Lösung für ihre Regionalmedien, die zwar vorläufig noch ansehnliche Gewinne in die Kassen spülen, letztlich aber an der Falkenstrasse nie die gleiche Wertschätzung erhielten wie das Hauptblatt. Die NZZ verhandelte deshalb auch mit der Tamedia über eine gemeinsame Regionalzeitungslösung. Das aber wäre faktisch einem Verkauf gleichgekommen. Das Resultat überzeugte die NZZ jedenfalls nicht, und so klopfte sie im Sommer erneut bei Wanneran.
«Mister 51 Prozent»
Jornod und der Aargauer Verleger setzten sich wieder an den Verhandlungstisch, und diesmal wurden sie sich einig. Es ist ein Deal unter zwei fast gleich grossen Partnern. «Der kleine Unterschied wird finanziell ausgeglichen», sagte Jornod der «NZZ am Sonntag». Sprich: Es fliesst etwas Geld, von Zürich in den Aargau, kommen doch die AZ Medien inklusive der separat geführten Radiostationen auf über 255 Millionen Umsatzfranken – und damit auf gut 10 Millionen mehr als die NZZ-Regionalmedien.
Wanner gibt sich – vorerst – mit 50 Prozent zufrieden. Für ihn, der in der Branche gerne «Mister 51 Prozent» genannt wird, «etwas gewöhnungsbedürftig», wie er selber einräumt. Aber er hätte nicht zugeschlagen, wenn er nicht überzeugt wäre, ein vorteilhaftes Geschäft gemacht zu haben. Alle, die mit Peter Wanner schon in Verhandlungen getreten sind, wissen, dass der 73-jährige Verleger alles andere als ein einfaches Gegenüber ist. Er ist ein Patron nach altem Schlag, der für sein Familienunternehmen kämpft, aber auch ein Patriarch, der alles kontrollieren will. «Schwierig» nennen ihn diejenigen, die zu keinem Abschluss kamen.
Familienbande
Jetzt musste er Konzessionen machen, musste akzeptieren, dass die NZZ ihn mal ausbremst. Nicht einfach für einen Alleinherrscher. Aber er hat auch vorgesorgt. So ist etwa in der Grundsatzvereinbarung schon verankert, dass das neue Joint Venture auch Investitionen tätigt und nicht nur Dividenden an die Aktionäre auszahlt. Und er hat zudem sichergestellt, dass seinen Kindern die Karrieremöglichkeiten erhalten bleiben.
Denn ausser seiner Tochter Caroline, die als Ärztin arbeitet, ist die nächste Generation schon fest im Aargauer Medienhaus eingespannt: Anna (32) als Journalistin und ihre beiden Brüder auf der Verlagsseite: Florian (29) führt die Radiosender, Michael (35) das Onlineportal Watson. Letzterer wird auch mit seinem Vater im Verwaltungsrat des neuen Joint Ventures Einsitz nehmen – gemeinsam mit dem Unternehmer Hans-Peter Zehnder und dem Anwalt Kaspar Hemmeler.
An der Falkenstrasse ist man noch nicht so weit: Mit dem Finanzchef Jörg Schnyder, dem CEO Felix Graf und dem Generalsekretär des NZZ-Verwaltungsrats, Hanspeter Kellermüller, sind erst drei der vier NZZ-Sitze im neuen Verwaltungsrat personell besetzt. Natürlich bleibt etwas Zeit für die Nominierung des vierten Sitzes, schliesslich muss die Wettbewerbskommission den Deal noch absegnen. Auf der Wanner-Seite aber wäre ein solches Vorgehen undenkbar.
Das hat auch mit der Ausgangslage zu tun: Während die NZZ nur ihre Regionalmedieneinheit einbringt, ist es bei Wanner das ganze Unternehmen – bis auf das defizitäre Onlineportal Watson, über dessen Zukunftschancen sich die beiden Verhandlungspartner wohl nicht einig wurden. Während viele Branchenbeobachter darin nur eine Geldverbrennungsmaschine erkennen, glaubt Wanner daran, in zwei oder drei Jahren den Break-even zu schaffen: «Wir brauchen einfach mehr Zeit als ursprünglich angenommen.» Eine negative Bewertung kam jedenfalls für ihn nicht in Frage, weshalb er Watson auch nicht ins Joint Venture einbringen wollte. Sollte das Portal einmal profitabel werden, kann es sich immer noch anschliessen.
Ebenso wie die vier regionalen Fernseh- und Radiosender, die aufgrund der Konzessionsauflagen – vorerst – organisatorisch aussen vor bleiben müssen. Sobald die gesetzlich festgeschriebene Klausel fällt, die mehr als zwei konzessionierte Radios und zwei konzessionierte TV-Sender pro Unternehmen untersagt, werden diese in die elektronische Medienfamilie rund um TeleZüri, TV24, TV25, S1 und Virgin eingefügt.
Wohl keine Liebesheirat
Wanner und Jornod vergleichen ihren Deal gerne mit einer Liebesheirat. Doch letztlich ist es der sich rasant wandelnde Markt, der sie zur Fusion zwingt, konkret: das in sich zusammenbrechende Inseratevolumen, die abnehmende Bereitschaft der Leser, für ein Zeitungsabonnement zu zahlen, und die hohen Investitionen, die der anstehende «digitale Transformationsprozess» erfordert – sprich: die Technologie für Onlinelösungen, Apps und Bezahlschranken. Für Jornod war es wichtig, dass er diese Investitionskosten seiner NZZ «teilen» kann, wie er mehrfach betonte. So gehört es zum Deal, dass das neue Joint Venture die IT-Lösungen aus dem Hause NZZ bezieht und mitbezahlt.
Die Heirat steht deshalb auch unter dem Motto «Gemeinsam sind wir stärker». Dank Grösse, so die Hoffnung der neuen Partner, soll auch in Zukunft die Publizistik im Mittelpunkt stehen. Wanner jedenfalls hat keine Ambitionen, andere Geschäftsfelder aufzuziehen, er will auch in Zukunft mit Journalismus und insbesondere mit dem Regionaljournalismus Geld verdienen. «Ich glaube fest daran, dass das möglich ist», sagt er. Und aus dieser Überzeugung heraus hat er am Mittag des 6. Dezembers den Vertrag unterschrieben. Als Letzter.
Dieser Text erschien in der Januar-Ausgabe 01/2018 der BILANZ.