Von der Spätgotik zum deutschen Expressionismus: Wenn Arthur Waser über die Entwicklung seines Sammelinteresses spricht, wird deutlich, dass auch er den jetzt so überaus populären Weg zu immer jüngerer Kunst zurückgelegt hat, nur um ein halbes Jahrhundert zurückversetzt.
Nicht von der klassischen Moderne zu den heutigen Zeitgenossen, er ist vom 15.ins 20. Jahrhundert gewandert. «Kein Wunder», lacht er, «ich bin Jahrgang 1930!» Geboren und aufgewachsen in Luzern, wurde Arthur Waser ebendort zum Buchhalter ausgebildet. «Zuvor war ich ein Jahr beim Rechtsanwalt, Abteilung Liquidation und Steuern. Dort lernte ich, dass es im Leben immer beides gibt: den Erfolg und sein Gegenteil!»
Mit Anfang zwanzig machte er sich in der Ölbranche selbstständig, einem kompetitiven, vergleichsweise harten Geschäft. Im Handel mit Öl, Benzin und Schmierstoffen stand er gegen die Grossen der Branche wie Shell oder Aral, konnte sich durch konsequente Nischenstrategien behaupten. Er begann bald, seine eigenen Tankstellen zu betreiben sowie Garagisten eine Existenz als Tankstelleninhaber zu ermöglichen, die dann seine Produkte vertrieben.
Nach rund einem halben Jahrhundert als Unternehmer zog sich Arthur Waser aus dem operativen Geschäft zurück und agiert seither für seine Ende der 1990er Jahre gegründete Stiftung als Family Office: «Wir machen hier Geld aus Geld.»
Das Stiftungsvermögen hat er vor allem in Immobilien investiert, die er als finanzielle «Grundlagen des Lebens» sieht, aber auch als dessen Verortung. Stolz erzählt er von einem aktuellen Projekt, einem Altersheim bei Bern mit mehrfach prämierter Architektur, dessen Demenzgarten auf dem Dach des Gebäuderiegels in die Zukunft weist. «Das Eintrittsalter für derartige Einrichtungen steigt, und damit das Risiko der Demenzerkrankung – bis die Pharmazie eines Tages hoffentlich die Demenz überwinden wird können.»
Neue Schulen braucht Afrika
Die im Family Office erwirtschafteten Mittel kommen seiner Stiftung zugute und werden zu rund zwei Dritteln in Afrika eingesetzt. «Afrika muss seine eigene Seele finden, und das geht vor allem über Bildung. Unser Geben ist ein Aufbauen.» Die Strategie der Arthur Waser Stiftung erstreckt sich auf Schul-, Hochschul-, Berufs- und Erwachsenenbildung.
Hierbei geht es jedoch nicht um die Förderung von singulären, relativ kurzfristigen Projekten. «Unser Ansatz ist der einer partnerschaftlichen Begleitung unserer Empfängerorganisationen, denn wir sehen Stiftungsarbeit nicht als bilaterale projektorientierte Beziehung, sondern als langjährige Begleitung von Partnern, die sich untereinander, aber auch mit uns in gemeinsamen Lernprozessen befinden», erläutert David Keller, Geschäftsführer der Stiftung. «Wir sind eine Plattform für Lernprozesse. Das ist in hohem Masse vertrauensbildend.»
Lebenslange und lebensübergreifende Partnerschaften
Hierzu arbeitet die Stiftung bevorzugt mit Kongregationen, die sich durch ihren sozialen Zweck definieren und oft bis zu 300 Schwestern haben – und deren an der Montessori-Pädagogik orientierte Arbeit ebenso langfristig angelegt ist wie die der Waser Stiftung. Diese Einrichtungen verfolgen ihre Bildungs-, Landwirtschaftsund Gesundheitsstrategie über Jahre und Jahrzehnte.
Der restliche Drittel der Stiftungsmittel geht in die Förderung von Kunst, Kultur und sozialen Belangen in der Zentralschweiz. Auch hier werden Synergien angestrebt, wie unlängst in Luzern zwischen Kulturträgern: Die Arthur Waser Stiftung unterstützte den Wettbewerb für die Gestaltung des Stadttheaters Luzern mit der Massgabe, dass das Lucerne Festival und auch das Symphonieorchester involviert wurden.
«Ein Sammler fängt irgendwie an, hört aber nie auf, sonst ist er kein Sammler.»
Arthur Waser
So wurden die Intendanten beider Organisationen Mitglieder der Projektierungsgesellschaft, «weil eine Musik- und Theaterstadt Luzern nur eine Zukunft hat, wenn diese grossen Institutionen auch ihre Synergien finden und zusammenarbeiten», freut sich der Stifter.
Wie so viele Sammlerinnen und Sammler wurde Arthur Waser in seiner Begeisterung für die bildende Kunst von einem professionellen Kunstvermittler inspiriert. Für Jahrzehnte war die Galerie Fischer der Luzerner Treffpunkt für Kunstliebhaber, und Paul Fischer, einer der Söhne des Gründers, wurde zum Freund und Mentor: «Mit dreissig Jahren habe ich von ihm meine ersten Bilder gekauft: religiöse Werke aus dem italienischen Cinquecento und der deutschen Spätgotik.»
Das war der Start einer langjährigen Sammlerkarriere, inklusive einer Geschmacksentwicklung, die ihn letztlich zur Kunst der klassischen Moderne bringen sollte; gerade hat er eine Papierarbeit von Ernst Ludwig Kirchner ersteigert. Und doch möchte der Sammler auch heute auf seine Spätgotik nicht gänzlich verzichten, denn «das christliche Gedankengut ist schliesslich die Basis unserer heutigen Kultur».
«Kunst ist keine Epoche, Kunst ist allgegenwärtig.»
Arthur Waser
So erwirbt er regelmässig immer wieder auch religiöse Werke: «Diese Kunst ist nicht gesucht und entsprechend erschwinglich. Jedoch sind diese Bilder heute nicht günstiger als früher, sondern sie sind nur in geringerem Masse aufgewertet worden als die Werke des 20. Jahrhunderts.»
Überhaupt frustriert ihn die Entwicklung der Preise für die Werke des 20. Jahrhunderts, zeigt sie doch nicht nur, dass viele Menschen Wasers Vorliebe teilen. «Wir leben in einem Zeitalter der totalen Übermaterialisierung, was sich nicht zuletzt in den Preisen für Kunst zeigt. Ein Circulus vitiosus, wir müssten Marx wiederauferstehen lassen, er sollte das ‹Kapital› neu schreiben!»
Die Wahl eines Lieblingsstücks fällt Arthur Waser nicht leicht, er kann sich nicht zwischen seinen drei Gemälden von Ferdinand Hodler entscheiden. Dieser Schweizer Maler war in den Augen des Sammlers ganz zentral für die Entwicklung der Kunst und sticht heraus unter all den Kunstschaffenden seiner Zeit, die die Malerei aus dem Spätimpressionismus in die klassische Moderne überführt haben.
Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts sowie die Entdeckung der Schweiz als romantisch empfundenes Reiseland haben eine deutlich abgrenzbare, bildende «Schweizer Kunst» vollständig ausgeprägt. Für einen heutigen Kunstmarkt sind jedoch vor allem die Werke des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts bedeutend.
Ferdinand Hodler, Cuno Amiet, Augusto Giacometti, sein Vetter Giovanni und dessen Söhne Alberto und Diego Giacometti, sowie später Jean Tinguely stehen für den Aufbruch in die Moderne und deren künstlerische Umsetzung. Die Werke aller dieser Künstler treffen auf eine Nachfrage, die dank der hohen ökonomischen Stabilität des Heimatmarktes wie auch der zunehmenden Internationalisierung der Sammlerschaft aussergewöhnlich stabil ist.
Marktführer in der Schweiz ist unbestritten Ferdinand Hodler. Vor allem seine späten, eindrücklichen Landschaftsgemälde sind begehrt, besonders hohe Preise erzielen «bedeutende Berge». Ebenso ist die zeitgenössische Kunst aus der Schweiz gefragt, wie die Karriere von Künstlern wie Peter Fischli und David Weiss zeigt, deren Werke auch auf dem Auktionsmarkt die Millionengrenze überschritten haben und in renommierten Sammlungen zu sehen sind.
«Er war vielleicht der Beste, denn sein Schaffen zeigt mehr Empfindsamkeit, als es viele seiner Zeitgenossen hatten – vor allem der deutsche Expressionismus hat ja zuweilen Züge zur Grobheit. Hodler war da deutlich sanfter, ja zärtlicher.» Mit dem Künstler teilt Arthur Waser die Liebe zu den Landschaftsdarstellungen, vor allem des Genfersees.
Als Sammler schätzt er aber auch seltenere Darstellungen, beispielsweise vom Brienzersee, oder die häufig geradezu existenziellen Porträts. Am Ende schlägt Arthur Wasers Herz dann am höchsten für seine «Linienherrlichkeit», weil sie in seiner Sammlung sein Interesse am Geistigen in der Kunst am besten reflektiert. Hodler porträtiert seine Geliebte Valentine Godé-Darel in freier Landschaft; in seinem typischen Symbolismus mag er zwar die verloren gegangene Harmonie zwischen Natur und Mensch beklagen, zeigt aber gleichzeitig die Protagonistin in ihrem kraftvollen Streben nach einer Erneuerung dieser Harmonie. «Von den Versionen der ‹Linienherrlichkeit› gefällt mir mein Bild am besten, es ist die stärkste Variante, und ich liebe immer die Stärke und das Starke noch stärker zu machen!»
Afrikanisch-christliche Frauenpower
In seinem heutigen Leben findet er dieses Starke im Gedankengut des Montessori-Prinzips: «eine Befreiungspädagogik». Die Stiftungsarbeit mit den Montessori-Kongregationen in Afrika reicht weit über Bildung hinaus, bringt Erfahrungen in Agroökologie und Permakultur in Organisationen, die bisher mit Kleinstbauern gearbeitet haben.
Das Angebot, die afrikanische Landwirtschaft auf ihrem Weg aus der pestizidbasierten Arbeitsweise zu fördern, bedeutet für den ehemaligen Kraftstoffhändler die Vollendung eines Kreislaufes, denn die traditionelle Art der dortigen Landwirtschaft basiert auf Diesel: Coming round full circle!