Nun hat es doch noch geklappt. Im Frühjahr 2017 hatte Didier Burkhalter, der damalige Aussenminister, Roberto Balzaretti (53) noch übergangen, sein Nachfolger Ignazio Cassis hingegen setzt jetzt voll auf den parteilosen Top-Diplomaten und hat ihn zum Staatssekretär für europäische Angelegenheiten ernannt.
Dessen Reich umfasst neu sämtliche Beziehungen zu den europäischen Staaten – und natürlich zur EU-Zentrale. Hier besteht derzeit auch der grösste Handlungsbedarf: Ein Rahmenabkommen soll her oder ein Marktzugangsabkommen, wie es seit kurzem lieber genannt wird. Und zwar eines, das die Schweizer Souveränität möglichst wenig einschränkt, aber gleichzeitig die EU zufriedenstellt. Balzarettis Vorgänger – Yves Rossier, Jacques de Watteville und Pascale Baeriswyl – sind allesamt an der Aufgabe gescheitert.
Innenpolitisch ist diese Aufgabe nicht einfacher geworden, aussenpolitisch vielleicht sogar noch etwas schwieriger, zeigt sich doch die EU seit dem Brexit noch unflexibler. Aber immerhin profitiert Balzaretti von der Reorganisation im Aussendepartement: Mit einem einzigen EU-Dossier-Chef sollte jetzt – so die Hoffnung etlicher Aussenpolitiker – wenigstens den verwaltungsinternen Rivalitäten ein Ende gesetzt werden.
Die Mitstreiter
Als Stagiaire war Balzaretti in der Rolle des Kofferträgers dabei, als Botschafter Benedikt von Tscharner im Mai 1992 in Brüssel die mittlerweile gegenstandslos gewordenen drei Beitrittsgesuche an die drei europäischen Gemeinschaften übergab. In der Brüsseler Botschaft traf er damals auch auf die späteren Staatssekretäre Michael Ambühl und Jacques de Watteville sowie auf die Botschafter Thomas Kupfer und Bruno Spinner.
In seinen zwei Jahren in Washington arbeitete er zuerst für Carlo Jagmetti und dann für Alfred Defago. Die Person, von der er aber am meisten gelernt hat, war Pierre Combernous, die Nummer zwei in der Schweizer Botschaft in Washington. «Der perfekte Diplomat», sagt Balzaretti. Dreh- und Angelpunkt in Balzarettis Laufbahn ist die Direktion für Völkerrecht im Aussendepartement (EDA), die immer dabei ist, wenn etwa Doppelbesteuerungs- oder Investitionsschutzabkommen abgeschlossen werden. Bezugspersonen hier waren Marino Baldi, heute Berater bei der Wirtschaftskanzlei Prager Dreifuss, und Rudolf Ramsauer, der spätere Economiesuisse-Direktor und Nestlé-Kommunikationschef.
Balzaretti gehörte der ersten Taskforce an, die sich um die nachrichtenlosen Vermögen kümmerte – zusammen mit Paul Seger, heute
Botschafter in Myanmar, und EDA-Beraterin Sylvie Hofer-Carbonnier. Später wurde die kleine Gruppe von Thomas Borers Mannschaft abgelöst. Dank seiner Aufgaben in der Völkerrechtsdirektion kam Balzaretti immer wieder mit Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zusammen, die ihn zu ihrem Kabinettschef und später zu ihrem Generalsekretär ernannte.
Balzaretti machte 2008 einen Kurzausflug in die Privatwirtschaft, zur Credit Suisse. Obwohl er sich mit seinem damaligen Chef Dominique Fasel, dem heutigen Pictet-Bankier, gut verstand, merkte er schnell: Das ist nichts für ihn. Zu Bankern pflegt er aber noch heute Kontakte, etwa zu UBS-Präsident Axel Weber und dem früheren Bankiervereinigungspräsidenten Patrick Odier, die Balzaretti aus seiner Zeit als Botschafter in Brüssel gut kennt. Immer wieder in Brüssel vorbei kamen die Präsidenten der ETH Zürich und Lausanne, Lino Guzzella und Martin Vetterli respektive dessen Vorgänger Patrick Aebischer.
Die Familie
Balzaretti, 1965 in Mendrisio geboren, wuchs ab dem zwölften Lebensjahr bei Lugano auf. Sein Vater war Handlungsreisender, von ihm habe er die positive Energie geerbt. Balzaretti lebt heute am Genfersee, in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Lausanne. Seine Frau Cristina Ferrari leistet Freiwilligenarbeit, um das allgemeine Wissen über und den Umgang mit Autismus zu verbessern – ein Engagement, das aus persönlicher Betroffenheit kommt, leidet doch ein Sohn an dieser Krankheit. Insgesamt hat das Paar fünf Kinder im Alter von 16 bis 25 Jahren. In seiner Freizeit trainiert Balzaretti den koreanischen Kampfsport Taekwondo, fährt Velo oder spaziert mit seinem Hund.
Die Karriere
Der Wunsch war schon lange da: Bereits im Gymnasium in Lugano wollte Balzaretti Diplomat werden, träumte davon, die weite Welt zu erkunden. Nicht zuletzt dank Lehrern wie Paolo Farina und Gilberto Isella, dem Tessiner Schriftsteller. Diplomat ist er geworden, den Grossteil seiner diplomatischen Karriere hat er aber letztlich in Bern verbracht. Nach der Matur wollte er Jus studieren und wählte dafür die Uni Bern aus, insbesondere wegen ihrer Stärke in öffentlichem Recht und der Professoren Jörg Paul Müller, Walter Kälin, Peter Saladin oder Ulrich Zimmerli, der nebenbei von 1987 bis 1999 für die SVP im Ständerat sass. Oder Pio Caroni, Professor für Rechtsgeschichte.
Zu Balzarettis Tessiner Clique an der Universität Bern gehörten etwa Ständerat Fabio Abate, Nationalrat Giovanni Merlini, Michele Rossi, der Delegierte der Handelskammer Tessin, oder Niccolò Salvioni, der Bau- und Sicherheitsdirektor von Locarno. Danach wollte Balzaretti nach Genf an das Institut universitaire de hautes études internationales (HEI), wo er aber durch die Aufnahmeprüfung fiel. Weil er – auch wegen seiner späteren Frau – in Genf bleiben wollte, arbeitete er kurze Zeit im Rechtsdienst des Touring Club. 1990 machte er den Concours diplomatique, wurde aufgenommen – und kam auf diesem Weg während des zweijährigen Stages nicht nur nach Brüssel, sondern dann doch noch für sechs Monate an die HEI.
Die Gegenspieler
Balzarettis Brüsseler Zeit war zweigeteilt: Vor dem 9. Februar 2014 waren die Beziehungen der Schweiz zur EU geregelt, danach turbulent. So musste er im Mai 2015 vor dem Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments antraben und das Ja zur Zuwanderungsinitiative verteidigen: Sein Gegenspieler war der Deutsche Andreas Schwab (CDU).
Das Verhältnis zur EU bleibt angespannt, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gibt sich enttäuscht und unnachgiebig. Und auch an der Innenfront wird es nicht einfach: Albert Röstis SVP und Lukas Reimanns Auns haben soeben eine Initiative lanciert, welche die Personenfreizügigkeit abschaffen will. Die SVP ist grundsätzlich skeptisch gegenüber Balzaretti, Alt-Nationalrat Christoph Mörgeli beschimpfte ihn als «ausgesprochen europhil». Er geniesst bei der grössten Partei nicht mehr Kredit als Staatssekretärin Pascale Baeriswyl, die mit Balzarettis Ernennung teilweise entmachtet wurde.
Die Brüsseler Connection
Balzarettis Statthalter in Brüssel ist der Botschafter Urs Bucher, sein direkter Ansprechpartner auf EU-Seite Christian Leffler, die Nummer drei in Federica Mogherinis EU-Aussenministerium. Aus seiner Zeit als Schweizer Botschafter in Brüssel kennt Balzaretti unter anderem auch den früheren Kabinettschef von Mogherini, Stefano Manservisi, den heutigen Generaldirektor der EU-Entwicklungszusammenarbeit, und David O’Sullivan, einst Unterhändler fürs Schweizer Dossier, jetzt Botschafter in Washington.
Kontakte hat er auch zu Hubert Legal, dem Chefjuristen des EU-Rat-Generalsekretariats. Dank der Schweizer Mitgliedschaft bei Schengen/Dublin kann der Botschafter teilweise auch an den Coreper-Sitzungen teilnehmen, den Treffen des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten. Das sei sehr wertvoll, sagt Balzaretti, entsendeten doch die Länder dorthin nicht selten Schwergewichte.