Als der Manager an diesem 19. März 1996 im konzerneigenen «Swissôtel Montreux Palace» vor die rund 200 Kader der Airline tritt, spricht er deutliche Worte: Das Ergebnis müsse bis in zwei Jahren um eine halbe Milliarde Franken jährlich verbessert, der Personalbestand um 1200 Stellen reduziert werden. Ein Salärschnitt von einigen Prozent sowie die Erhöhung des Sitzladefaktors auf 70 Prozent sollen die Kostenstruktur der Swissair nachhaltig verbessern. Shareholder-Value sei wichtiger als eine möglichst hohe Zahl angeflogener Destinationen, Ebit und Profitabilität wichtiger als ein explodierender Umsatz, bekommen die Swissair-Manager zu hören.
Philippe Bruggisser, erst knapp drei Wochen als operativer Chef im Amt, prophezeit seinen Managern eine Zukunft mit Blut, Schweiss und Tränen. Angesichts eines Verlusts im Flugbetrieb von über 200 Millionen Franken hat der Neue keine andere Wahl.
Seine Worte lösen kein Entsetzen aus, im Gegenteil. Da steht einer, der in klaren und einfachen Sätzen darlegt, wohin die Reise gehen soll. Einer, der Glaubwürdigkeit und Zuversicht verströmt. Endlich, raunen sich die Swissair-Kader zu, habe die Firma wieder einen Mann an der Spitze, der gewillt sei zu führen. Auch Crossair-Gründer Moritz Suter hat in Montreux nach Jahren der Dauerfehde mit Bruggissers Vorgänger Otto Loepfe allen Grund zur Zuversicht, muss ihm doch der Neue wie ein Bruder im Geiste erscheinen. War Bruggisser nicht gegen die Alcazar-Fusion gewesen wie er selbst? Hatte Bruggisser nicht als Einziger in der Konzernleitung gegen einen Einstieg bei der belgischen Sabena votiert und war sich darin mit dem Crossair-Chef einig?
Jedenfalls darf Suter an diesem Frühlingstag am Genfersee die berechtigte Hoffnung hegen, dass der Swissair-Chef auf teure Abenteuer im Ausland verzichten und stattdessen auf den Airlineverbund Swissair/Crossair setzen könnte. Vielleicht, wird sich Suter gesagt haben, wird ein auf Kosteneffizienz getrimmter Bruggisser doch noch jenem Alternativ-Strategiepapier zum Durchbruch verhelfen, das er während der Alcazar-Verhandlungen unter dem Codenamen «Phoenix» zu Papier gebracht hatte.
Die Krux mit der Sabena
Für Bruggisser stellt das nur Monate vor seinem Amtsantritt getätigte 260-Millionen-Investment Sabena in der Tat eine harte Knacknuss dar. Persönlich nicht begeistert über diesen Schritt, weiss er, dass die Schwergewichte im VR-Ausschuss wie Lukas Mühlemann und Thomas Schmidheiny sich seinerzeit für diesen Befreiungsschlag stark gemacht haben. Sollte der Neue nun auf Opposition gehen zu den Verwaltungsräten, die ihn an die Konzernspitze gehievt haben? Oder sollte er nun, da er für das operative Geschäft des Gesamtkonzerns verantwortlich ist, stillschweigend zum Befürworter dieser 49,5-prozentigen Beteiligung werden? Bruggisser entscheidet sich für ein taktisches Vorgehen und lässt das Dossier Sabena noch einmal im VR-Ausschuss traktandieren. Seinem obersten Konzernentwickler Max Michel gibt er den Auftrag, für diesen Auftritt eine Studie zu verfassen: «Optionen der Swissair bezüglich Sabena».
Am 4. April 1997 kommt das Papier in den VR-Ausschuss. In der Analyse kommen die internen Strategen zum Schluss, dass sowohl eine Vorwärtsstrategie wie auch ein Ausstieg mit hohen Kosten und Risiken verbunden ist. «Bei nüchterner Betrachtung und ohne Kapitalzuschuss», folgern sie, «ist die Überlebenschance (der Sabena) im Europaverkehr klein» und mit «unter 50 Prozent zu beziffern.» Die belgische Beteiligung habe für die Swissair eine relativ geringe strategische Bedeutung, und auch innerhalb des Konzerns sei die Bereitschaft eher klein, die Sabena zu unterstützen. Deshalb, so die Empfehlung, sollte die Beteiligung abgeschrieben und zum Nullwert dem Sabena-Management und dem belgischen Staat überlassen werden.
Bruggisser lässt die Ergebnisse präsentieren, er selbst sagt zunächst kein Wort; er weiss um die Diskrepanz zwischen der Empfehlung zum Ausstieg und den strategischen Vorgaben des Verwaltungsrates. Er will die Entscheidung über das Schicksal der Sabena-Beteiligung dem Ausschuss überlassen. Hannes Goetz, der VR-Präsident, moderiert die anschliessende Diskussion, fasst Voten zusammen, eine profilierte Meinung zum Sachverhalt äussert er jedoch nicht. Es ist vor allem Lukas Mühlemann, der die Marschrichtung vorgibt: Ein Ausstieg sei keine Option; der Antrag der internen Experten wird abgelehnt. Die Vorgabe der Männer im VR-Ausschuss ist klar: In Sachen Sabena gibt es kein Zurück mehr. Die erste Chance zum Ausstieg aus einem teuren Abenteuer im Ausland ist vertan.
Und so stürmt der Neue vorwärts und zettelt innerhalb der Swissair eine veritable Kulturrevolution an, die er während seines Auftritts in Montreux, noch verklausuliert zwar, bereits angekündigt hat: Er würde sich nicht wundern, hat er damals, im Frühling 1996, gesagt, «wenn wir in einem Jahr mehrere Ausländer im Topmanagement» hätten. Ein Jahr später hält Bruggisser Wort, und dabei geht ihm ein Mann zur Hand, der in der Szene als bunter Vogel gilt: Bjørn Johansson, nach dem HSG-Studium in der Schweiz sesshaft gewordener, gebürtiger Norweger und seither als passionierter Kopfjäger global tätig, der «Mann für Härtefälle» («Cash») unter den Headhuntern. Ein «ambitiöser Wikinger», so die Eigenwerbung im Web, der sich mit Charme und jahrelanger Hartnäckigkeit an die Swissair herangepirscht und schliesslich bei Bruggisser den Durchbruch geschafft hat. Johansson hat unter der Ägidie Bruggissers bereits das multinationale Management der Gate Gourmet zusammengestellt, und mit dessen Aufstieg zum Konzernchef rutscht auch Johansson, gewissermassen als Headhunter des Hauses, ganz nach oben. Fast alle hat er sie platziert, die unter dem Neuen in der Geschäftsleitung sitzen: Finanzchef Georges Schorderet ebenso wie den Chef der SairLogistics, Klaus Knappik, und jenen der SairRelations, Wolfgang Werlé. Einzig Rolf Winiger, ein alter Swissair-Kämpe, hat sich bereits unter Otto Loepfe intern hochgearbeitet und bis heute sämtliche Personalrochaden an der Spitze der Swissair unbeschadet überstanden.
Und nun erhält Johansson den wohl lukrativsten Auftrag, den er je von Bruggisser erhalten hat. Wie bei Gate Gourmet soll auch die Swissair-Spitze multinational besetzt werden, und von der Konkurrenz sollen drei erfahrene Airliner angeworben und im obersten Swissair-Management platziert werden. Davon, so Bruggissers Vorgabe, mindestens ein Amerikaner, der die Deregulierung der Branche miterlebt hat, und mindestens ein Brite, der die Privatisierung der British Airways (BA) aus eigener Erfahrung kennt. Mit einem Dreierteam aus dem Ausland, hofft Bruggisser, würde es ihm gelingen, in der Teppichetage der Swissair einen neuen Geist des Wettbewerbs zu implementieren und alte, über Jahre gewachsene Seilschaften zu kappen. Chef der Swissair soll erstmals ein Ausländer werden, ein Novum für die europäische Airline-Branche. Mit diesem Profil in der Tasche geht Johansson auf Managerfang.
Einzug des Multinationalen Managements
Während zweier Tage, am letzten Wochenende im Februar des Jahres 1997, präsentiert der Norweger seine Beute. Involviert in diese hochgeheime Aktion sind lediglich Verwaltungsrat Hannes Goetz, Auftraggeber Bruggisser und die ausführende Hand Johansson; informiert ist der VR-Ausschuss. Ein Dutzend Topmanager europäischer und amerikanischer Airlines sind in den Zürcher Hotels Savoy, Baur au Lac und Dolder inkognito postiert, ein Shuttle-Service verbindet diese Aussenstellen mit dem Headquarter, dem Hotel Widder.
Am Ende dieser generalstabsmässigen Übung haben sich Goetz und Bruggisser entschieden. Neuer CEO der Swissair wird, erstmals in der Geschichte, ein Amerikaner: Jeffrey Katz, aufgewachsen im kalifornischen Napa Valley, angestellt während seines gesamten Berufslebens bei der texanischen American Airlines (AA) und charakterlich eine gelungene Melange zwischen einem hemdsärmligen texanischen Cowboy mit «gut entwickeltem Konkurrenzdenken», so das Nachrichtenmagazin «Facts», und einem Sonnyboy aus der kalifornischen Weinstube. Katz war zwar nicht die erste Wahl; die Nummer zwei der AA, Jack Williams, hatte der Swissair einen Korb gegeben. Auch war Katz kein Manager der ersten Führungsebene – zuletzt war er bei American Verkaufschef für den Passagierverkehr und zuständig für das globale Informations- und Reservationsnetzwerk. Aber immerhin: Die zwei wichtigsten Kriterien Bruggissers erfüllt der Neue. Katz ist Amerikaner und hat bei der grössten US-Airline die Deregulierung der Branche erlebt. Damit können der ebenfalls an diesem Wochenende rekrutierte Ray Lions, der neue Network-Manager, und Lee Shave, Sales- und Customer-Relations-Manager, nicht aufwarten. Doch die zwei Briten bringen, so die Absicht Bruggissers, in die Swissair den Stallgeruch der British Airways ein, der wohl feinsten Adresse der europäischen Airline-Industrie.
Im Sommer, kaum sind die drei Neuen am Balsberg an Bord, gibt Konzernchef Philippe Bruggisser den Consultants von McKinsey den Auftrag, eine Strategie auszuarbeiten, welche die Eigenständigkeit der Swissair im Konzert der grossen Konkurrenten garantieren soll. Parallel dazu ist eine interne Arbeitsgruppe seit Monaten daran, die Möglichkeiten einer Allianz mit British Airways (BA) zu prüfen. Bereits im Januar 1997 hatte Max Michel, Strategiechef der Swissair, informelle Kontakte zu den Briten geknüpft und ist auf Interesse gestossen. Am 22. August 1997 liegt schliesslich ein 25-seitiger Vertragsentwurf über eine strategische Allianz mit BA auf dem Tisch. Zunächst sollte, so der Plan, ein reines Marketingabkommen unterzeichnet und in einem zweiten Schritt, ähnlich wie bei Alcazar vier Jahre zuvor, eine gemeinsame Managementgesellschaft mit zwei Brands gegründet werden. Ein vollständiger Merger mit BA wäre nach diesem Papier frühestens im Jahre 2010 möglich.
Swissair auf Umsatzmaschine trimmen
Die McKinsey-Consultants gehen bei ihren Überlegungen von einem anderen Szenario aus: Die Airline-Branche in Europa wird sich, ähnlich wie in den USA Jahre zuvor, weiter deregulieren und konsolidieren. Preise und Sitzplatzangebot werden schrittweise dem freien Wettbewerb überlassen, und das zeitigt zwei Konsequenzen: Grosse Bündnisse werden an Stelle der bis anhin preisbestimmenden International Air Transport Association (IATA) treten und die Preisgestaltung innerhalb der Allianzen autonom formulieren, und auch in Europa werden bis anhin staatliche Carrier zumindest teilprivatisiert.
Umrisse dieser Entwicklung sind in diesen Monaten im Herbst 1997 bereits sichtbar. So hat British Airways bereits 1996 zusammen mit American Airlines, Cathay Pacific und Qantas die Gründung der Allianz Oneworld bekannt gegeben, eines Zusammenschlusses, der schliesslich am 1. Februar 1999 realisiert wird. Und erst wenige Monate zuvor, Mitte Mai 1997, haben sich in Frankfurt fünf Airline-Chefs getroffen, um die mächtigste Allianz aus der Taufe zu heben, welche die Branche je gesehen hat: 1300 Flugzeuge, 211 000 Angestellte, 42 Milliarden Dollar Umsatz, 174 Millionen Fluggäste – diese geballte Marktmacht sollte unter dem Dach der Star Alliance gebündelt werden. Darauf einigen sich die Chefs von Lufthansa, United Airlines, der skandinavischen SAS, der Thai Airways sowie der Air Canada und besiegeln den Deal mit der Unterzeichnung eines lediglich zwei Seiten umfassenden Gründungsdokuments. Und auch die Privatisierungswelle der europäischen Airline-Industrie schreitet bis zur Jahrtausendwende weiter voran: Als erste Fluggesellschaft überhaupt hatte sich die BA bereits 1987 dem Publikum geöffnet, 1994 folgte die Teilprivatisierung der Lufthansa, dann ging es Schlag auf Schlag: Aktienpakete der Austrian Airlines, der Alitalia, der polnischen LOT, der spanischen Iberia, der portugiesischen TAP oder der ungarischen Malev waren plötzlich zu kaufen.
Angesichts dieser absehbaren Entwicklung schlägt McKinsey ein Vorgehen vor, das sich nahtlos an die Überlegungen anschliesst, welche die Consultants bereits beim Einstieg bei der Sabena zu Grunde gelegt haben. Um den für die Swissair überlebenswichtigen US-Partner Delta auch in Zukunft bei der Stange halten zu können, müsse die Swissair zur dritten oder vierten Kraft in Europa ausgebaut werden. Die bestehenden Beteiligungen an der AUA und der Sabena müssten durch weitere Käufe abgerundet werden. Die gerade angelaufene (Teil-)Privatisierungswelle in Europa macht Akquisitionen im euopäischen Airline-Business überhaupt erst möglich. Mit einer Swissair als Kopf eines eigenen Verbundes, so die Überlegung, könnten auch die inzwischen rechtlich verselbstständigten Unternehmen der Swissair-Technik oder des Catering mit den akquirierten Airline-Partnern ins Geschäft kommen. Die Folge: Die Swissair wird auf allen Ebenen des Airline- und airlinenahen Business zu einer Umsatzmaschine getrimmt, die dann selbst von einer vielfach grösseren Delta nicht mehr so einfach fallen gelassen werden kann.
Langfristige Verschmelzung mit British Airways und der Aussicht, Gründungsmitglied des Airline-Verbundes Oneworld zu werden, oder aggressive Übernahme von Konkurrenten, um Marktmacht zu gewinnen: Vor dieser strategischen Frage steht der neue Konzernchef zumindest in den Augen seines Topmanagements. Seit er die Sabena-Übernahme im VR-Ausschuss nochmals zur Diskussion gestellt hat, weiss Bruggisser selbst jedoch genau, dass sich dieses Gremium mental längst auf die zweite, von McKinsey ausgearbeitete Strategie eingeschossen hat. Jetzt gilt es nur noch, das Swissair-Topmanagement ins Boot zu holen.
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Der Niedergang der Swissair: «Hunter» – der Flug ins Abseits
Teil 3: 1996 wird Philippe Bruggisser Chef der Swissair, und er steht gleich vor einer folgenschweren Entscheidung: Soll die Swissair zusammen mit Sabena und andern kleinen Airlines den Alleingang wagen oder doch bei British Airways andocken? Bruggisser und seine Mannen setzen auf Selbstständigkeit und auf die so genannte Hunter-Strategie, wie sie von McKinsey empfohlen wird. Ein fataler Entscheid.
Lesezeit: 8 Minuten
Veröffentlicht am 31.12.2001 - 01:00 Uhr
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