Die Whisky-Kenner der Schweiz trafen sich Anfang November auf dem Jungfraujoch. Der Anlass war exklusiv: Eines von neun Whisky-Fässern, die von der Brauerei Rugenbräu aus Interlaken im ewigen Eis auf 3450 Metern über Meer gelagert werden, wurde angestochen. Es ging um den Swiss Highland Single Malt, den die Berner Oberländer seit einigen Jahren produzieren und als Ice Label vermarkten. Das hochprozentige Edelwasser, in diesem Fall mit einer Fassstärke von 57,6 Volumenprozenten, ist schon mehrfach ausgezeichnet worden. Unter anderem benotete es Whisky-Papst Jim Murray mit 95 Punkten.
Dass das Anzapfen eines Whisky-Fasses zum Event wird, beweist mehr als den Riecher einer Firma für wirksames Marketing. Es widerspiegelt das in den letzten Jahren deutlich gewachsene Interesse an der einheimischen Whisky-Szene. Inzwischen produzieren rund drei Dutzend Brauereien und Brennereien in der Schweiz unter anderem auch Whisky. Nebst der Rugenbräu gehören die Brauerei Locher in Appenzell mit ihrem Säntis Malt Swiss Highländer und die Destillerie Etter in Zug mit Johnett sowie Swissky zu den bekannteren Herstellern. Bei diesen Edelwässern stammen zwar sämtliche Rohstoffe aus der Schweiz. Doch beim Herstellungsverfahren halten sich die helvetischen Destillateure an Schottland. Ob dort tatsächlich der Whisky erfunden worden ist, wie allgemein behauptet wird, ist allerdings umstritten. Fest steht: Es waren keltische Mönche aus Irland, die zusammen mit dem christlichen Glauben das Geheimnis der Destillation über die Inseln der Hebriden auf das schottische Festland brachten.
Schottland steht folglich bis heute weltweit für Whisky, auch wenn mengenmässig die USA und Indien sowie Kanada und Irland ebenfalls zu wichtigen Produzentenländern geworden sind. Rund um das Getränk hat sich in den letzten Jahrzehnten ein regelrechter Kult entwickelt. Das höchste aller Geschmackserlebnisse versprechen sich die Kenner von einem über die Jahre gereiften Single Malt. Über dessen Eigenarten und Vorzüge lässt sich unter Liebhabern ausführlich diskutieren und fachsimpeln. Zum Beispiel in einem der auf Whisky spezialisierten Spirituosenshops, die überall in der Schweiz in den letzten Jahren entstanden sind.
Auch die breite Masse entdeckt zunehmend das alkoholische Genussmittel mit dem leicht torfigen Nachgeschmack. Auf Schottland-Reisen gehören Besuche von Destillerien mitsamt Degustation zum Pflichtprogramm. Das Terrain bereiten dem Whisky überdies durch die Lande tourende Events wie Tattoo oder Highland Games vor. Die professionelle Szene der Importeure, Händler, Verkäufer und Gastronomen trifft sich jeweils auf dem Whisky-Schiff am Bürkliplatz in Zürich (in diesem Jahr vom 28. November bis 1. Dezember).
Ob man angesichts der stets nach oben tendierenden Entwicklung der letzten Jahre bereits von einem eigentlichen Whisky-Boom reden kann, ist Interpretationssache. Die Importeure und Händler – Diageo, Pernod Ricard, Diwisa, Dettling & Marmot, Haecky Drink & Wine, Lateltin usw. – geben spezifisch für die Schweiz keine genauen Zahlen bekannt. Etwas deutlicher äussern sich die Detailhändler. Denner-Sprecherin Paloma Martino betont die «starke Entwicklung beim Whisky-Geschäft.» Bei Coop ist laut Sprecher Ramon Gander von einem «kontinuierlichen Wachstum» die Rede.
Genaueres lässt sich aus der Einfuhrstatistik der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (EAV) ableiten. Derzufolge steigt der Konsum von Whisky in der Schweiz seit Jahren unaufhaltsam. 2012 wurden knapp 19 000 Hektoliter reinen Alkohols in Whisky-Flaschen importiert – eine Rekordmarke. Hochgerechnet entspricht die Alkoholmenge 4,75 Millionen Litern Whisky.
Klasse statt Masse immer wichtiger
Stellt man auf den Pro-Kopf-Verbrauch von weniger als einer 0,7-dl-Flasche ab, so wäre es jedoch völlig vermessen, von einem Massengetränk zu sprechen. Die Schweizer Konsumenten setzen beim Whisky umso stärker auf Qualität und Klasse. Viele geben sich nicht mit einem Blended zufrieden, einem Verschnitt aus verschiedenen Destillaten, wie ihn Marken wie Ballantines, Black & White oder Johnnie Walker bieten. Umso mehr bevorzugen sie Single Malts, also die unvermischten Wässer aus einer vorzugsweise schottischen Brennerei. Am begehrtesten sind jene Spezialitäten, die nicht direkt aus einer Destillerie, sondern von einem sogenannten Independant Bottler stammen. Zum Beispiel von William Cadenhead Ltd., Schottlands ältestem unabhängigen Abfüller. Exklusivhändler dieser Marke in der Schweiz ist Cadenhead’s Whisky & more in Baden.
Geschäftsführer Peter Siegenthaler schwört auf die Qualität der über Jahrzehnte ausgereiften Einzelfassabfüllungen von der Insel Islay, wobei um die Destillerie ein Geheimnis gemacht wird. Ein wenig Mystik gehört eben dazu, wenn es um solche Raritäten geht, die offensichtlich auch in der Schweiz gut laufen. Jedenfalls rechnet Siegenthaler in diesem Jahr mit einem Rekordumsatz.
Während die auf den Massengeschmack getrimmten Blended auf dem Weltmarkt anteilsmässig über 90 Prozent ausmachen, behaupten die Single Malts in der Schweiz einen erstaunlich hohen Marktanteil. Coop als grösster Endverkäufer tätigt damit wertmässig rund ein Viertel seines Whisky-Umsatzes. «Die Nachfrage in diesem Segment steigt überproportional», so Gander. Bei Manor besteht das Sortiment sogar hauptsächlich aus Single Malts. «Besonders gefragt sind generell teurere Whiskys», sagt Manor-Sprecherin Elle Steinbrecher. Dazu zählen etwa die Jahrgangs-Whiskys Old Particular Laphoraig 14 years (die 0,7-Liter-Flasche für 139 Franken bei Manor) oder Old Particular Macallan 19 years (179 Franken). Die günstigsten Single Malts kosten bei Denner unter 50 Franken, so der Cardhu Single Malt 12 years für 39.95 Franken. Ivan Vollmeier, Geschäftsführer des House of Single Malts in Mörschwil, das im letzten Jahr dank dem forcierten Verkauf übers Internet um 20 Prozent zulegen konnte, meint zur generellen Preissensibilität: «Viele Kunden kaufen lieber eine Flasche für 100 Franken als zwei Flaschen für je 50 Franken.» Ausserdem schätzten die wahren Liebhaber die Abwechslung. «Lieber alle zwei Monate etwas Neues, als mehrere Jahre dieselbe Abfüllung», lautet die Devise.
Preis ist vielfach eher Nebensache
An der globalen Whisky-Preisfront machen sich zwei gegensätzliche Entwicklungen bemerkbar. Einerseits werden schottische Whiskys des schwächelnden Pfunds wegen tendenziell günstiger, anderseits wirkt die starke Nachfrage nach Single Malts im asiatischen Raum preistreibend. Gewisse ältere Jahrgangs-Whiskys werden zudem immer knapper. «Bei Raritäten sind teils abnormale Preissteigerungen festzustellen», sagt Vollmeier. Angeheizt wird dies nicht zuletzt durch jene Klientel, die sich einen Whisky-Keller anlegt, um damit zu spekulieren. Manchmal zahlt sich das aus: In den Jahren 1993–1995 abgefüllte Black Bowmore, die damals 300 Franken kosteten, werden heute zu Preisen von 6500 Franken gehandelt.
Zurück aus dem Spekulationskeller an den Ladentisch oder die Bar: Wie viel Geld die Schweizer Konsumenten für den Whisky schliesslich jährlich ausgeben, lässt sich mangels verlässlicher Zahlen lediglich grob abschätzen. Branchenkenner setzen den Betrag bei rund 300 Millionen Franken an. Das ist ein Bruchteil jener Milliardenumsätze, wie sie Diageo und Pernod Ricard, die weltweit führenden Spirituosenhändler, jährlich mit Whisky erzielen. Die Global Players, zu denen auch Bacardi und Beam gehören, haben seit den 1980er-Jahren die meisten bekannten schottischen Destillerien aufgekauft. Auch japanische, indische und südafrikanische Spirituosenhersteller besitzen mittlerweile Destillerien in Schottland. Für die wenigen unabhängigen Brauereien, die sich dem Griff der Weltkonzerne bisher entziehen konnten, ist diese Entwicklung keineswegs schlecht. Sie können nun umso mehr von einem gewissen Exklusivitätsstatus profitieren, so die Destillerie Arran: Liebhaber jagen deren von Hand selektionierte Abfüllungen, die meist nur in Kleinserien zirkulieren.
Globale Whisky-Player: Nicht etwa die USA – sondern Indien
Verlagerung
Zwar liefen die Geschäfte mit dem Whisky in den letzten zwei Jahren in Europa eher harzig. Doch das wurde mehr als kompensiert, durch eine stabile Nachfrage in den USA und ein kräftiges Wachstum in den Schwellenländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Marktleader Diageo konnte mit Johnnie Walker, der umsatzstärksten Spirituosenmarke weltweit überhaupt, zweistellig zulegen, ebenso mit J&B, Buchanan’s, dem irischen Bushmills und dem kanadischen Crown Royal. Pernod Ricard mischt mit Jameson, Chivas Regal und Ballantine’s im Massengeschäft vorne mit. Hinzu kommen die aus Mais gebrannten Amerikaner von Jack Daniel’s und Jim Bean, sogenannte Bourbons.
Geschmacksrichtung
Die globalen Spirituosenkonzerne vermengen verschiedene Whiskys zu globalen Brands, deren Geschmack im Gegensatz zu den Single Malts immer gleich bleibt. Johnnie Walker, der König aller Whiskys, ist mittlerweile in über 150 Ländern erhältlich. Kürzlich wurde er in Vietnam erfolgreich lanciert. Die Blended liegen mengenmässig (mit rund 70 Prozent Marktanteil) selbst in Schottland weit voraus.
Weltmarkt
Der grösste Whisky-Markt ist mittlerweile Indien, wo in diesem Jahr eine Übernahme für Aufsehen sorgte. Diageo stockte sein Aktienpaket an United Spirits von 15 auf 25 Prozent auf und ist jetzt grösster Anteilseigner des indischen Marktführers. Dieser ist bekannt für seinen Whisky McDowell’s, der allerdings aus Melasse beziehungsweise Zuckerrohr gebrannt wird. Bei uns darf McDowell’s, weil nicht aus Hafer, Gerste, Weizen oder Mais, nicht als Whisky bezeichnet werden.
Heimmarkt
Diageo baut über United Spirits nicht nur seine Position auf dem riesigen Wachstumsmarkt Indien aus, sondern stärkt damit auch seine Leader-Stellung in Schottland. Denn die indische United Spirits hat vor sechs Jahren die Brennereien Dalmore, Isle of Jura, Fettercairn und Tamnavulin gekauft, die nun wieder in britische Hände zurückwandern. Bezeichnenderweise geht es auch bei der Globalisierung des Whisky-Marktes letztlich nur ums Schlucken oder Geschlucktwerden. (ps)