Die Cadogan Gardens in Chelsea im Westen Londons: Eine Strasse mit hohen Häusern aus rotem Ziegelstein, aufwendig verzierten Fassaden und schweren Autos vor den Türen. Hinter den weiss eingefassten Fenstern und den weissen Torbögen sitzt viel Geld – in oftmals beengten Räumlichkeiten. Die Häuser nahe des Sloane Square stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert; sie haben hohe Decken, aber wenig Quadratmeter am Boden.
Das ist auch bei den Nummern 67, 69 und 71 der Fall. Blitzende goldene Türknöpfe, ordentlich geschnittene Buchsbäume und frisch geputzte Fensterscheiben lassen auf einen vermögenden Eigentümer schliessen. Die M1 Group, die Firma des millionenschweren libanesischen Premierministers Najib Mikati, will nun unter den Häusern in den Cadogan Gardens einen 15 Meter langen Swimmingpool, ein Kino und einen Weinkeller errichten und dafür zwei unterirdische Stockwerke einziehen.
Baulärm macht zu schaffen
In der kommenden Woche soll der Bezirksrat von Kensington und Chelsea über die Erweiterung entscheiden. Die M1-Gruppe ist mit ihren ambitionierten Plänen dabei nicht die einzige, die in der Londoner Erde zusätzlichen Wohnraum schaffen will. So hat sich auch der Eigentümer des Fussballclubs Chelsea, Roman Abramowitsch, um eine Genehmigung für die Unterkellerung seines Anwesens bemüht. Der Immobilientycoon Jon Hunt will unter seinem Haus einen Tennisplatz und einen Showroom für seine Ferraris bauen lassen. Die Bezirksverwaltung von Kensington und Chelsea hat deshalb im Frühjahr die Regeln für die Baumassnahmen unter der Erde deutlich verschärft, um Anwohner vor Staub und Krach zu schützen.
Schon jetzt ist in den Cadogan Gardens viel Baulärm zu hören. Im Souterrain der Nummer 63 wird renoviert, vor der Haustür stehen Arbeiter im Blaumann und gelber Warnweste und besprechen, was an diesem grauen Dezembernachmittag noch alles gemacht werden soll. Eine Strasse weiter, am Cadogan Square, sind ganze Fassaden eingerüstet, eine Säge kreischt. Die Angst vor der Lärmbelästigung an einer der schicksten Adressen Londons macht auch den Anwohnern in den Cadogan Gardens Sorgen. Dem «Evening Standard» zufolge wollen sie alles tun, um den Bau des Swimmingpools unter der Erde zu verhindern. Die M1 Group wollte sich nicht zu ihren Bauplänen äussern.
Möglichst viel Gewinn
Der Kellerwahn in Chelsea ist dabei nur eine der Blüten, den der Immobilienboom in der britischen Hauptstadt treibt. Knapp 60’000 Londoner werden in diesem Jahr ohne ihr eigenes Zutun indirekt zu Millionären, weil der Wert ihrer Häuser und Wohnungen so stark steigt. Einer neuen Studie des Immobilienportals Zoopla zufolge sind 393’000 Briten aus diesem Grund bereits Millionäre – eine Steigerung von 31 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. «Es hat nicht nur auf den unteren Stiegen der Immobilienleiter viel Aktivität gegeben», sagt Lawrence Hall, Immobilienanalyst bei Zoopla.
Mit dem Begriff «property ladder» beschreiben die Briten das Phänomen, das dazu führt, dass viele von ihnen schon mit Mitte 20 anfangen, Immobilien zu kaufen. Wer auf der Immobilienleiter nach oben will, der muss früh anfangen und möglichst mit viel Gewinn verkaufen, so dass er danach eine noch teurere Immobilien kaufen kann und so Vermögen aufbaut.
Preise steigen stark
In London ist der Immobilienboom derzeit besonders stark. Innerhalb eines Jahres sind die Preise dem nationalen Statistikamt ONS zufolge um zwölf Prozent gestiegen, doppelt so stark wie der britische Durchschnitt, der um 5,5 Prozent zugelegt hat. 57’120 Häuser sind seit diesem Jahr mehr als eine Million Pfund wert, der Grossteil der Londoner Immobilien-Millionäre lebt in Kensington und Chelsea, Westminster und Camden. Schatzkanzler George Osborne hatte wegen der stark steigenden Preise vor zwei Wochen die Einführung einer Kapitalertragssteuer für Immobiliengeschäfte angekündigt, die von Ausländern getätigt werden.
Investoren aus Russland, Asien und dem Mittleren Osten sehen Wohneigentum in London zunehmend als Reservewährung und kaufen ganze Strassenzüge auf. Das treibt die Preise. «Mehr und mehr britische Immobilien werden teurer als eine Million Pfund», sagt Lawrence Hall, Analyst bei Zoopla. Bis zum Jahr 2020, so schätzt das Institut Oxford Economics im Auftrag der National Housing Federation, wird Wohneigentum in London im Schnitt 647’500 Pfund kosten. Viele Londoner spielen deshalb mit dem Gedanken, ins Umland zu ziehen. Dort sind die Preise um bis zu 75 Prozent niedriger, hat die Immobilienagentur Winkworth errechnet. «Der Preisunterschied zwischen London und dem Südosten hat sich vergrössert», sagt deren Chef Dominic Agace.
«Grössere Jobsicherheit und flexiblere Arbeitszeiten ermutigen jetzt viele, zu pendeln.» Agace zufolge werde es noch einige Zeit dauern, bis sich die Preise zwischen dem Zentrum und den umliegenden Bezirken angleichen.
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwesterpublikation «Die Welt» erschienen.