Den Drang der Männerwelt zum Schmuck am Handgelenk illustriert am schönsten ein verwegener Aussenseiter: Roger Dubuis. Die Arbeitsgemeinschaft eines begabten Uhrmachers gleichen Namens und eines portugiesischen Geschäftmanns verblüfft seit fünf Jahren einen Kreis von Kennern mit aufregenden Formen in kleinsten Serien von jeweils 28 Stück. Zusätzliche Provokation dieser mit Vorliebe diamantenbesetzten Raritäten, die etwa als «Follow me»-Modell die Form des Schweizer Kreuzes aufnahmen: Alle sind von Hand aufzuziehen.

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Mit dem jüngsten Streich, der Taucheruhr Easy Diver aus der Serie Sports Activity Watch (SAW), begibt sich die Manufaktur mit grossen Schritten auf den Massenmarkt. Zumindest für ihre Verhältnisse: 288 Stück sind geplant für die Easy Diver in Weissgold mit fliegendem Tourbillon, automatischem Aufzug und Gummiband.

Vor allem legen die SAW-Uhren ein Bekenntnis zur Grösse ab. Ein Durchmesser des Gehäuses von 46 und – fürs Tourbillon – 48 Millimetern bürgt für optische Anziehungskraft. Die rekordverdächtigen Ausmasse am Handgelenk sind selbst für einen überernährten McDonald’s-Amerikaner ein rechter Brummer. Klassische Herrengrössen haben zehn Millimeter und mehr weniger.

Gleichzeitig signalisieren Zifferblattstruktur und Gestaltung der Lünette, dass die ruhigen Zeiten vorbei sind, in denen sich die Designer mit überlegenem Lächeln zurücklehnen und auf «form follows function» verweisen konnten. Mit einem schwarzen Blatt unter dem Glas und roten Sekundenmarkierungen setzt man heute keinen Trend mehr. Da muss man schon etwas mehr bieten, wie Chopard mit der LUC 4R Quattro Régulateur demonstriert. Die Uhr hat ein strahlenförmig guillochiertes Goldzifferblatt mit gestanzten arabischen Zahlen auf schwarzem Grund. Kreativität wird ihrem Schöpfer niemand absprechen.

Insgesamt tobt in der Uhrmacherei heute ein erbitterter Wettkampf um Form, Struktur und Farbe. Längst vorbei die Zeiten, in denen die Gehäusefabrikanten mit dem Musterköfferchen die Hersteller abklapperten und ihre neuen Kollektionen präsentierten. Die Uhrenfabrikanten wählten, orderten Zifferblätter und Zeiger, reisten mit ihren neuen Modellen nach Basel an die Messe und hofften das Beste.

Seit sich jedoch 1969 in Genf ein Gérald Genta selbstständig machte und erfolgreiche Würfe vorlegte wie die Nautilus für Patek Philippe oder die Royal Oak für Audemars Piguet, wissen die Uhrenpatrons langsam um den Einfluss der Form auf die Verkaufszahlen, stellten eigene Gestalter ein oder beauftragten spezialisierte Büros wie dasjenige von Genta oder Rodolphe Cattin in La Chaux-de-Fonds. Mittlerweile beschäftigen sich ganze Designerscharen mit der Formgebung für eine Uhr.

Um die Materialkombinationen wird nicht weniger gerungen – gelegentlich mit bizarren Ergebnissen. Gold und Gummi, gelegentlich auch etwas wertiger «Kautschukband» genannt, wobei Kautschuk eine Hublot-Spezialität ist, sind sicher kein Massentrend. Doch der Versuch, die Sportuhr neu zu definieren, ist nicht zu übersehen. Patek Philippe kombiniert bei ihrer Aquanaut Luce aus der Nautilus-Serie Diamanten mit Edelstahl und einem Band aus nicht näher definiertem «Hightech-Verbundmaterial».

Neben der Royal Oak Concept (mit einem Schockabsorber für den Tourbillon-Käfig und Dynamographen für die Anzeige der Federspannung) in einem Gehäuse aus einer Kobalt-Chrom-Legierung gibt Audemars Piguet die Royal Oak Offshore als «Juan Pablo Montoya» in Platin, kombiniert mit einem blauen, zusätzlich zwirngenähten Ingrassato-Lederband, ab. Grosszügig applizierte Kohlenstofffasern unterstützen die sportlich-technische Botschaft der Uhr. So wie die Diamanten auf der Lünette Luxus signalisieren. Dekor sind sie beide.

Nach dem Erfolg der längs rechteckigen Uhren die Gehäuseform um 90 Grad zu drehen und quer rechteckige Trendzeiger zu lancieren (etwa die Tank Divan von Cartier), ist eine neue Welle. Jüngste Schöpfung: die Milady von JeanRichard. Sie achtet darauf, harte Kanten zu vermeiden und den Linien ihre Rundung zu lassen. Von da zum Pop-Design der frühen siebziger Jahre, aus dem bis heute die Nautilus überlebt hat, ist es nur ein kleiner Schritt.

Grösse, Form- und Farbfreude dominieren keineswegs nur den Upscale-Market. Junge Marken mit Einsteigerpreisen und auf der Suche nach einem unlimitierten Publikum – etwa die italienischen TCM und Locrum oder der Zürcher Einzelkämpfer Di Leonardo – setzen ebenfalls auf expressive Modelle. Die Gehäuse schwellen mit Vorliebe an zu imposanter Grösse. Der Trend zum Manschettenkiller hat klassenübergreifenden Charakter.

Die Lünetten begnügen sich längst nicht mehr damit, das Glas möglichst wasserdicht und drucksicher einzufassen. Dass man mit Gehäuseflanken mehr machen kann, als sie nur zu satinieren, ist auch klar. Und die Bandanstösse – in früheren Zeiten mit Vorliebe in Form einfacher Hörnchen – formen die Designer heutzutage mit jener hingebungsvollen Liebe, welche die Autoindustrie der Vor- und Nachkriegsjahre ihren schwungvoll inszenierten Chromstossstangen und Kotflügeln vorbehielt.

Auch die Krone hat sich längst von der Zweckform als unabdingbares Funktionsvehikel emanzipiert. Der Cabochon auf der Krone, einst von Cartier eingeführt, findet beinahe täglich neue Nachahmer: zum Beispiel Raymond Weil mit der Parsifal-Serie (die von den Stückzahlen her heute Kopf an Kopf mit TAG Heuer liegt). Die Krone mit dem Markensignet aufzuwerten, ist längst fleissig geübter Brauch.

Einen Schritt weiter noch ging Jaeger-LeCoultre mit der Compressor. Die Kronen (immer zwei) sind nicht verschraubt, sondern werden mit einem Knebel wasserdicht verriegelt. Weisse oder rote Pfeile markieren die Drehrichtung. Selbst die diamantenbesetzte Damen-Automatik verzichtet nicht auf die beiden Kronenknebel.

Mit einer auffälligen Kronensicherung hatte erstmals Panerai Furore gemacht. Bei den Taucheruhren aus der Florentiner Werkstatt sitzt ein Klappbügel auf der Krone. Dieses Vorbild inspirierte die in La Chaux-de-Fonds ansässigen British Masters zu einem besonders martialischen Verschluss mit Bügel und Spannhebel auf der Krone ihrer Graham Chronofighter.

Der Trend zu Grösse und einem sportlicheren Stil geht an den Damenuhren keineswegs vorbei. Die erst kürzlich lancierte Idéale von Jaeger-LeCoultre – rechteckiges Gehäuse, gewölbte, markante Lünetten – zeigt, dass das Publikum aktiver und autonomer wird. Die Zeiten des runden Ührchens, das sich im Goldband so klein macht wie möglich, sind vorbei.

Sportuhren mit Diamanten setzen sich in der Damenklasse vermehrt durch. Mit einem Gehäusedurchmesser von 33 Millimetern ist die Lady Royal Oak alles andere als schmächtig und mit der aufgeschraubten Lünette sicher auch nicht besonders feminin. Auch die jeweils vier Diamanten auf den Feldern zwischen den acht Schrauben, 32 insgesamt, qualifizieren die Lady Royal Oak nicht für eine Abendgesellschaft in schulterfreien Kleidern. Aber ihr Geheimnis liegt ja auch nicht in Eleganz und Diskretion, sondern in der Wiedererkennbarkeit und der sportiven Note. Ausserdem leben wir immer noch im Anything goes. Warum also kein kleiner Bolide zum Abendkleid?

Grösse, Höhe und Wiedererkennbarkeit sind die drei wesentlichen Ingredienzien einer stark marketinggesteuerten Designentwicklung, zu der höchstens ein Trendguru wie «Financial Times»-Autor Nicholas Foulkes mit seinem Loblied auf die schlichte, extraflache Uhr einen Kontrapunkt zu setzen wagt.

Niemand in diesem Geschäft hat den Ehrgeiz, in Schönheit zu sterben. Die enttäuschenden Absatzzahlen von umwerfend schönen und für ihre Eleganz gelobten Damenuhren, in der Branche hinter vorgehaltener Hand herumgereicht, sind den Marketingleuten und Verkäufern ständige Mahnung. Alle arbeiten wie besessen an der Wiedererkennbarkeit. Dafür gibt es immer ein dankbares Publikum. Man will zwar immer das Einmalige, greift aber zuverlässig zu dem, was man kennt oder wovon man schon gehört hat.

Ein anderes Paradox: Die Armbanduhr ist heute, da sich die Zeit am Natel ablesen lässt, mehr denn je Schmuck. Aber nie zuvor hat sie so viele Funktionen angezeigt. Und nie zuvor so gross und so gut ablesbar. Insofern bleibt die Funktionalität der eigentliche Schmuck – zumindest die expressive Funktionalität.