Ein sonniger Morgen in Berlin-Mitte: Bauarbeiter stehen an einem aufgerissenen Bürgersteig an der Friedrichsstrasse und versenken dicke schwarze Kabel in der Erde. Ob hier Glasfasern für das schnelle Internet verlegt werden, erkündigt sich ein Passant neugierig. Einer der Arbeiter ächzt leise und sagt: «Das fragt jeder, aber es sind nur Stromleitungen, leider.»
Die Szene steht exemplarisch für ein grosses Problem in Deutschland. Die mächtigste Volkswirtschaft Europas hinkt beim Digitalausbau heillos hinterher und rangiert sogar noch hinter wesentlich ärmeren osteuropäischen Staaten wie Litauen und der Slowakei. Die Zeit drängt, da immer mehr Geräte mit Internet-Anschluss Einzug in die Haushalte halten, vom Fernseher bis zur Waschmaschine. Gleichzeitig hat auch die Industrie ein elementares Interesse an superschnellen Datenleitungen, da künftig Stahlpressen und Werkzeugmaschinen untereinander Informationen austauschen werden. «Der derzeitige Ausbau ist nur ein Schönheitspflaster», sagt der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Carl Martin Welcker, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.
Willkommen in Kupferland
Wie konnte es so weit kommen? Eine zentrale Rolle spielt die Deutsche Telekom. Der ehemalige Staatskonzern ist Marktführer bei Internet-Anschlüssen - und will sein altes Kupfer-Telefonnetz so lange wie möglich weiternutzen. Die Telekom werde nicht einfach wegen des Drucks von aussen Glasfaseranschlüsse bis in die Häuser bauen, sagt Konzernchef Tim Höttges. «Wir entscheiden für unsere Kunden und Aktionäre, was die richtige Vorgehensweise ist.» Dabei handele es sich um eine unternehmerische Entscheidung, Ratschläge von der Konkurrenz brauche man nicht. «VW schreibt BMW ja auch nicht vor, welche Motorentechnik sie verwenden sollen.»
Das Kupfernetz hat allerdings einen gravierenden Nachteil: Es ist zum Telefonieren gebaut, aber nicht, um die heute anfallenden gigantischen Datenmengen zu transportieren. Deshalb setzt die Telekom auf den Hauptstrecken im Land bereits auf Glasfasern.
Problematisch ist allerdings das letzte Stück direkt bis in die gut 40 Millionen Haushalte. Der Abschnitt ist wegen der vor Jahrzehnten verbauten einfachen Telefonleitungen ein Flaschenhals, auf dem sich entscheidet, welche Datenraten bei den Kunden ankommen. Um den Engpass zu überbrücken, setzen die Bonner Vectoring ein. Die Technologie unterdrückt Störsignale zwischen den Kupferdrähten, doch funktioniert sie nur, wenn andere Breitbandanbieter das Feld räumen. Rivalen wie Vodafone und United Internet («1&1») laufen Sturm.
«Derzeit fliessen viele öffentliche Mittel in die Vectoring-Technologie und damit in das alte Kupfernetz der Telekom», sagt United-Internet-Chef Ralph Dommermuth zu Reuters. Gleichzeitig komme der Glasfaserausbau nicht voran. «Jeder weiss, dass das kein Zukunftsmodell ist, aber es wird trotzdem gemacht.»
Die europäischen Nachbarn machen es anders
Nach Daten des Infrastrukturbetreibers Akamai sind Bundesbürger über ihre leitungsgebundenen Anschlüsse im Schnitt mit 14,6 Megabit in der Sekunde (Mbit/s) im Internet unterwegs. Im internationalen Vergleich reicht das nur für Platz 26 - noch hinter Litauen. Noch schlechter sieht es bei Glasfaser-Anschlüssen aus, die bis ins Haus reichen. Da nicht einmal zwei von Hundert Haushalten über diese modernen Leitungen verfügen, belegt Deutschland in Europa von 28 Ländern den vorletzten Platz.
Der Rückstand ist nach Aussagen von Jürgen Grützner, Chef des Branchenverbands VATM, langfristig gefährlich. «Andere Länder bauen Glasfaser aus, um die Vorreiter der Digitalisierung anzulocken.» Die besten Arbeitsplätze würden dort entstehen, wo es die besten Netze gebe. «Wir müssen jetzt für die digitale Avantgarde bauen und nicht warten, bis Glasfaseranschlüsse den Massenmarkt erreichen.»
Vieles spricht für eine solche Offensive. Nach Berechnungen der Weltbank können Industrienationen ihre Wirtschaftsleistung zusätzlich um 1,2 Prozent ankurbeln, wenn sie die Zahl der Breitbandanschlüsse um zehn Prozent erhöhen. Rasante Online-Anschlüsse verbesserten etwa die Automatisierung in der Fertigung und sorgten dafür, das Berufstätige besser zusammenarbeiten könnten.
Warten auf 5G
Der Vorsprung einiger Länder sei auf regulatorische Eingriffe zurückzuführen, sagt Telekommunikationsexperte Roman Friedrich von der Unternehmensberatung Alix. In Rumänien etwa dürfe man Glasfasern überirdisch verlegen, also an Masten. Das teure Aufgraben von Strassen entfalle. In Schweden hätten die Kommunen mit Steuergeldern eigene Kabelgesellschaften gegründet. Und in der Schweiz habe die Regierung den grössten Telekom-Konzern Swisscom dazu ermutigt, die beste Infrastruktur zu bauen. Einwohner von Zürich und anderen Grossstädten können heute schon - für sehr viel Geld - Geschwindigkeiten von einem Gigabit pro Sekunde abonnieren. In Deutschland bietet die Telekom maximal ein Zehntel davon an, meist noch viel weniger.
Der rosa Riese ist mit seiner Absage an Glasfasern eine Ausnahme. Die Nachzüglerposition könnte nach Aussagen von Analyst Guy Peddy von der Bank Macquarie dazu führen, dass das Unternehmen bald wesentlich mehr Geld in den Netzausbau stecken muss. Berater Friedrich vermutet noch einen anderen Grund für die Zurückhaltung. «Einige Betreiber spekulieren auf den nächsten Mobilfunkstandard 5G, mit dem sich grosse Datenmengen übertragen lassen.» Damit könne man das letzte Stück des Internet-Ausbaus bis in die Häuser mit Funk überbrücken. «Doch auch 5G hebelt die Gesetze der Physik im Mobilfunk nicht aus. Wenn sich mehrere Leute gleichzeitig einklinken, sinken die Datenraten rapide.» Experten erwarten, dass 5G erst Mitte des nächsten Jahrzehnts im grossen Stil nach Deutschland kommt. Derzeit gibt es den Standard noch nicht einmal.
(reuters/ccr)
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