Das TV-Duell am Sonntag war in der Dramaturgie des Wahlkampfes der Höhepunkt der persönlichen Auseinandersetzung zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz. In den verbleibenden 19 Tagen bis zur Bundestagswahl am 24. September rückt jetzt ein anderer Aspekt in den Vordergrund: Welche Parteien können und wollen Koalitionen miteinander bilden?
Nach Einschätzung von Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen kann die Koalitionsfrage noch einmal Bewegung in das Wahlverhalten bringen. Denn das deutsche Wahlsystem führt fast immer zu Koalitionsregierungen - und Wähler müssen beim Gang in die Wahlkabine also taktisch überlegen, wie sie das von ihnen präferierte Bündnis am besten unterstützen können.
Weniger wichtig sind dabei die AfD und die Linkspartei. Mit den Rechtspopulisten will ohnehin niemand koalieren - das wissen die Anhänger dieser Partei auch. Die Linkspartei hat nur eine Regierungsoption, nämlich ein rot-rot-grünes Bündnis. Bei beiden Parteien lösen Koalitionsüberlegungen also keine Wählerwanderungen aus. Ganz anders ist dies bei Union, SPD, Grünen und FDP: Dort sind besonders Festlegungen für die Optionen Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün wichtig.
Keine zu hohen Gräben aufreissen
Ein mögliches Bündnis aus Union und FDP, das nach den letzten Umfragen möglich scheint, ist aus Sicht von SPD und Grünen eine gute Mobilisierungsmöglichkeit eigener Wähler. Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir etwa kritisierte am Dienstag im Bundestag zunächst die grosse Koalition, um dann hinzuzufügen: «Aber es kann noch schlimmer kommen - schwarz-gelb.»
Hintergrund ist, dass das Bündnis aus Union und FDP zwischen 2009 und 2013 schlechte Zustimmungswerte in der Bevölkerung erzielte. Das Problem für die Grünen: Da auch eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen möglich ist, darf die Grünen-Spitze keine Gräben aufreissen, über die sie später nicht mehr springen kann.
Wahltaktisches Kalkül
In der Union wiederum gibt es unterschiedliche Vorstellungen, ob das Werben für schwarz-gelb mehr Wähler anlocken könnte. Das glaubt zumindest CSU-Chef Horst Seehofer, der sich deshalb am Mittwoch festlegte: «Ich wünsche mir ein Comeback von Schwarz-Gelb», sagte er der «Bild»-Zeitung. Dagegen äusserte er sich zu einem möglichen Bündnis mit den Grünen sehr skeptisch. Der Hintergedanke: Die CSU will sich vor allem um Wähler am rechten Rand bemühen - für die eine mögliche Koalition mit den Grünen abstossend ist.
CDU-Chefin Merkel allerdings lehnt jeden Koalitionswahlkampf klar ab. «Wenn es einen natürlichen Partner gibt, dann ist es die CSU», hatte die CDU-Vorsitzende schon Mitte August auf die Frage nach der FDP betont. Auch dahinter steckt wahltaktisches Kalkül: Denn nach zwölf Jahren Amtszeit wird die CDU vorwiegend wegen Merkel selbst gewählt - für ihre Anhänger ist eher zweitrangig, wen sie als Koalitionspartner hat. Zudem gibt es durchaus einen schwarz-grünen Flügel in der CDU, der nicht verschreckt werden soll.
FDP könnte Wählerwanderungen auslösen
Die grössten Wählerwanderungen in den letzten Tagen könnte nach Ansicht von Forschungsgruppe-Wahlen-Geschäftsführer Jung die FDP auslösen. Jung rät den Liberalen zu einer klaren Aussage, dass sie nur für eine Koalition mit der Union zur Verfügung stünden. «Wenn die FDP eine glasklare Unterstützung der Union und Merkel signalisiert, wird es ihr leichter fallen, taktische Wähler aus dem Unionslager für sich zu gewinnen», sagte er zu Reuters. Von bis zu drei Prozent ist bei Demoskopen die Rede. Denn Wähler, die bisher für die CDU stimmen wollten, könnten dann die Liberalen wählen und trotzdem Merkel als Kanzlerin bekommen.
Allerdings hat die FDP-Spitze angekündigt, sich nicht festzulegen. Denn die Erfahrungen mit solchen Präferenzen für die Union sind aus FDP-Sicht gemischt: 2009 spülte dies den Liberalen zusätzliche Stimmen zu. 2013 flog sie dennoch aus dem Parlament.
Falsche Positionierung von SPD eingeräumt
Auf der anderen Seite versucht die Union Kapital aus einer Rot-Rot-Grün-Debatte zu ziehen. Am Dienstagabend kritisierte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel bei einem Wahlkampfauftritt in Heidelberg erneut, dass die SPD eine mögliche Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei nicht ausschliessen wolle. «Wir können uns Experimente nicht leisten in der Zeit, die sehr fordernd ist», sagte sie - und will damit möglicherweise abgeschreckte moderate Wähler der SPD auf ihre Seite oder ins Lager der Nichtwähler ziehen.
Sogar in der SPD wird eingeräumt, dass eine falsche Positionierung in dieser Koalitions-Frage zumindest bei einer der zurückliegenden Landtagswahlen durchaus eine Rolle spielte.So hatte Schulz vor der Saarlandwahl Ende März mit der Linken geflirtet - worauf die CDU eine harte und erfolgreiche «Rote-Socken»-Kampagne gegen ein rot-rotes oder rot-rot-grünes Bündnis an der Saar fuhr. In Nordrhein-Westfalen wiederum hatte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auch aufgrund dieser Erfahrung ein Bündnis mit den Linken ausgeschlossen - und trotzdem verloren.
Festlegung birgt für SPD Gefahr
Deshalb ist die Taktik der SPD im Bundestagswahlkampf bisher, nicht über das Stöckchen der Union zu springen. Zwar weiss ein SPD-Wähler dann nicht, ob die Sozialdemokraten am Ende mit Grünen und Linken, Grünen und FDP oder doch erneut mit der Union koalieren würden. Aber eine Festlegung wird als noch grössere Gefahr angesehen: Denn schlösse die SPD ein Linksbündnis aus und die FDP verkündete anschliessend eine Absage an eine Ampel-Koalition, hätte die SPD ausser einer grossen Koalition überhaupt keine Koalitionsoption mehr, heisst es.
(reuters/ccr)