Ziemlich verzweifelt rief mich vor zwölf Jahren eine alte Freundin an: Bei ihrer 49-jährigen Tochter, Frau Weinhandel, habe man im Allgemeinen Wiener Krankenhaus eine Krebsgeschwulst der Keilbeinhöhle festgestellt. Der Tumor sitze also mittendrin im Kopf, sei sehr gross, wachse in Knochen, Blutgefässe und Gehirn ein und sei demnach inoperabel. Man habe Frau Weinhandel eine Bestrahlung vorgeschlagen, aber sie werde an ihrer Krankheit bald sterben. Ich liess mir die Computertomografien schicken, zeigte sie einem Professor am Universitätsspital, der auch nach Ansicht seiner Kollegen einer der drei weltbesten Operateure der Schädelbasis war, und dieser Crack meinte, ja, er sei bereit, die Patientin zu operieren.
Er tat das dann auch während 12 Stunden und 40 Minuten und entfernte den ganzen Tumor. Frau Weinhandel ist heute völlig gesund. Das Honorar für den Eingriff war für fast 13 Stunden Arbeit recht bescheiden.
Seit Dezember 1979 berate und betreue ich Herrn Peyer, einen Juristen aus dem linken politischen Spektrum, der ab 1976 nicht mehr so recht marschieren und protestieren konnte, weil Bewegungsstörungen und Missempfindungen die Demonstrationsfähigkeit behinderten. Zahlreiche Arztkonsilien und Untersuchungen erbrachten keine Diagnose, MRI und CT gab es noch nicht. Schliesslich zeigte ein Myelogramm, die damals übliche Röntgenuntersuchung des Rückenmarks, ein Ependymom, also einen Tumor, der vom obersten Halswirbel aus kontinuierlich 20 Zentimeter im Rückenmark nach unten wuchs. Der neurochirurgische Chefarzt des Universitätsspitals erklärte dem Patienten, dass er nach einer Operation wahrscheinlich vollständig gelähmt bleiben werde, dass sie gleichzeitig aber seine einzige Überlebenschance darstelle. Herr Peyer verlangte die Operation, und der Professor operierte am 16. Dezember 1977 von 15 bis 23 Uhr. Ein Jahr später konnte Herr Peyer mittels Stöcken wieder gehen und seine Einsprachen gegen jedweden Übermut der Behörden und der Bourgeoisie munter wiederaufnehmen. Honorar erhielt der Arzt keines, der Patient war allgemein versichert. Er war aber stolz auf diesen und viele andere Leistungen und deshalb glücklich.
Die beiden erwähnten Cracks brachten es so zu einem gewissen Wohlstand. Mehr brauchten sie nicht, weil sie in ihrer Freizeit ja Bücher schrieben – und nicht kauften.
Da sind manche von uns heute doch etwas weiter. Die Gilde der Klempner in schon industriell organisierten Unternehmen öffnet verstopfte oder verengte Blutgefässe und zugedrückte Harnleiter – ein sicherlich nicht einfaches Handwerk, aber doch innert weniger Jahre erlernbar. Andere straffen, saugen oder blicken mittels Fasern oder angeregter Atomkerne ins Innere.
Diese Kunstreichen kommen bei entsprechend versicherten Patienten schon einmal auf Honorarforderungen von einigen tausend Franken pro Stunde und finanzieren so Yacht, Pferd und Luxusgeländewagen für den sportlichen City-Einkauf ihrer Frau Gemahlin. Von solch feiner Lebensart können andererseits Landärzte, Neurologinnen oder sich um Diabetes Bemühende nur träumen. Wer zum Beispiel die Verwirrungen und Verstopfungen des Seelenlebens ergründet, diese behandelt und allenfalls sogar den Sprung vom Dach verhindert, darf, falls er eine Stunde voll durcharbeitet, brutto maximal Fr. 193.50 verrechnen; vergleichsweise kaum mehr, als Rohrmax in Rechnung stellt.
Tarmed, ein Ungetüm, an dem schliesslich zehn Jahre lang heftig gewerkelt wurde, war geplant worden, um solch groteske Unterschiede des Einkommens der verschiedenen Ärzteklassen etwas auszugleichen. Stattdessen wurden die Reichen noch etwas reicher, und die Habenichtse haben nach wie vor das Nachsehen. Das Lobbying von Klempnern, Inspekteuren der Eingeweide und Gynäkologen war zehn- bis fünfzigmal
erfolgreicher als jenes der Seelenärzte.
So können wir nur hoffen, dass uns noch einzelne der Hausärzte und Kinderpsychiater erhalten bleiben, die sich mit wenig finanziellem Ertrag, aber viel Freude am Erfolg ihrer Arbeit trösten. Schliesslich hat auch van Gogh zu Lebzeiten kein einziges Bild verkauft, Mozart war ständig in Geldnöten, und Beethovens Eroica wurde nach der Uraufführung von der Wiener Presse verrissen.