Es ist wieder einmal vollbracht. BILANZ proudly presents «die 300 reichsten Schweizer». Sie wurden im abgelaufenen Jahr arg gebeutelt. Bei den im New-Economy-Boom schnell reich Gewordenen schlug der Zusammenbruch des Goldrausches arge Lücken. Auch für die «alten» Reichen war die Stimmung an den internationalen Börsen nicht dazu angetan, ihre erklecklichen Vermögen weiter zu vergrössern, und der schwarze Herbst gab der Stimmung vollends den Rest.

Dennoch: Reich sind sie allemal geblieben; einige wenige sind noch reicher geworden, viele etwas weniger reich. Die 390 Milliarden Franken, die sie zusammen auf die Waage bringen, entsprechen ziemlich genau der Hälfte des gesamten versteuerten Privatvermögens in der Schweiz. Wobei diese Zahlen selbstverständlich nicht vergleichbar sind: Das effektive Vermögen hat mit dem versteuerten Vermögen nur sehr bedingt etwas zu tun. Für das effektiv vorhandene Gesamtvermögen in der Schweiz gibt es nur mehr oder minder heroische Schätzungen. Legt man die 1,8 Billionen Franken (1 800 000 000 000) zu Grunde, die von den meisten Experten als realistisch eingestuft werden, so kontrollieren «unsere» Reichen davon knapp 22 Prozent.

Und genau die sich in dieser Zahl manifestierende Ungleichheit wirft doch einige Fragen auf. Wenn laut eidgenössischer Steuerstatistik 30 Prozent der Bevölkerung gar kein Vermögen besitzen und drei Prozent die Hälfte des steuerbaren Vermögens, wenn dieses Mass an Ungleichheit das zweithöchste der Welt ist (nach den USA), wenn der Reichtum der wenigen der relativen Armut der vielen gegenübersteht – und nicht zuletzt auch der Ebbe in den Kassen der öffentlichen Hände –, dann haben wir uns vom Anspruch, eine soziale Marktwirtschaft zu sein, schon ziemlich weit entfernt. Selbst wenn es in der Schweiz keine absolute Armut gibt.

Nun kann man natürlich darüber diskutieren, ob wir wirklich eine soziale Marktwirtschaft wollen oder doch lieber ganz einfach eine Marktwirtschaft, in der allenfalls der öffentlichen Hand die Aufgabe zufällt, allzu stossendes Elend zu verhindern. Wie auch immer die Antwort ausfällt – es ist für jede Gesellschaft gefährlich, die Wohlstandsunterschiede zu gross werden zu lassen. Natürlich sollen die Tüchtigen belohnt und die glücklichen Erben tunlichst nicht bestraft werden. Zugleich gilt es aber zu verhindern, dass nennenswerte Teile der Gesellschaft ausgegrenzt werden – Alte, Behinderte, junge Familien, allein erziehende Mütter, Ausländer in «Leichtlohngruppen». Geschähe dies, dann würden auch die Tüchtigen nicht lange glücklich bleiben. Nicht nur, weil es dann zu sozialen Spannungen kommen könnte, sondern auch, weil die Glücklichen selber nicht damit leben können, dass viele andere unglücklich sind.

Etlichen Reichen ist dies durchaus bewusst. Dies ergibt sich auch aus der Studie von Ueli Mäder und Elisa Streuli über den «Reichtum in der Schweiz», deren Ergebnisse wir ab Seite 220 präsentieren. Dort meint ein Bankier, Geld sei «charakterlos». Und ein eher unglücklicher Erbe sagt über seine Mit-Reichen: «Alle haben es irgendwie gestohlen.» Ein Medienunternehmer erklärt, die Klassengesellschaft sei alles andere als passé, und ein reich geborener Jurist klagt, eine Villa hinter einem Stacheldrahtverhau sei doch nichts wert.

Irgendwie haben alle Reichen ein schlechtes Gewissen oder zumindest ein ungutes Gefühl. Deshalb gibt es auch unter den schweizerischen Reichen kaum einmal denMüssiggang. «Unsere» Reichen hätten es nun wirklich nicht mehr nötig, auch nur noch einen Finger zu rühren – sie könnten schon von den Zinseszinsen ihres Reichtums sehr komfortabel leben. Tun sie aber nicht. Sie sind vielmehr meistens äusserst aktiv. Zum Beispiel Daniel Vischer, mein lieber Kollege aus studentisch bewegten Zeiten, der aus einer sehr wohlhabenden Basler Familie stammt und sich heute als Anwalt vehement für die geschädigten Arbeitnehmer im Swissair-Debakel einsetzt. Oder ein anderer Studiengefährte, ein Arzt aus einer der reichsten Familien der Schweiz, der seinen Beruf ausserordentlich seriös ausübt und sich dabei sogar wahren Luxus leistet: sich viel Zeit für seine Patienten zu nehmen, denn auf seine Arzthonorare ist er kaum angewiesen

Etliche der Reichen sind nicht nur in ihrem Beruf äusserst aktiv. Sie bemühen sich auch, mit ihrem Reichtum etwas Gescheites anzufangen – ihn in irgendeiner Form mit der Allgemeinheit zu teilen. Sei es, dass sie soziale oder ökologische Werke unterstützen, sei es, dass sie als Mäzene und Kulturförderer wirken, sei es, dass sie Geld in zukunfts-, wenn auch nicht unbedingt renditeträchtige Forschungsprojekte pumpen.

Was sich aus derlei gesellschaftlichem Selbstverständnis ergeben kann, lässt sich im Mikrokosmos Basel am deutlichsten ablesen: Beyeler-Museum, Tinguely-Museum, Museum für Gegenwartskunst, Ausbau des Kunstmuseums, Neubau des Schauspielhauses – lauter kulturelle Grosstaten aus den letzten Jahren, die ohne die Spendierfreudigkeit der Reichen gar nicht möglich gewesen wären.

Man mag sich über die selbst errichteten Denkmäler der Spender mokieren, sich fragen, was denn diese Art von Kulturbetrieb den Armen bringen soll. Unmittelbar wohl nicht viel. Aber ohne den Kulturbetrieb, der nicht nur in Basel ohne private Mäzene nicht möglich wäre, würde eine Gesellschaft verkümmern, ihre Seele verlieren. Und die braucht sie, um das Bewusstsein von Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu erhalten.

Kommt hinzu, dass viele Reiche selbst staatlichen Umverteilungsmassnahmen nicht annähernd so feindlich gegenüberstehen, wie man das vermuten könnte. Dinge wie Kapitalgewinnsteuer oder Erbschaftssteuer würden zwar nicht gerade freudig begrüsst – so weit geht die Verleugnung eigener Interessen denn doch nicht –, aber sie würden auch nicht als Untergang des Abendlandes empfunden oder auch nur des Systems, das diese Menschen reich gemacht hat.


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