Der durchschnittliche Schweizer Reiche besitzt 1,245 Milliarden Franken. Er ist männlich - oder wenigstens das maskuline Oberhaupt eines reichen Clans -, er verwaltet das Familiensilber in der Regel bereits in der zweiten Generation, und sehr häufig ist er kein Schweizer. Von den 300 in unserer Liste aufgeführten Riesenvermögen befinden sich nicht weniger als 112 in der Hand von Ausländern, die in der Schweiz wohnhaft sind.
Diese 37 Prozent aller Reichsten vereinigen ein Vermögen von fast 190 Milliarden Franken auf sich, mehr als die Hälfte aller grossen Vermögen in der Schweiz zusammen. Diese Diskrepanz wiederum deutet darauf hin, dass sich besonders unter den Superreichen überdurchschnittlich viele Ausländer befinden müssen. Und so ist es in der Tat: Unter den Top 10 unserer Reichstenliste finden sich vier Schweizer Namen (Oeri/Hoffmann, Haefner, Landolt und Bertarelli), dafür belegen die drei erstgenannten gleich die Ränge eins bis drei. Das Ländle ist in der Top-10-Parade mit dem durchlauchtigen Fürsten höchstderoselbst vertreten, der mit sechs bis sieben Milliarden Franken Vermögen Rang zehn besetzt. Fünf dieser Superreichen tragen ausländische Namen (Olayan, Rausing, Defforey, Beisheim und Engelhorn).
Noch dramatischer wird das Bild, wenn wir vergleichen, wie sich die Milliardäre in unserer Rangliste nach ihrem Pass unterscheiden. Insgesamt finden sich in der Auflistung 83 Milliardäre. Davon sind 36 Schweizer, 2 sind Liechtensteiner (der Fürst und die Familie Hilti) und 45 sind Ausländer, die in der Schweiz wohnen. Damit tragen die ausländischen Superreichen erheblich dazu bei, dass die Vermögensverteilung unter den Reichen derart ungleich ist. Die Grafik «Schief verteilt» stellt das anschaulich dar. Wären die ganzen fast 374 Milliarden Franken, die «unsere» Reichen zusammen auf die Waage bringen, gleichmässig auf alle Reichen verteilt, so hätte jeder rund 1,24 Milliarden Franken - und die Kurve entspräche der diagonalen Linie. Je dicker der Bauch der Kurve ist, umso ungleicher ist die Vermögensverteilung; und am Beispiel der 300 Reichsten gemessen, ist die Vermögensverteilung ausserordentlich ungleich. Weil die insgesamt 112 Ausländer (Gesamtanteil: 37 Prozent) bei den Milliardären überproportional vertreten sind (54 Prozent), tragen sie stark zur schiefen Vermögensverteilung bei. Blieben die Schweizer Reichen unter sich, wäre das Bild nicht gar so grauslich.
Grauslich ist es aber dann, wenn man die Vermögensverteilung unter den Reichen mit jener in der Gesamtbevölkerung vergleicht. Die Bilder gleichen sich nämlich aufs Haar. Die Reichen sind also doch Menschen wie du und ich - viele haben wenig, wenige haben sehr viel. Nur: Bei den Reichen heisst «wenig», dass die untersten 20 Prozent zwar nur knapp mehr als zwei Prozent des Gesamtreichtums der 300 ihr Eigen nennen, dass dies aber pro Kopf mehr als 100 Millionen ausmacht. Für die Gesamtbevölkerung heisst «wenig», dass die untersten 20 Prozent zusammen einen «Reichtum» von exakt 0,0 Franken ausweisen, pro Kopf also ebenfalls null Franken. Und diese 20 vermögenslosen Prozente der Bevölkerung entsprechen immerhin rund 1,4 Millionen Menschen.
Kommt hinzu, dass der Reichtum der Superreichen im letzten Jahrzehnt in ungeahntem Masse zugenommen hat. Brachten die Reichsten im Jahre 1989, als wir unsere Auflistung zum ersten Mal publizierten, zusammen noch knapp 68 Milliarden Franken auf die Waage, so sind es heuer nicht weniger als 374 Milliarden. Nur: 1989 beschränkte sich unsere Liste auf 100 grosse Vermögen, 1999 taxieren wir bereits 300. Doch selbst wenn wir zu Vergleichszwecken nur die jeweils 100 Reichsten betrachten, ist die Zunahme der Topvermögen beeindruckend. Aus den 68 Milliarden des Jahres 1989 sind 1999 satte 316 Milliarden Franken geworden, eine Steigerung um knapp 250 Milliarden Franken oder 450 Prozent.
Diese Zunahme hat vielerlei Gründe. Zum einen sind die Spurensucher der bilanz immer erfolgreicher geworden. Jahr für Jahr konnten wir neue Reiche präsentieren - nicht etwa, weil diese zu neuem Reichtum gekommen waren, sondern weil wir sie in den ersten Jahren noch nicht aufzuspüren vermochten. Dazu gehört zum Beispiel die Familie Landolt, heute mit neun bis zehn Milliarden Franken auf Rang drei, die wir 1989 noch gar nicht in unserer Rechnung hatten; dass sie als wichtigste Aktionäre der Sandoz und heute der Novartis zweifellos zu den Superreichen gehören, ist uns vor zehn Jahren schlicht entgangen.
Zum Zweiten haben die Vermögen der Superreichen im Verlaufe der Neunzigerjahre tatsächlich erheblich zugenommen - der boomenden Börse sei Dank. Allein die immer währenden Spitzenreiter unserer Rangliste, die Mehrheitsaktionäre des Basler Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche, sahen ihr Familienvermögen in dieser Zeitspanne von 7 bis 8 Milliarden (1989) auf 30 bis 35 Milliarden Franken anwachsen, eine Steigerungsrate von 333 Prozent. Walter Haefner, der Autoimporteur und Software-Unternehmer, sah sein Vermögen von 2 bis 3 Milliarden auf 13 bis 14 Milliarden Franken oder um 440 Prozent ansteigen.
Zum Dritten schliesslich hat die Schweiz in den letzten zehn Jahren eine erhebliche Zuwanderung an reichen Ausländern erlebt, die sich allesamt selbstverständlich nur wegen der schönen Landschaften am Genfer- und Zugersee niederliessen. Das milde Steuerklima und die nur Ausländern offen stehende Möglichkeit, Steuerpauschalen zu vereinbaren, war dabei gewiss ein angenehmer Nebeneffekt. Und so liest sich denn unsere diesjährige Rangliste der Reichsten wie ein Who is who der internationalen Finanz-, Industrie- und Showbusiness-Prominenz. Das Spektrum reicht dabei von den schwedischen Tycoons Gad Rausing (Tetra-Laval) und Ingvar Kamprad (Ikea) über die holländische Brenninkmeijer-Familie (C&A), die deutschen Finanz- und Versicherungsgrössen August von Finck und Rolf Gerling, die im Luxusgütersegment tätigen Leonard Lauder, Familie Rupert und Pierre Cardin, die Reederei-Erben Athina Onassis, George S. Livanos und John Latsis bis zum Lego-König Kjeld-Kirk Kristiansen und dem Bierbrauer Alfred Heineken. Hinzu kommen allerlei illustre Figuren aus Showbusiness und Sport: Formel-1-König Bernie Ecclestone, Dirigenten-Erbin Eliette von Karajan, der PS-starke Ferraripilot Michael Schumacher und sein Kollege im Ruhestand, Alain Prost, die Gesangskünstler Tina Turner und Phil Collins sowie als Neuzugang in diesem Jahr Tennis-Altstar Boris Becker.
Diese sozusagen epidemische Ausbreitung ausländischer Riesenvermögen trägt erheblich zur Verzerrung der Vermögensverteilung unter den Reichsten bei. Konnten wir uns 1989 noch auf die 100 Reichsten beschränken und dabei nur 17 Milliardäre berücksichtigen, so wird heuer das Hunderterkontingent schon beinahe von den Milliardären (83 an der Zahl) ausgeschöpft. Und die untere Limite von 100 Millionen Franken als Aufnahmekriterium in unsere Liste erscheint mittlerweile als ziemlich tief angesetzt: Der Ausbau unserer Reichstenliste auf 350 oder gar 400 ist nur eine Frage der Zeit - und unserer Hartnäckigkeit beim Aufspüren bislang verborgen gebliebener Vermögen.
Da stellt sich dann die Frage, was so viel Reichtum für ein so kleines Land wie die Schweiz bedeutet. Mit 374 Milliarden Franken beanspruchen die 300 Reichsten des Landes schätzungsweise rund zehn Prozent des gesamten schweizerischen Volksvermögens. Oder fast gleich viel, wie alle Schweizerinnen und Schweizer zusammen in ihren Pensionskassen angespart haben. Oder fast die gleiche Summe, die alle Schweizerinnen und Schweizer pro Jahr an Bruttosozialprodukt erarbeiten. 374 Milliarden, das sind 53400 Franken pro Einwohner oder mehr als 200000 Franken pro vierköpfige Familie - ein Sparbatzen, von dem die Mehrheit der Schweizer nur träumen kann. Würde man diese Riesensumme auch nur mit einem Satz von fünf Prozent verzinsen, betrüge der jährliche Ertrag 18,7 Milliarden Franken - genug, um die defizitären Haushalte der öffentlichen Hand auszugleichen, die roten Zahlen der öffentlich-rechtlichen Unternehmen zum Verschwinden zu bringen, die Finanzierungslücken der Sozialwerke zu stopfen und den Schuldenberg des Bundes kontinuierlich abzutragen.
Solches sind natürlich Milchmädchenrechnungen. Schliesslich bestehen die meisten der aufgeführten Vermögen nicht aus unmittelbar verfügbaren Guthaben. Selbstverständlich ist das Stimmen-Mehrheitspaket an der Hoffmann-La Roche nur theoretisch Dutzende von Milliarden wert. Praktisch würde das erst, wenn es tatsächlich verkauft würde. Solange es aber per Aktionärsbindungsvertrag vor dem Verkauf gesichert und im Unternehmen investiert bleibt, ist dieses Mehrheitspaket so viel wert, wie es an Ertrag abwirft. Und der bewegt sich im hohen zweistelligen Millionenbereich - in einer jährlichen Grössenordnung also, die für sich schon beinahe ausreichen würde, um in die Liste der reichsten Schweizer aufgenommen zu werden.
Den Reichen selber ist in aller Regel durchaus bewusst, dass die Anhäufung derart riesiger Vermögen geeignet ist, den Neid der Besitzlosen zu erregen und angesichts der Finanznot der öffentlichen Haushalte einen schalen Geschmack zu hinterlassen. Daher auch das Bemühen vieler Reicher, ihren Besitz zu rechtfertigen. Sei es, indem sie unermüdlich bekräftigen, welchen volkswirtschaftlichen Beitrag wir dem Einsatz des konzentrierten Kapitals verdanken; sei es, indem viele von ihnen einen erheblichen Teil der Erträge aus ihrem investierten Geld gemeinwirtschaftlichen Zwecken zuführen. Auch in dieser Hinsicht ist die Roche-Aktionärsfamilie ein leuchtendes Vorbild, und dies schon seit mehreren Generationen. Sowohl die Firma als auch ihre Besitzer haben sich vornehmlich in der Heimatregion einen grossen Namen als Förderer der Künste gemacht. Das Tinguely-Museum, erbaut vom Tessiner Stararchitekten Mario Botta, ist eine Stiftung der Roche aus Anlass ihres Firmenjubiläums.
Das Museum für Gegenwartskunst wurde von der verstorbenen Roche-Erbin Maja Sacher gestiftet; das Autographenmuseum zeitgenössischer Musik von ihrem Gatten Paul Sacher (siehe auch das letzte Interview mit dem in diesem Jahr verstorbenen Dirigenten: «Geniale Menschen machten mich reich»). Sacher hatte über viele Jahre das Basler (und das Zürcher) Musikleben mit namhaften Beiträgen subventioniert und mittels Kompositionsaufträgen zeitgenössische Musiker gefördert. Den Ausbau des Kunstmuseums macht die Mäzenin der jüngsten Generation, Maja Oeri, möglich, indem sie der städtischen Kunstsammlung kurzerhand des benachbarte Gebäude der Nationalbank schenkte. Eine weitere Vertreterin dieser Generation, Gisela Oeri, hat der Stadt in zentraler Lage ein Puppenmuseum gestiftet und betätigt sich neuerdings als Sponsorin und Vorstandsmitglied des finanziell stets etwas klammen FC Basel. Überdies, so ist zu vermuten, stammen von den über zehn Millionen Franken, die eine Gruppe von Frauen für den Neubau der Sprechbühne des Basler Theaters aufgetrieben hat, ein paar Franken ebenfalls aus dem Kreis der Roche-Erbinnen. Kommt hinzu, dass die Emmanuel-Hoffmann-Stiftung schon seit vielen Jahren mithilft, die Bestände des Kunstmuseums zu alimentieren. Alles in allem dürften aus dieser fast unerschöpflichen Quelle in den letzten Jahrzehnten einige Hundert Millionen Franken in das Kulturleben der Stadt Basel geflossen sein.
Nun sind die Roche-Erben kein Einzelfall unter den Reichen des Landes - sie können ganz einfach mit der grössten Kelle anrichten. Andere backen zwar kleinere, aber nicht minder wohlschmeckende Brötchen. Rolf Gerling, der deutsche Versicherungserbe, leistet sich seine Gerling-Akademie, die mit staunenswerten Publikationen den Erkenntnisstand über wichtige gesellschaftliche und technologische Entwicklungen vorantreibt. Thomas Koerfer, einer der Neuen in unserer diesjährigen Liste, denkt gar nicht daran, nun von den Zinsen zu leben. Er setzt sein Geld in der Förderung zeitgenössischer Künstler und für seine Filme ein. Etliche der Reichen haben sich beachtliche Kunstsammlungen zugelegt, die sie, wie Ernst Beyeler, bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben, oder das, wie Esther Grether, hoffentlich bald tun werden.
So verdienstvoll ein derartiger Umgang mit Reichtum sein mag, so beseitigt er dennoch nicht die Frage nach der Legitimation der Macht, die sich daraus ergibt. Zumal dann, wenn der Reichtum aus der Gnade der passenden Geburt resultiert. Und das ist bei den in der Schweiz ansässigen Schweizern immer noch die wichtigste Quelle des Reichtums. Die meisten wirklich grossen Vermögen des Landes sind über mehrere Generationen aufgebaut worden. Das gilt für die Oeris und Hoffmanns ebenso wie für die Landolts, den Maus-Nordmann-Clan, die Brüder Schmidheiny, die Pictets, die Andrés, die Erbs, die Vontobels, die Lombards, die Bärs, die Bodmers, die Schindlers, die Ringiers und viele andere. Die selber erarbeiteten Vermögen sind in unserer Reichstenliste, was die echten Schweizer angeht, eher dünn gesät. Dazu gehört ganz sicher der Volkstribun Christoph Blocher, der es im Laufe seines bisherigen Arbeitslebens auf mehr als zwei Milliarden Franken gebracht hat. Dazu gehören auch Martin Ebner, André Kudelski, Werner Spross, Karl Nicklaus, Jacques Gonella und Daniel Borel.
Bei diesen im Verlaufe eines Lebens entstandenen Vermögen bereitet deren Rechtfertigung kaum Mühe. Denn am Anfang jedes grossen Vermögens stand eine Idee, die jemand erst einmal haben musste. Nicolas Hayek erfand nicht die Uhr, aber die Uhr als Accessoire. Werner Spross erfand nicht die Gärtnerei, aber den Gartenbau als industrielles Unternehmen. Daniel Borel hatte die Idee, den PC mit Sinnesorganen auszustatten und entwickelte als Tastorgan seine Logitech-Maus. Jacques Gonella machte sich Gedanken über die Verabreichungsprozedur von Medikamenten. Und Martin Ebner hatte die Idee, die brachliegenden Vermögenswerte institutioneller Anleger zu bündeln und effizienter einzusetzen. Dass sie mit ihren Ideen Erfolg hatten und dass sich dies auch in ihrem persönlichen Vermögen niederschlägt, dagegen ist nicht viel einzuwenden.
Wer neue Produkte entwickelt, neue Herstellungsverfahren, ein neues Vertriebssystem, wer die Produktionsfaktoren auf neuartige Weise kombiniert und damit die Kontrolle gewinnt über ganze Wertschöpfungsketten, der hat es nicht nötig, den daraus resultierenden Reichtum zu rechtfertigen. Er hat ihn verdient. Zumal es den allermeisten dieser Reichen nicht im Traum einfallen würde, die Früchte ihrer Arbeit nun mit Luxuskonsum zu verpulvern. Sie neigen eher dazu, auf dem eingeschlagenen Weg immer weiterzumachen und die Gewinne zu reinvestieren - also weiterhin nützlich zu sein, sich selbst und damit auch der Gesellschaft.
Den Erben grosser Vermögen ist diese Art der Rechtfertigung verbaut. Die Idee, die zum Reichtum führte, hatte einer ihrer Vorfahren, sie ernten nur die Früchte von dessen Leistung. Und haben nun die Aufgabe, das Erreichte zu sichern und womöglich zu mehren. Das ist - es sei ganz ohne Ironie eingestanden - ein nicht eben leichtes Schicksal. Wer ein grosses Vermögen erben kann, der ist meist schon in einem überdurchschnittlich üppigen Umfeld aufgewachsen, bekam die bestmögliche Ausbildung geradezu aufgedrängt, hat den Umgang mit viel Geld frühzeitig gelernt, wurde in aller Regel für höhere Aufgaben programmiert. Was fehlte, war der Mangel, der hungrig macht. Und was im Übermass vorhanden ist, ist der Erwartungsdruck des familiären und gesellschaftlichen Umfelds, der die eigene Leistungsfähigkeit oft in falsche Kanäle lenkt.
Nun ist die Wahrnehmung von Reichtum in der schweizerischen Gesellschaft genau umgekehrt. Wir neigen dazu, den alten Reichtum hoch und den neuen Reichtum gering zu schätzen - «Neureicher» ist ein Schimpfwort, und den zuweilen dekadenten Wohlstand alter Familien betrachten wir mit Ehrfurcht. Diese verkürzte und sehr summarische Einschätzung findet ihre Bestätigung auch in unserer Reichstenliste, besonders dann, wenn wir sie mit jener der reichsten Menschen der Welt vergleichen (siehe «Die Reichsten der Welt»). In der Schweizer Rangliste dominiert in den vordersten Rängen der alte Reichtum (Oeri, Hoffmann, Landolt - einzige Ausnahme: Walter Haefner, der aber den grössten Teil seines Vermögens mit der amerikanischen Firma Computer Associates machte), in der Weltrangliste dominiert der neue und vornehmlich amerikanische Reichtum.
Allein die Geldmaschine Microsoft hat drei Multimilliardäre hervorgebracht: Bill Gates, Paul Allen und Steve Ballmer. Michael Dell verdankt seine 30 Milliarden Franken der gleichnamigen Computerfirma. Intel-Gründer Gordon Moore und Oracle-Chef Larry Ellison haben ihren Reichtum ebenfalls von Null aufgebaut. Und selbst die in eher traditionellen Branchen tätigen Superreichen wie Warren Buffett und der Walton-Clan haben ihr Vermögen aus eigener Kraft aufgebaut.
Warren Buffett, der mit seiner Berkshire-Hathaway-Gruppe ein Privatvermögen von rund 46 Milliarden Franken erarbeitet hat, ist sich der Problematik bewusst. Er hält es für verfehlt, Reichtum nach biologischen Gesichtspunkten weiterzugeben.
Eigentlich, so gab er einmal zu Protokoll, sei eine hundertprozentige Erbschaftssteuer angebracht, damit niemand beim Start ins eigene Leben unverdiente Vorteile geniesse. Der Gedanke hat manches für sich. Nur stellt sich die Frage, ob ausgerechnet der Staat die richtige Instanz sei, die mit einer solchen Erbschaftssteuer eingefahrenen Mittel zur Verwirklichung der Chancengleichheit optimal einzusetzen. Buffett selber hat das Problem gelöst, indem er seinen Nachkommen zwar ausreichende Mittel zur Verfügung stellt, um davon leben zu können, sein riesiges Vermögen aber in eine Stiftung einbringt.
Und dies entspricht guter amerikanischer Tradition: Nicht in erster Linie die Besteuerung regelt den Finanzausgleich innerhalb der Gesellschaft, sondern eine Vielfalt von Schenkungen und Stiftungen. Etliche der renommiertesten amerikanischen Kultur- und Bildungsinstitutionen verdanken ihre Existenz ausschliesslich dieser Art des privaten und steuersparenden Mäzenatentums. Der reichste Mann der Welt, Bill Gates mit seinen 127 Milliarden Franken Vermögen, hat bereits eine einschlägige Stiftung errichtet. Und auch unter den Schweizer Neureichen wird diese Art des Vererbens salonfähig. Martin Ebner etwa, der Prototyp des schnell zu viel Geld gekommenen Schweizers, hat bereits angekündigt, dass er sein Vermögen dereinst in eine Stiftung einbringen werde. Dies dürfte ihm freilich umso leichter fallen, als er selber keine Nachkommen hat.
Weshalb aber sind die neuen Reichen in der Welt und vor allem in Amerika zahlreicher als in Europa und insbesondere in der Schweiz? Sind bei uns die unternehmerischen Talente dünner gesät als auf der anderen Seite des Atlantiks? Oder sind dort die institutionellen Rahmenbedingungen der schnellen Vermögensbildung förderlicher? Oder werden die hungrigen jungen Möchtegern-Unternehmer hier zu Lande vom alten Reichtum an der Entfaltung gehindert? Wahrscheinlich lautet die Antwort auf alle diese Fragen: Ja, aber nur teilweise.
Richtig ist sicher, dass das Epizentrum der neuen Technologien, die allesamt mit dem Computer verknüpft sind, in den Vereinigten Staaten liegt. Dort spielte die Musik bei der Entwicklung der ersten Grossrechner, dort wurde der Personalcomputer entwickelt und erkannte Bill Gates, welches Potenzial in dieser Technologie steckt, dort wurde das Internet entwickelt, und dort liegt auch die Quelle aller daraus abgeleiteten Hard- und Softwaretechniken. Es ist also nur folgerichtig, dass in diesem geografischen Raum, festgemacht am Silicon Valley, auch die neuen unternehmerischen Ideen am heftigsten spriessen. Und an der Quelle jeden grossen Vermögens steht zunächst eine Marktidee.
Kommt hinzu, dass in den USA seit jeher ein Klima herrscht, in dem sich neue Unternehmen entfalten können. Dazu gehört Experimentierfreude, verbunden mit der Bereitschaft, existenzielle Risiken einzugehen. Verbunden auch mit der Erkenntnis, dass Scheitern nicht gleichzusetzen ist mit Versagen, dass ein fehlgeschlagenes Projekt im Gegenteil den Weg öffnen kann zu einem neuen, womöglich besseren. Über den amerikanischen Traum, stets die «New Frontiers» zu erkunden, mögen wir abgeklärten Europäer lächeln. Aber so haben die Amerikaner nicht nur den Wilden Westen erobert - so sind sie auf den Mond und den Mars geflogen, und so haben sie die so genannte Globalisierung zur amerikanischen Veranstaltung gemacht. Übrigens genau so, wie einstmals die Spanier, Portugiesen, Briten und Holländer die Welt eroberten - sie waren allesamt auf der Suche nach neuen Grenzen.
Im Unterschied dazu sind wir heutigen Europäer uns in viel stärkerem Masse der Grenzen bewusst. Grenzen haben bis vor kurzem nicht nur den ganzen Kontinent durchzogen, sondern auch unsere Köpfe. Dies gilt insbesondere für die Mehrheit der Schweizer, die sich nicht einmal mit dem Gedanken eines grenzenlosen (West-) Europas anfreunden mögen. Und das hat Auswirkungen. Das Bewusstsein von Grenzen hält uns davon ab, die Zukunft als grenzenlos zu verstehen. Wir vermuten Einschränkungen, bevor wir sie wahrnehmen. Neues, neue Technologien insbesondere, empfinden wir zunächst als Bedrohung des Bestehenden - und erst wenn es denn gar nicht mehr anders geht, nehmen wir sie auch als Chance wahr. Kurz: Wir lassen den Pioniergeist schmerzlich vermissen.
Dies ist eine Verallgemeinerung. Selbstverständlich gibt es auch in der Schweiz Pioniere. Ein paar davon finden sich sogar in unserer Liste der reichsten Schweizer. Aber sie gelten nicht als Motor der Entwicklung (auch wenn sie es sind), sondern eher als Bedrohung des Bestehenden. Und nichts macht uns mehr Freude, als wenn so ein unverschämter Emporkömmling grandios scheitert. Dabei hätten wir doch alle Voraussetzungen. Im reichsten Land der Welt mit der höchsten Bankendichte sollte Risikokapital nun wirklich kein Problem sein (ist es auch nicht, nur wird es vornehmlich in den USA investiert). Wir haben nach wie vor eines der besten Ausbildungssysteme, auch wenn es in manchen Bereichen reformbedürftig ist - Talente sollten also reichlich zur Verfügung stehen (tun sie auch, nur orientieren sich die besten Köpfe nach den USA). Unser Steuersystem ist immer noch eines der unternehmensfreundlichsten der Welt - jene Multis, die ihren europäischen Hauptsitz in die Schweiz verlegt haben, bestätigen dies (und jene Schweizer Multis, die ihren Hauptsitz hier belassen, auch).
So betrachtet, erfüllt unsere nunmehr zum elften Mal erscheinende Liste mehrere Funktionen. Zum einen ist sie, das sei unumwunden eingestanden, ein indiskreter Blick durchs Schlüsselloch. Wir sind, stellvertretend für unsere Leser, neugierig, wie viel unsere Reichen auf der hohen Kante haben und was sie mit ihrem Geld machen. Zum Zweiten ist diese Liste ein Akt der demokratischen Hygiene in einer wenig demokratisch organisierten Wirtschaft. Wir wollen wissen, wer in dieser Gesellschaft mit wie viel Geld über unsere Arbeitsplätze entscheidet.
Zum Dritten aber, und das ist womöglich der wichtigste Aspekt: Alle 300 aufgelisteten Vermögen sind irgendwann irgendwie entstanden. Stets stand am Anfang eine unternehmerische Idee. Die ist manchmal nach mehreren Generationen kaum mehr erkennbar - aber sie war einmal da. Und diese Erkenntnis könnte neue Pioniere beflügeln, ihrerseits unternehmerisch tätig zu werden. Nicht, um in unsere Liste aufgenommen zu werden - das ist auch für die 300 Bisherigen nicht unbedingt erstrebenswert -, sondern um die Wirtschaft, von der wir alle leben, in Schwung zu halten. Und am schönsten wäre es, wenn unsere Reichstenliste nicht auf Dauer eine Männerdomäne bliebe (siehe «Männerdomäne») - denn wo steht eigentlich geschrieben, dass Unternehmertum männlich sein müsse?