Die beiden spektakulärsten Wirtschaftsstrafprozesse in Deutschland haben inhaltlich nichts miteinander zu tun, aber Verlauf und Bilder ähneln sich frappieren: Das Medieninteresse ist riesig, es wird jahrlang ermittelt - und am Ende gibt es einen Freispruch.
Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking verliess den Gerichtssaal in Stuttgart im März genauso als freier Mann wie Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen und seine Vorgänger Josef Ackermann und Rolf Breuer am Dienstag in München. Und bei ihrer Urteilsverkündung übten die Richter scharfe Kritik an den Staatsanwaltschaften.
Übereifer mancher Staatsanwälte
Manche Manager und Juristen sehen in den Urteilen Belege für den Übereifer mancher Staatsanwälte. Prominenz sei beim Umgang mit der Justiz mittlerweile ein Malus, klagen Experten. «Zuletzt gab es einige Fälle, wo sich Staatsanwälte zu sehr in Verfahren verbissen haben», sagt Wirtschaftsstrafrechtler Sascha Kuhn von der Kanzlei Simmons&Simmons. «Gerade Staatsanwaltschaften, die sich ihre Sporen verdienen wollen, verstricken sich dann in ihren eigenen Ambitionen. Da erlebt man teilweise, wie Staatsanwälte argumentative Verrenkungen unternehmen, die nicht im Ansatz nachvollziehbar sind - nur weil man das Strafverfahren unbedingt durchziehen will.»
Im Münchner Prozess lieferten sich Verteidiger und Ankläger darüber erbitterte Wortgefechte. Breuers Anwalt Norbert Scharf kritisierte «blinden Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft». Die Strafverfolger weisen solche Kritik weit von sich. «Wir führen objektive Ermittlungen durch - und zwar pro und kontra den Beschuldigten», sagte der langjährige Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Manfred Nötzel, in einem Interview. «Wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, müssen wir vor Gericht ziehen. Ohne Anklage gäbe es kein Strafverfahren und damit keine Rechtsprechung.» Ein Freispruch ist aus Sicht von Nötzel, der zum Generalstaatsanwalt befördert wurde, keine Niederlage für die Ermittler.
Die Angst des Bankers vor dem Fahnder
Juristen beobachten seit einigen Jahren, dass sich Strafverfolger verstärkt Firmenbosse vorknöpfen. «Der Wille, Wirtschaftsdelikte aufzuklären, ist heute so hoch wie nie», sagt Frank Saliger, Professor für Wirtschaftsstrafrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. «Es gibt kaum ein anderes Land, in dem sich die Strafjustiz so sehr an die Mächtigen heranwagt.» Der Versuch, unternehmerisches Handeln durch die Strafjustiz prüfen zu lassen, sei in den letzten zehn bis 15 Jahren aufgekommen. «Das ist hoch problematisch.» Man dürfe Managern keinen Strick daraus drehen, dass sie auch riskante Entscheidungen fällen. «Der Handlungsspielraum von Unternehmen endet erst dort, wo gänzlich unvertretbare Entscheidungen getroffen werden.»
In den Chefetagen vieler Unternehmen ist die Furcht vor dem Staatsanwalt heute ein ständiger Begleiter. «Als Bankvorstand steht man permanent mit einem Bein im Gefängnis», klagt die Führungskraft eines grossen deutschen Geldhauses. Manager versuchten deshalb, sich mit Gutachten abzusichern - oder drückten sich ganz vor unbequemen Entscheidungen. «Das heutige Managementverhalten der Banker kann man getrost als hoch risikoavers und extrem vorsichtig bezeichnen», betont HypoVereinsbank-Chef Theodor Weimer.
«Du musst absteigen, wenn das Pfed tot ist»
Aus Sicht von Experten gibt es eine Reihe von Gründen, warum es in Deutschland zuletzt viele Anklagen, aber vergleichsweise wenig Verurteilungen von Wirtschaftsbossen gab. «Anders als bei Vergewaltigung, Mord oder Raub sind die Sachverhalte und das Strafrecht bei Wirtschaftsdelikten sehr komplex», sagt Thomas Rönnau, Professor an der Bucerius Law School in Hamburg. Hinzu kommt, dass sich Beteiligte häufig nicht mehr genau erinnern können, wenn die Behörden nach vielen Jahren Anklage erheben. «Je intensiver und länger sie ermitteln, desto schlechter werden ihre Zeugen», sagt Simmons&Simmons-Anwalt Kuhn.
Dass Richter die Ermittler am Ende häufig ausbremsen, hat aus Sicht von Experte Saliger auch etwas Positives: «Da erweist sich der Sinn der Gewaltenteilung.» Zudem folgen Gerichte hin und wieder auch den Anklägern: In den Prozessen gegen den früheren FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß, Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhof und die ehemalige Führungsriege der Bank Sal. Oppenheim wurden Haftstrafen verhängt.
Grundsätzlich dürfe sich ein Staatsanwalt nicht so in einen Fall verlieben, dass er nicht loslassen könne, sagt der Münchner Chefermittler Nötzel - und zitiert eine alte Weisheit der Sioux-Indianer: «Du musst absteigen, wenn das Pferd tot ist.»
(reuters/ccr)