BILANZ: Herfried Münkler, ist ein Krieg im Irak wahrscheinlich? Herfried Münkler: Der Krieg ist kaum mehr auszuschliessen. Der Einzige, der ihn noch verhindern könnte, ist Saddam Hussein selbst, wenn er ins Exil ginge oder gestürzt würde. Es wäre kurzfristig zwar kostengünstiger und friedlicher. Auf längere Sicht brächte es mehr Probleme mit sich. Wie bitte? Warum Probleme? Mit Saddams Abgang würde die Führungsspitze des Regimes zusammenbrechen. Die amerikanischen Streitkräfte kämen wahrscheinlich ohne Kampfhandlungen ins Land, ein US-General würde für eine gewisse Zeit die Führung im Irak übernehmen. Aber ein Eingeständnis des Scheiterns der irakischen Politik seit Ende der Siebzigerjahre wäre damit nicht erzwungen. Würde Saddam Husseins Niederlage nicht vor allem die Fundamentalisten stärken? Aber was wird geschehen, wenn alles bleibt, wie es ist? Die Rentenstaaten, also die arabischen Ölländer, die ihre Bürger alimentieren, statt von ihnen Steuern zu verlangen, werden versuchen, so weiterzumachen wie bisher. Das wird aber nicht gehen, denn bei ihnen handelt es sich überwiegend um heisse Gesellschaften, deren Bevölkerungsmehrheit jünger als 18 Jahre ist. Die Arbeitslosigkeit wurde bisher durch die Aufblähung von Staatsfunktionen niedrig gehalten. Dafür ist die Zahl der jungen Menschen inzwischen zu hoch. Deshalb droht die Algerisierung des ganzen Vorderen Orients, wenn es bleibt, wie es ist: mit korrupten Regimes, an die Alimentierung gewöhnten Bevölkerungen und einem völlig dysfunktionalen Ausbildungs- und Universitätssystem. Der islamische Fundamentalismus ist eine Reaktion auf die Blockade dieser Gesellschaften, freilich eine wenig Erfolg versprechende. Die Installierung eines Prosperitätsregimes ist eine Alternative zum Fundamentalismus. Den scheinbaren Frieden zu wahren, birgt also langfristig grössere Gefahren als der Krieg? Das ist ein gefährliches Urteil, weil sich daraus ein generelles Recht auf Intervention ableiten liesse. Auf jeden Fall ist Nichtstun nicht grundsätzlich besser als Intervenieren. Es gibt einen starken Handlungszwang in der Region. Die Bedingungen für das Gelingen einer Intervention sind nicht aussichtslos. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die gesamte Region in die Luft fliegt, wenn die US-Intervention nicht innerhalb kürzester Zeit erfolgreich ist und es zu einem sich hinziehenden Krieg mit Strassen- und Häuserkämpfen in Bagdad kommt. Darauf dürften sich die Pläne und Überlebenshoffnungen Saddam Husseins stützen. Afghanistan, Irak – wäre das der Anfang einer neuen Friedensordnung, einer Pax Americana, bestimmt durch die einzige Supermacht, die weltweit handlungsfähig ist? Ja, die USA spielen die Rolle der globalen Ordnungsmacht, und dazu sind sie verdammt. Wenn sie sich aus den Problemen heraushalten, werden diese oft nur noch schlimmer. Als sich George W. Bush am Anfang aus dem Nahostkonflikt zurückzog, wurden die Dinge nicht besser. Ähnlich ist es in Afrika südlich der Sahara. Dort ist die US-Politik nicht präsent, und das hat zur Folge, dass diese Region im Chaos versinkt. In der gegenwärtigen weltpolitischen Konstellation existiert keine Alternative zur Rolle der USA. Welche Bedeutung hat das Völkerrecht, wenn sich eine Grossmacht als Weltpolizist versteht? Das Völkerrecht wird sich durch die sehr weite Auslegung des Begriffs der Verteidigung, wie sie die Amerikaner jetzt vornehmen, dramatisch verändern. Es wird nicht mehr eine Situation zwischen Gleichen sein, die Frage der staatlichen Souveränität wird nicht mehr das frühere Gewicht haben. Auch wegen der Gefahr, die Massenvernichtungswaffen in der Hand so genannter Schurkenstaaten darstellen? Ja, das Verbot des Angriffskrieges wird sicherlich ausgehöhlt durch die vorbeugende Intervention gegen Staaten, die über Massenvernichtungswaffen verfügen, und auch zum Schutz von Menschenrechten. Sind das nicht oft nur Vorwände für die USA, um eigene Interessen zu verfolgen, etwa in Sachen Ölversorgung? Der Vorwurf ist alt. Aber Politik in einem komplexen Umfeld ist nicht die Durchsetzung der kantschen Rechtsphilosophie. Man muss gelegentlich Koalitionen mit Partnern schliessen, die man nicht wirklich will. Spielt Europa überhaupt noch eine Rolle? Kaum eine, es gibt mindestens drei europäische Standpunkte: einen britischen, einen französischen und einen deutschen. Wahrscheinlich wird Europa erst ins Spiel kommen, wenn es um die langfristige Stabilisierung der Nahostregion nach einem Irak-Krieg gehen wird. Dabei spielt der wirtschaftliche Austausch eine grosse Rolle, und der ist viel intensiver mit Europa als mit den USA. Europa könnte nur dann gleichberechtigt mitreden, wenn es eine ernst zu nehmende Streitmacht zur Verfügung hätte, auf welche die Amerikaner ernstlich angewiesen wären. Die Europäer müssen Fähigkeiten entwickeln, die sie für die Amerikaner zu unabdingbaren Partnern machen. Solange sie aber nur in der Rolle des Besserswissers auftreten, werden sie auch als solche behandelt werden. Interview: Krisztina Koenen / Klaus Methfessel, «WirtschaftsWoche»
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