Ein knappes Jahrhundert nach den Anfängen konkreter Kunst hat sich der Markt der Zürcher Konkreten globalisiert. Max Bill wird von der multinationalen Galerie Hauser & Wirth vertreten. Dieselbe Galerie widmete kürzlich Verena Loewensberg eine Einzelausstellung in ihrer New Yorker Filiale, nachdem Werke von Loewensberg von der Mayor Gallery in London und der Galerie Knoell sowie von Larkin Erdmann auf der Art Basel in Miami gezeigt wurden. Zahlreiche andere Vertreterinnen und Vertreter der Bewegung wurden bei Dickinson auf der Tefaf in Maastricht und New York im Jahr 2021 präsentiert. Und während man bei Mayor und Dickinson klassischen Kunsthandel betreibt, ermöglicht die Betreuung des Bill-Nachlasses durch Hauser & Wirth eine zukunftsfähige Marktpositionierung, die mittelfristig der gesamten konkreten Bewegung zugutekommen wird.

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Was als Ergebnis einer regulären Kanonisierungs- und Marktentwicklung erscheint, war jedoch ein Schweizer Sonderweg. Denn trotz der Verwurzelung dieser Kunst in den 1920er- und 1930er-Jahren war die Nachfrage auf dem Kunstmarkt erst in den 1960er- und 1970er-Jahren auf dem Höhepunkt. Und auch wenn diese lange Durchdringungsphase durchaus mit anderen künstlerischen Bewegungen vergleichbar ist, allen voran mit amerikanischen Positionen der Nachkriegszeit, so gibt es doch einen überraschenden, strukturellen Unterschied. Denn der Markt war in seiner Blüte keineswegs ein Sekundärmarkt, sprich ein Angebot, das durch auf die Märkte zurückkehrende Werke bestimmt wurde, sondern immer noch durch solche direkt aus den Ateliers. 

Ein räumlich begrenzter Primärmarkt

Man darf nicht vergessen, dass im stabileren Kunstmarkt früherer Zeiten die Nachfrage nach bestimmten Strömungen überschaubarer wechselten und die Preise langsamer stiegen. Der Primärmarkt für die Kunst der Konkreten war ausserordentlich saturiert: Die stark theoretisierte Kunst fand intellektuelle Aufnahme in der überdurchschnittlich gebildeten Gesellschaft der Schweiz, deren Sammlerschaft zu den vermögendsten der Welt gehörte (und gehört). Entsprechend begrenzt gestaltete sich die kommerzielle Abnahme der Werke: eine tiefe Nachfrage, die gleichzeitig lokal(-er) begrenzt war. Die ökonomische Situation hatte einen geringeren regionalen Austausch zur Folge gehabt, als er in ökonomischen «Drucksituationen» zu beobachten ist: Gibt es im primären Einzugsbereich nicht ausreichend Nachfrage, sucht sich das Angebot andere Absatzwege oder -regionen; je stärker das Angebot-Nachfrage-Gefälle, desto höher der Druck, neue Kreise zu finden, die man vom Sammeln, sprich zur Abnahme der Werke überzeugen kann. Nicht so bei den Konkreten: Aus den genannten Gründen fand die Primärmarktrezeption entsprechend vor allem in der deutschsprachigen Schweiz, im kulturell eng verwandten Süddeutschland sowie in geringerem Masse in Frankreich und – dank Max Bills Reichweite – in Südamerika statt. Eine stärkere, tiefere Durchdringung anderer Teile der Welt wurde auch dadurch erschwert, dass es im Unterschied zu anderen künstlerischen Bewegungen in den jeweiligen Kulturkreisen sehr ähnliche konstruktive eigene Bewegungen gab, die die nationale Nachfrage bedienten. Hinzu kamen individuelle und marktstrategische Limitierungen. Max Bills Schaffen hatte vermutlich die grösste Gefolgschaft und sein Status als Universalgenie passte zur intellektuellen Haltung dieser Jahrzehnte. Gleichzeitig wurde der Anteil seines architektonischen und gestalterischen Schaffens sowie seine Rolle als Theoretiker und politischer Reformer, auch dank der Ulmer Schule, im Ausland womöglich überzeichnet. Dies mag im Rückblick eine unausgewogene Charakterisierung sein, führte aber wohl zu einem geringeren Ansehen Bills als einer der führenden bildenden Kunstschaffenden seiner Epoche – der Vergleich zu Le Corbusier drängt sich förmlich auf. 

Der politischen Haltung dieser Gruppe von Intellektuellen folgend, gab es zudem von Anbeginn eine ganze Ebene erreichbarer, da multipler Werke, die die künstlerischen Ideen in breite Kreise tragen, ja die Œuvre für «alle» zugänglich und sammelbar gestalten sollten. Doch während es bei Marktgrössen wie Pablo Picasso als positiv angesehen wird, dass es Werke in mannigfaltigen Medien und eine entsprechend grosse Bandbreite von Einstiegspreisen gab und gibt, wurde dies bei den Zürcher Konkreten gewissermassen als Überversorgung angesehen – zumindest dann, als die Nachfrage nach Einzelwerken in den 1980er-Jahren erste Anzeichen von Erschöpfung zeigte. 

Kein Sekundärmarkt?

Die hohe Marktdurchdringung dank Galerieverkäufen an Sammler haben überraschenderweise keinen florierenden Sekundärmarkt geschaffen, zumindest nicht unmittelbar. Bis heute hängt ein Grossteil der konkreten Werke an den Wänden der allerersten Käuferschaft. Spätestens seit den 1990er-Jahren ging die Nachfrage nach der Kunst der Konkreten spürbar zurück, und auch der Zweitmarkt war entsprechend wenig dynamisch. Margit Weinberg-Staber (1931–2024), Absolventin der HFG Ulm und Chronistin zahlreicher Œuvres der konkreten Bewegung, stellte schon 2023 fest: «Die Werke sind heute ziemlich exakt so wertvoll, wie sie auf dem Galeriemarkt vor einem halben Jahrhundert teuer waren.» Sie schätzte, dass konstruktive Gemälde auf dem Primärmarkt im hohen fünfstelligen und niedrigen sechsstelligen Franken-Bereich angeboten wurden. Angela Thomas Schmid, Witwe von Max Bill und Betreuerin wie Erforscherin des Nachlasses, bestätigt dies (und hat mit ihrer Arbeit grossen Anteil an der Preisstabilität für Max Bills Werke gehabt). Das bedeutet einerseits, dass den Konkreten das Schicksal von über 90 Prozent aller Kunstschaffenden erspart bleibt, nämlich dass auf die Galerievermittlung keine Sekundärangebote mehr folgen und die Werke später unverkäuflich sind. Anderseits erfuhren sie aber auch nicht die dynamische Wertentwicklung wie etwa deutsche oder italienische Nachkriegskunst. 

Bekanntlich korreliert die Wertschätzung Kunstschaffender unter anderem mit ihrer institutionellen Präsenz. Zahlreiche Retrospektiven einer nunmehr historischen Bewegung, vor allem aber die Gründung des Hauses für konstruktive und konkrete Kunst (heute Museum Haus Konstruktiv) in Zürich haben diese Kunst in den letzten beiden Dekaden wieder in den Fokus einer zunehmend internationalen Sammlerschaft gebracht – schliesslich darf man die Werke im Ausland auch als Beispiele für Color Field Painting ansehen. 

Eine neue Generation bestimmt die Nachfrage

Und dies nicht nur zweidimensional: Der 1936 nach New York übergesiedelte Schweizer Künstler Fritz Glarner erhielt 1963 den Auftrag, im Apartment von Nelson A. Rockefeller das Speisezimmer zu gestalten. Obgleich die Ausführung an Fresken erinnert, hat sich Glarner für klassische Paneele entschieden – zum Glück für die Nachwelt. Nach einer weiteren Umgestaltung des Raumes aus der Wohnung entfernt, wurde das Ensemble von der Schweizerischen Paul-Büchi-Stiftung angekauft, dem Museum Haus Konstruktiv geschenkt und ist somit heute wieder in seiner Raumwirkung erfahrbar. Nur am Rande sei bemerkt, dass historische Farbfotos des Raums am originalen Ort zeigen, wie das Ehepaar Rockefeller mit der Glarner-Gestaltung und modernem Mobiliar, jedoch gleichzeitig mit vergoldeten Bronzen und dem berühmten Schwanenservice der Manufaktur Meissen eine Melange aus dem 18. und dem 20. Jahrhundert geschaffen hatten, die heutigen Ideen von Eklektizismus perfekt entsprach – vielleicht eine Inszenierungsidee für das Museum Haus Konstruktiv, wenn man den Raum nach erfolgtem Umzug in die neuen Räume im Zürcher Löwenbräu-Areal erneut installiert.

Der Markt der Werke Max Bills hat seit der Jahrtausendwende nicht nur von einem allgemeinen Geschmackswandel hin zur abstrakten Kunst profitiert, sondern auch von den Feiern seines 100. Geburtstags im Jahr 2008 und Erich Schmids Kinofilm «Bill – das absolute Augenmass», welcher die Bandbreite von Bills Werk einem weit grösseren Publikum bekannt gemacht hat. Das Gesamtwerk von Verena Loewensberg rückte mit viel beachteten Retrospektiven in Winterthur (zum 100. Geburtstag der Künstlerin) und im Mamco Genf ins Blickfeld. 

Heute beweisen die Werke der konkreten Kunst in den Museen der Welt, aber auch in privaten Sammlungen ihre Aktualität. Diese Kunst hat eine Botschaft, sie ist universell, attraktiv und besitzt internationale Strahlkraft. Die anhaltende Folge von Ausstellungen in internationalen Institutionen und ein stabiles, zuweilen erneut steigendes Preisniveau für die Werke der Zürcher Konkreten sind die logische Folge.

Buchtipp

Schnörkellos und rational 

Auf dem Kunstmarkt schlagen sie wieder Wellen. Im internationalen Vergleich sind sie noch unterbewertet: die Zürcher Konkreten. Ein neues, bildstarkes Buch erzählt, wie sich die Schweizer Modernen gegen Widerstände durchsetzten und was sie heute relevant macht. «Kreis! Quadrat! Progress!», Thomas Haemmerli und Brigitte Ulmer (Hrsg.), Verlag Scheidegger & Spiess, 49 Franken, 336 Seiten.

«Kreis! Quadrat! Progress!»
Quelle: ZVG

Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der «Handelszeitung», erschienen (Juni 2024).