In den sozialen Medien bekamen Hillary-Clinton-freundliche Journalisten, die sich mit Sarkasmus über den für sie überraschenden Sieg von Donald Trump äusserten, am Mittwoch rasch Gegenwind: Es sei genau diese «Die wissen ja nicht, was sie tun»-Veralberung seitens der Medien, die die Trump-Fans mobilisiert habe. Nach dem Motto: Jetzt zeigen wir es denen mal! Sind also die angeblich linksliberalen, überheblichen Medien mitverantwortlich für den Durchmarsch des Republikaners?
«Es wäre zu einfach, den Medien die Schuld an diesem Wahlsieg zu geben, aber Donald Trump ist der grosse Profiteur einer veränderten Medienwelt, eines Zusammenspiels und Ineinandergreifens von verschiedenen Entwicklungen», sagt Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Verstörende Komplizenschaft
«Zum einen wird der klassische Journalismus schwächer, die Durchschlagskraft seiner Enthüllungen nimmt ab. Breite Kreise begegnen den etablierten Medien mit Misstrauen und Skepsis und ziehen sich in ihre Selbstbestätigungsmilieus zurück», sagt Pörksen. «Zum anderen gibt es eine verstörende Komplizenschaft zwischen dem Fernsehen und Populisten: Man feiert den Pöbler durch Dauersendungen, belohnt seine Aggression mit Aufmerksamkeit, schenkt ihm dadurch Werbezeit, um seine Ansichten zu propagieren.»
Pörksen, Autor des Buches «Der entfesselte Skandal», gibt ausserdem zu bedenken, dass dies der erste US-Wahlkampf unter den Bedingungen des digitalen Kontrollverlustes gewesen sei: «Durchgestochene Mails und Videos haben diesen Wahlkampf in eine Schlammschlacht verwandelt und ihm immer neue Wendungen beschert», sagt der Medienwissenschaftler. «Von einer solchen Verpöbelung des Diskurses und der allgemeinen Verunsicherung profitiert ein radikaler Populist, der lauthals verspricht, dass nun alles ganz anders und besser werde.»
Unverhältnismässige Aufmerksamkeit
Auch die beiden Kommunikationswissenschaftler Bastian Kiessling und Jan Schacht vom International Media Center der HAW (Hochschule für Angewandte Wissenschaften) Hamburg stellten einen klaren Aufmerksamkeitsfokus auf Trump fest. In einer Studie zum «Medienphänomen Trump» werteten sie mehr als 10'000 Artikel während der finalen Wahlkampfphase in den reichweitenstärksten Medien der USA und Deutschlands aus.
Sie sagen: «Unsere aktuellen Forschungsergebnisse belegen eindeutig, dass die wichtigsten US-Medien in der letzten Wahlkampfphase unverhältnismässig stark über Donald Trump berichtet haben. Diese prominente Berichterstattung hat indirekt zu seinem Wahlerfolg beigetragen, indem seine Botschaften stärker als die von Clinton verbreitet wurden.»
Kiessling und Schacht fanden heraus, dass Trumps Kandidatur das Hauptthema in rund zwei Dritteln der Berichte zu den Wahlen war. Nur ein Viertel der untersuchten Artikel in US-Medien rückte Clintons Kandidatur ins Zentrum. «Die Skandalisierung von Trumps sexistischen Kommentaren hat den republikanischen Präsidentschaftskandidaten verstärkt in den Medienfokus gerückt. Die starke mediale Kritik an seinem Verhalten haben mit Blick auf die Wahlergebnisse sicherlich nicht alle Wähler geteilt.»
Hilflose Versuche, sachlich zu berichten
Die Medienwissenschaftlerin Joan-Kristin Bleicher von der Universität Hamburg meint dagegen: «Aus meiner Sicht sind die Medien nicht schuld am Wahlsieg, sondern eher die Wähler, die an die berühmten Kälber erinnern, die sich ihren eigenen Schlachter wählen. Eine überhebliche Berichterstattung habe ich nicht beobachtet, sondern eher fast hilflose Versuche, diesen unsäglichen Wahlkampf noch einigermassen sachlich zu vermitteln.»
Haben womöglich sogar fiktive Formate wie die Netflix-Serie «House of Cards», die ein durchtriebenes Establishment zeigt, manchen bestärkt, für Trump zu stimmen, der von vielen nicht als Teil der etablierten politischen Elite gesehen wird? Dazu sagt Bleicher nur knapp: «Ich glaube kaum, das Trump-Wähler «House of Cards» sehen. Ausserdem ist eine derart starke Medienwirkung unwahrscheinlich.»
Nach dem Trump-Triumph wurden jedenfalls schnell Vergleiche zum Brexit-Votum gezogen: Das Ja der Briten zum EU-Austritt im Juni schien für viele Medien genauso plötzlich zu kommen wie jetzt der Sieg von Donald Trump. Geht das 2017 so weiter? Wird dann die Rechtspopulistin Marine Le Pen in Frankreich Präsidentin? Und was heisst das für die Bundestagswahl in Deutschland?
(sda/ccr)