Bernard Arnault ist nicht zu bremsen. Kaum hatte Europas reichster Mann die Hermès-Erben überrumpelt und sich als gewichtiger 20-Prozent-Gast an den Familientisch der Aktionäre geladen, holte der LVMH-Patron zum nächsten Schlag aus. Anders als die widerspenstigen Hermès-Nachkommen zierten sich die Bulgari kaum. Der satte Aufschlag von über 50 Prozent zum aktuellen Marktwert war einfach zu verführerisch.
Doch auch für den Konzern geht die Rechnung auf, wie etwa Hublot-Chef Jean-Claude Biver analysiert. Biver, seit dem Verkauf von Hublot 2008 an LVMH selber im Solde des Luxuskonzerns, sieht den Schmuck- und Uhrenbereich von LVMH in eine «neue Dimension» gerückt. Deutlicher formuliert es Scilla Huang Sun, Managerin des Luxusfonds der Bank Julius Bär: «Mit Bulgari erreicht LVMH endlich eine kritische Grösse sowie eine höhere Präsenz als globaler Player im hochpreisigen Schmuck- und Uhrenbereich.» Ohnehin gehöre LVMH mit Richemont und der Swatch Group zu den drei «Gorillas im Luxusmarkt», die «gut geführt und sehr global sowie profitabel» seien – mit Kronjuwelen wie Louis Vuitton, Cartier und Omega.
Klar ist nach dem Bulgari-Deal Anfang März, wer die drei Uhrenkönige des Landes sind: Nick Hayek gebietet mit der Swatch Group über das grösste Uhrenreich und legte eben das beste Ergebnis der Konzerngeschichte hin. Sein Imperium mit 6,44 Milliarden Umsatz (plus 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) umfasst Schätze wie die Prestigemarken Breguet und Omega. Aber auch höchst rentable Marken mit gewaltiger Produktion wie Longines oder Tissot. Tissot allein, so frotzelte Hayek jüngst an einer Pressekonferenz, mache mehr operativen Gewinn als die gesamte Uhrensparte von LVMH. Bezeichnend für den Zustand der Swatch Group: Vor wenigen Tagen setzte die Bank Vontobel ihre Aktienempfehlung für Swatch von «Halten» auf «Kaufen» herauf.
Johann Rupert ist ein weiterer Platzhirsch der Branche. Unter seinem Richemont-Dach finden sich Marken wie die Konzernlokomotive Cartier oder die Luxusmarken Jaeger-LeCoultre, A. Lange & Söhne, IWC und Panerai. Konsequent hat die Gruppe die uhrmacherische Kompetenz ihrer Marken stetig erhöht und auch die Fertigungstiefe nachhaltig gesteigert. Cartier etwa (siehe Artikel auf Seite 92) spielt uhrmacherisch heute in der obersten Liga und präsentierte an der Genfer Uhrenmesse mechanische Preziosen der Spitzenklasse, zum Beispiel die neue Astrotourbillon mit einem Tourbillon als Sekundenzeiger. Das Konzernproblemkind, die beliebig gewordene Volumenmarke Baume & Mercier, erhielt eben ein neues, straffes Marketingkonzept und tritt mit einer klaren Botschaft auf. Und auch die jüngste Acquise, die Glamourmarke Roger Dubuis, wurde auf eine neue Basis gestellt. In den ersten neun Monaten des aktuellen Geschäftsjahres, das bei Richemont am 31. März zu Ende geht, setzte der Konzern 5,4 Milliarden Euro um.
Der dritte Uhrenkönig ist Bernard Arnault, er dirigiert mit seiner LVMH einen Konzern mit 20 Milliarden Euro Umsatz – das mit Abstand grösste Luxusreich im Trio. Im Uhren- und Schmuckmarkt aber war er bisher vergleichsweise ein Zwerg. Der Bulgari-Coup macht ihn im Wachstumsmarkt Markenschmuck zur globalen Nummer drei, hinter Cartier und Tiffany. Dazu erhält er, was oft unterschätzt wird, neue uhrmacherische Kompetenz: Bulgari hatte mit dem Zukauf der Boutiquenmarken Daniel Roth und Gérald Genta sowie einiger Zulieferfirmen eine respektable Fertigungstiefe erreicht, heute ein wichtiges Asset in der Branche. Und ganz generell hat LVMH in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben punkto Uhren gemacht. Mit Hublot ist 2008 eine Marke ins Portefeuille gekommen, die – einst ziemlich verschnarcht – von Jean-Claude Biver zum Luxusturbo umgebaut worden war. Und bei Zenith, wo der einstige Champagnerverkäufer Thierry Nataf zu lange glücklos auf exaltierten Glamour gesetzt hatte, brachte mit Jean-Frédéric Dufour ein neuer CEO Ernsthaftigkeit und Vertrauen zurück und setzte auf die soliden alten Werte, vorab auf das legendäre El-Primero-Kaliber. Weiter ist auch TAG Heuer im Boot, ein Riese, der nach BILANZ-Schätzung allein 620 000 Uhren baut.
Klar, dass man die LVMH-Uhren- und -Juwelengruppe zunehmend ernst nehmen muss, wie Swatch-Patron Nick Hayek bestätigt: «Wir haben sie immer ernst genommen», sagt er gegenüber der BILANZ. «Vergessen Sie nicht – das sind auch sehr gute Kunden von uns.» Bei der Swatch Group habe man zudem stets betont, «dass wir das Engagement einer Gruppe wie LVMH vor allem im Uhrenbereich als sehr positiv ansehen».
Der letzte Satz ist typisch für den Umgang der drei Uhrenkönige untereinander: Man respektiert sich. Dabei könnte man unterschiedlicher kaum sein.
Da ist der Nonkonformist Nick Hayek, Jahrgang 1954, der lieber einmal eine Piratenfahne vors Büro als eine Krawatte um den Hals hängt und vor einem Fight mit der Grossbank UBS nicht zurückschreckt. Der begeisterte Helikopterpilot und frühere Regisseur hat nach und nach die Kritiker zum Verstummen gebracht, die in ihm zunächst nur den Filius und Protégé von Papa Nicolas G. Hayek sehen wollten. Heute bezweifelt kein Mensch mehr, dass der Mann seinen Laden im Griff hat.
Bernard Arnault, Jahrgang 1949, ein feinfühliger Franzose, wäre ganz gerne Pianist geworden und ist in zweiter Ehe denn auch mit der Konzertpianistin Hélène Mercier verheiratet. Der studierte Polytechniker und Sohn eines Bauunternehmers hatte sich als junger Mann in einem ersten kühnen Coup den faillierten Textilkonzern Boussac (und damit die Rechte an Christian Dior) unter den Nagel gerissen und langsam ein gewaltiges Luxuskonglomerat mit Weinen und Spirituosen, Mode und Lederwaren, Parfum und Kosmetika sowie Uhren und Schmuck aufgebaut. Seine Marken lässt er autonom und unabhängig führen, oft von einem Duo mit einem Finanzer und einem Kreativen an der Spitze, bei Dior etwa Sidney Toledano und der eben gefeuerte John Galliano.
Börsenstars
Johann Rupert schliesslich, Jahrgang 1950, ist der Diskreteste von allen. Er hat den grössten Tabakkonzern der Welt, den sein Vater Anton quasi aus dem Nichts erschaffen hatte, erfolgreich in den Luxus diversifiziert. Johann Rupert, vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zum Offizier der Ehrenlegion ernannt, war schon von 2002 bis 2004 Richemont-CEO, 2009 übernahm er das Ruder wieder. Der Vater dreier erwachsener Kinder, der auch auf eine Karriere als Investment Banker zurückblickt, gilt als Patriot und als «Warren Buffett Südafrikas». Die Ruperts sollen die ersten Unternehmer Südafrikas gewesen sein, die weisse und schwarze Arbeiter gleich bezahlten.
Erfolgreich sind sie alle drei. Und alle legten letztes Jahr deutlich zu. LVMH erreicht heute mit 54 Milliarden Euro eine Marktkapitalisierung, die sogar den Stuttgarter Daimler-Konzern klar übertrifft. Der Aktienkurs verdoppelte sich in den letzten zehn Jahren, während Daimler faktisch stagnierte. Noch stärker stiegen aber die Börsenkurse der Konkurrenten Swatch und Richemont.
Für Bulgari ist die Adoption durch die LVMH-Familie ein würdiges Finale ihrer 125-jährigen Autonomie. Der Gründer Sotirio Bulgari war Abkömmling einer Silberschmiededynastie aus dem nordgriechischen Kalarytes, der sich in Rom einen Namen als Juwelier machte. Bei Bulgari war die Woolworth-Erbin Barbara Hutton vor dem Zweiten Weltkrieg ebenso Kundin wie Mussolinis Tochter Edda. Auch Schauspielerin Liz Taylor frequentierte die Boutique; das einizige italienische Wort, das sie verstehe, sei Bulgari, witzelte Richard Burton gerne. Die Fertigung von Armbanduhren nahm Bulgari Ende der vierziger Jahre mit den berühmten Schlangenarmbändern auf. Herrenuhren kamen erst 1975 dazu. Leadmodell war die von Gérald Genta entworfene Bulgari Bulgari mit dem auf die Lünette gravierten Namen.
1995 quartierte sich Bulgari in Neuenburg im alten Fabrikationsgebäude des eingegangenen Grossuhrenherstellers Favag ein und fasste so Fuss in der Schweiz. Was bescheiden mit einem T2-Betrieb anfing, also mit dem Setzen von Zifferblättern und Zeigern sowie dem Einschalen der Werke, entwickelte sich sehr dynamisch, nachdem CEO Francesco Trapani Bulgari 1995 an die Börse gebracht und sich damit neues Geld beschafft hatte. Trapani katapultierte Bulgari im Jahr 2000 mit dem Erwerb der Highend-Spezialisten Daniel Roth und Gérald Genta zunächst uhrmacherisch in eine andere Umlaufbahn. Danach kaufte er mit Finger Création, Cadrans Design (50 Prozent), Prestige d’Or (51 Prozent) und Leschaux Produktionstiefe auf der Habillage-Seite dazu. Habillage nennt man in der Branche alles, was nicht direkt mit dem Werk zu tun hat, also vor allem Bänder und Gehäuse. Die Folge: 2006 erwirtschaftete Bulgari mit den Uhren 30 Prozent des Gesamtumsatzes (268 Millionen Euro).
Dass die Krise Bulgari mit ihrer starken Ausrichtung auf den seit Jahren schwächelnden japanischen Markt bös erwischte, war kein Geheimnis. Ebenso wenig, dass Bulgari ein Übernahmekandidat war. Um den künftigen Bräutigam zu überzeugen, genierte sich Francesco Trapani nicht im Geringsten, Bulgaris Reize konzentriert zu zeigen. Die Ausstellung «Bulgari 125 ans de magnificence italienne» im Pariser Grand Palais vom 10. Dezember 2010 bis zum 12. Januar 2011 muss auf Arnault absolut verführerisch gewirkt haben. Er zückte sein Portemonnaie.
Markensammler
Für LVMH war es aber mehr als nur das Erlebnis des verführten Verführers. Es war die Revanche für die vor elf Jahren erlittene Abfuhr beim Buhlen um die Uhrengruppe LMH (Les Manufactures Horlogères mit Jaeger-LeCoultre, IWC, A. Lange & Söhne). Vodafone hatte nach der teuren Mannesmann-Übernahme die Uhrenfirmen im Portefeuille gefunden und umgehend zum Verkauf angeboten. Richemont setzte sich damals gegen Arnault durch und gelangte mit einem Schlag zu einer strategischen Position in der Schweizer Uhrenindustrie.
Angefangen hatte Richemonts Aufstieg mit dem Erwerb von Cartier (in Raten, die letzte 1979), gefolgt vom Ankauf von Baume & Mercier und Piaget Anfang der neunziger Jahre sowie 1996 vom Erwerb von Vacheron Constantin. Der Erwerb der LMH kostete Richemont gegen 2,8 Milliarden Franken. Dazu kamen 280 Millionen für den Zugriff auf den 40-Prozent-Anteil an Jaeger-LeCoultre, den Audemars Piguet in der Uhrenkrise erworben hatte. Bei der Musterung der Beute gab es eine freudige Überraschung: Es war nicht die Manufaktur Jaeger-LeCoultre, deren Wert und industrielle Substanz allen geläufig war. Überraschend war vielmehr das Potenzial, das die Schaffhauser Marke IWC bot. Hier hatte Günter Blümlein mit seiner Marketing-Crew das Terrain für eine grosse Zukunft präpariert.
Für den weitsichtigen Geschäftsmann Rupert war die Übernahme aber erst der Anfang. Er verordnete seinem Konzern neben starken Vertriebsstrukturen im Ausland den Ausbau der Fertigungstiefe bei Werken und Gehäusen. So erwarb Richemont den Habilleur Donzé-Baume sowie den Zifferblattfabrikanten Stern und schuf mit Valfleurier ein eigenes Produktions- und Konstruktionszentrum für Werke. Cartier und Vacheron Constantin gingen den Veredelungsweg individuell. Der Konzern ist mittlerweile längst viel mehr als eine Sammlung klingender Markennamen. Der Konzern hat heute in der Schweiz industrielles Gewicht. Der Jahresumsatz (per Ende März 2011) dürfte gut acht Milliarden Franken erreichen.
«Beau fixe» in Basel
Die Swatch Group mit ihrer fundamentalen industriellen Tiefe erreicht einen Jahresumsatz von 6,44 Milliarden Franken – der Konzern ist mit der ETA der grösse Werkhersteller in der Schweiz und fertigt bis zum Federstahl alle nötigen Komponenten für eine Uhr selber. Die aus der Fusion der SSIH und der Asuag entstandene Gruppe hat mit Omega und Tissot heute wieder zwei gewaltige Umsatzträger im Portefeuille. Swatch hat neben ihrer überlegenen industriellen Basis den unschlagbaren Vorteil, im mittleren Segment gleich mit einer ganzen Reihe starker Marken anzutreten. Neben Tissot und Certina sind das vor allem Rado, Hamilton und Longines. Sie stehen weltweit für Schweizer Präzisionsmechanik und Status und sind erschwinglich für die aufstrebenden Schichten in den Emerging Markets. Polen etwa ist für Certina ein wichtiger Markt.
Swatch war auch sehr früh in China. Longines-Chef Walter von Känel beklagt sich gerne, dass er seine Leber beim Schnäpseln mit den Chinesen ruiniert habe. Er bereiste die Volksrepublik, als noch niemand auf die Idee kam, China einen Emerging Market zu nennen. Für Omega ist China heute mit Abstand der wichtigste Markt.
Richemont, und da vor allem Cartier, gab ebenfalls früh Gas in China. TAG Heuer, die wichtigste Uhrenmarke im LVMH-Konzern, kam hingegen sehr viel später, büsste zwischenzeitlich die starke Ausrichtung auf das US-Geschäft ein und muss nach wie vor nachholen. Auch im Schmuckgeschäft, das weltweit noch die grössten Reserven für Markenerzeugnisse hat, liegt Richemont klar vorn. Cartier, von Bernard Fornas mit grösster Umsicht geführt, hält derzeit einen grossen Vorsprung. Daneben pflegt Richemont die Joaillerie noch mit Van Cleef & Arpels sowie mit Piaget.
Die Branche, die sich dieser Tage in Basel präsentiert, freut sich über ein Allzeithoch – «beau fixe», nennt es Jean-Claude Biver. Man profitiere vom Wachstum der Emerging Markets wie Südamerika, China, Brasilien und Russland. «Wir haben», sagt Biver für die ganze Branche, «viele Erfolgsjahre vor uns.» Denn in diesen Ländern wachse die Bevölkerung, die sich Uhren leisten könne, massiv. Und diese Leute liebten es, Status, Geschmack, Erfolg und Exklusivität mittels ihrer Schweizer Uhr demonstrieren zu können. Es sei durchaus denkbar, sagte auch Nick Hayek kürzlich, dass seine Swatch Group in drei Jahren die Zehn-Milliarden-Umsatz-Grenze knacken werde. Er kündigt die Schaffung von 1000 neuen Arbeitsplätzen an. Tatsächlich ist das Wachstum vorab in China atemberaubend. Die Exporte nach China legten um 57 Prozent zu, nach Hongkong um 47 und nach Russland um 45 Prozent.
Nicht einmal die derzeitigen Ereignisse in Japan vermögen ob solcher Zahlen den Branchenoptimismus zu schmälern. Egal, ob Swatch, LVMH oder Richemont-Gruppe, man zeigt sich zwar betroffen vom Ausmass der Katastrophe und von den Folgen für die Menschen in Japan, nachhaltig aber, so sagen unisono alle Sprecher, werde sie wenig Folgen für die Schweizer Uhrenbranche haben. Im schlimmsten Fall, so glaubt Luxus-Fondsmanagerin Scilla Huang Sun, würden die Luxusumsätze um drei bis fünf Prozent fallen. Viele Luxusaktien hätten aber bereits um zehn Prozent korrigiert.
Mit anderen Worten: Für die Uhrenbranche kann es nur aufwärtsgehen.