Auf dem Beifahrersitz den jungen Liebhaber Renzo, kurvt die blasierte Industriellengattin Anna Molteni in ihrem offenen Rolls-Royce aus Mailand hinaus. Sie baut einige kleine Unfälle, übergibt schliesslich Renzo das Steuer, der aber seinerseits einem Strassenkind ausweichen muss und auf einen geparkten Traktor prallt. Anna stoppt kurzerhand einen anderen Kavalier mit Sportwagen und lässt den enttäuschten Liebhaber zurück.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Renzo hiess im wahren Leben Marcello Mastroianni, die Anna gab Sofia Scicolone, als Künstlerin bekannt als Sophia Loren. Die Szene begab sich im Episodenfilm «Gestern, heute und morgen» von 1963, inszeniert von Vittorio De Sica, produziert von Lorens Ehemann Carlo Ponti.

Temporärkennzeichen aus Paris

Eine rein italienische Hervorbringung also – umso amüsanter, dass der dunkelblaue Rolls-Royce Silver Cloud III Drophead im Film gut sichtbar ein französisches Kontrollschild, genauer ein Temporärkennzeichen aus Paris, spazieren fährt. Die Erklärung ist so drollig wie einfach: Erst am 25. September 1963 war der Rolls ausgeliefert worden – von der Pariser Niederlassung direkt ins Luxushotel Lancaster in der Rue de Berri. Besteller war Carlo Ponti, als erste Besitzerin ist beim Werk eine Sofia Scicolone eingetragen. Das Ehepaar hatte kurzerhand das private Luxuscabrio als Requisite genutzt – und für die Szenen nach der Begegnung mit dem Traktor einen eigens angefertigten Kotflügel mit Beulen montiert.

Das französische Kennzeichen «4677 TTB 75» trägt der Rolls übrigens bis heute, die grauen Lederbezüge und das goldbraun glänzende Edelholz sind perfekt restauriert. Wann und warum sich die Loren von ihrem Auto getrennt hat, ist nicht bekannt.

Heute steht der Rolls jedenfalls im liechtensteinischen Eschen, in einem rot verklinkerten Gebäude, vollgestopft mit unsichtbarer Überwachungs- und Sicherheitstechnik. Fünf Jahre lang hat der Liechtensteiner Treuhänder Norbert Seeger an seinem «Tresorgebäude» gebaut und es 2016 zur Eröffnung «Stabiq» getauft. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat Seeger die womöglich umfangreichste, mit Sicherheit aber kompletteste und spektakulärste Rolls-Royce-Sammlung der Welt aufgebaut.

Diverse «One-offs»

Zu den Schmuckstücken in Seegers schmuckem Gebäude, dessen Front mit senkrechten Streben einen Rolls-Royce-Grill zitiert, gehören diverse «One-offs»; Unikate, die die Briten nur ein einziges Mal so gebaut haben. Etwa der Rolls-Royce Phantom II von 1933 mit seiner damals neuartigen, Coupé-artig flachen Frontscheibe und der mit hellbraunem Geflecht verzierten Kabine, der bei zahlreichen Oldtimer-Paraden prämiert wurde und so zum Preiskönig der Sammlung avanciert ist. Sogar eine eigene Briefmarke hat dieses Auto, herausgegeben 2014 von der Philatelie Liechtenstein mit dem standesgemässen Nennwert von 85 Rappen.

Ein weiteres Unikat der Superlative fährt in ungewöhnlich hellgrauer Lackierung vor; ein Phantom III von 1937, den sich Deutschlands Kriegsaussenminister Joachim von Ribbentrop in Berlin bei Voll & Ruhrbeck hatte aufbauen lassen – klassisch kamen bei allen Rolls nur Motor und Chassis vom Werk, die Aufbauten aber von externen «Coachbuilders» wie Mulliner oder James Young. Das Kontrollschild «HZ 36 100» weist noch auf den geplanten Einsatzzweck hin: HZ steht für Heereszentrale. Doch schon kurz nach der Zulassung verbot Hitler seinem Minister, den Wagen zu nutzen – schliesslich war es immer noch ein britischer Rolls, und Hitler wollte deutsche Produkte auf den Strassen sehen.

Geradezu ausserirdisch sitzt es sich im «Märchenschloss» des britischen Küchenfabrikanten George Albert Moore. Mit Baujahr 1990 ist dieser Phantom VI zwar kein echter «Classic Car», doch die Karosse zitiert gekonnt die traditionellen Formen und wäre auch dreissig Jahre früher nicht als futuristisch bestaunt worden. Ausser vielleicht von Insassen: Nicht weniger als 118 Sonderausstattungen liess sich der Kunde einbauen, der den Rolls als rollendes Büro nutzte; links hinten findet sich ein Bedienpanel mit Lichtschaltern, daneben ein elektrischer Bleistiftspitzer. Jeweils vorn und hinten lassen sich auf den Stossstangen zwei «Picknick Stools» aufstecken, 
im Kofferraum wartet ein Picknickkorb, bestückt mit feinem Geschirr, und auf dem Kotflügel kann der Chauffeur den Herrschaften ein Party-Tablett befestigen. «Nie gab es mehr Spezifikationen an einem Rolls-Royce», sagt Norbert Seeger.

Speaking of Klischees

Zwischen den Raritäten steht auch ein silberfarbener Silver Cloud III, der in dieselbe Baureihe gehört wie das dunkelblaue Sophia-Loren-Cabrio: Mit jenem Silver Cloud fing für Seeger alles an. Ein Kunde hatte ihn als Sicherheit für ein Geschäft bei Seeger deponiert, rund 30 Jahre dürfte das zurückliegen. Der Kunde wurde zahlungsunfähig und machte Seeger so zum Rolls-Royce-Besitzer – eine Geschichte wie aus dem Klischee-Handbuch für Treuhänder.

Speaking of Klischees – einen Liechtensteiner Treuhänder stellt man sich gemeinhin wohl in dieser Art vor: mit Anzug und Krawatte, seriös zurückgewichenem Haaransatz, freundlich und höflich, zurückhaltend bis zur Schweigsamkeit, sparsam im Umgang mit Humor und Emotion, Träger eines fürstlichen Verdienstordens und Honorargeneralkonsul eines Kleinstaates, Betreiber eines eigenen Geldspeichers und Sammler wertvoller Preziosen.

All das trifft auf Seeger zu. Doch dass der Mann einige Stereotypen erfüllt, heisst noch lange nicht, dass er ein Klischee ist. Emotionen sind durchaus vorhanden – aber Bahn brechen sie sich vor allem dann durch die Anwaltsmiene, wenn er von seinen Autos erzählt. Zum Beispiel von der allerersten Ausfahrt.

«Da war der Virus plötzlich in mir drin»

Den Silver Cloud, zu dem er wie die Jungfrau zum Kinde kam («ich war bis dahin in keiner Weise autoaffin»), liess er über Jahre in der Garage stehen und nur die Services erledigen, bis er sich kurz entschlossen selber einmal ans Steuer setzte. «Und da hat mich die Faszination gepackt, von da an war der Virus in mir drin», sagt er. «Die Perfektion der Komponenten, das Holz, das Leder, die tadellose Funktion der Technik, das hat mich wirklich begeistert.»

Immerhin stammt das Auto aus dem Jahr 1964, und als Seeger erstmals einstieg, waren bereits drei Jahrzehnte vergangen. Bis dahin war er in den üblichen Mercedes-Limousinen umhergefahren. Nun war der Sammler Norbert Seeger geboren. Er legte sich den einen und anderen Rolls zu – die Briten mit ihrem Anspruch, stets das Beste zu liefern, passten zu seinen Vorstellungen von Qualität und Ästhetik. Bald aber stellte er sich, strategisch-methodischer Juristendenker, der er nun mal ist, eine Frage: Wie und wohin soll sich die Sammlung entwickeln?

Zur Juristerei hatte Seeger erst über ein Zweitstudium gefunden: Er entwickelte während seines Wirtschaftsstudiums in St. Gallen Interesse am Rechtswesen und addierte deshalb vier weitere Semester an der Uni Bern, sodass er letztlich drei Abschlüsse erwarb, weil er in Bern anschliessend über ein gesellschaftsrechtliches Thema doktorierte. 1984 erwarb der gebürtige Liechtensteiner das Anwaltspatent. Gründete eine gut gehende Advokatur und ein Treuhandbüro, stieg nach der Finanzkrise ins Geschäft mit Prozessfinanzierung ein, wo er hierzulande heute als führend gilt, baute schliesslich Stabiq, weil er «ein Bedürfnis nach Privatsphäre ausserhalb der Bankbeziehung» erkannte. Mit Werkzeug für logisches Denken und Deduktion war er also ausreichend gerüstet.

Zwei klare Ziele

Und so formulierte er zwei klare Ziele: Die Sammlung sollte erstens die gesamte Produktionsgeschichte abbilden, nicht nur für Rolls-Royce, sondern auch für Bentley – zumindest insoweit Bentley ab 1931 unter das Dach der damals grösseren Rolls-Royce geschlüpft war. Und er wollte zweitens die gesamte Phantom-Reihe zusammenstellen, etwas, was noch keinem gelungen war.

Die sechs klassischen Phantoms I bis VI, gebaut von 1925 bis 1991, bildeten die Spitze des Schaffens der Briten, gern als Karossen für Könige genutzt. Parademodell ist der Phantom IV, der nur für Mitglieder eines Königshauses gefertigt wurde, besonders des englischen, aber auch des spanischen, oder den Schah von Persien – Normalsterbliche konnten ihn gar nicht erst bestellen. Nur 18 Exemplare wurden überhaupt gebaut.

Seeger trat einschlägigen Clubs bei, insbesondere dem Rolls-Royce Enthusiasts’ Club, und vernetzte sich mit Händlern, Sammlern und Markenfans, «dann bekommt man nach einer gewissen Zeit mit, wo welches Fahrzeug in England, den USA oder sonst wo zum Verkauf steht», sagt er – die meisten Verkäufe gehen unter der Hand vor sich, ausserhalb der Auktionshäuser, unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ersteigert hat Seeger Autos zwar «auch schon», aber das sei die Ausnahme geblieben. Am liebsten kaufte er die Autos so, wie sie in seiner Sammlung stehen: in Topzustand und fahrbereit, möglichst auch noch mit einer illustren Auto-Biografie ausgestattet, wie eben der Film-Rolls der Loren oder der Royal-Rolls von Prinzessin Margaret mit Wappen am Dach.

Brokatbezüge aus Deutschland

Ein Modell, bei dem die Geschichte, aber nicht der Zustand stimmte, ist der Bentley Mark VI, den der Maharadscha vom westindischen Baroda 1947 bei Karosseriebauer Mulliner mit Sitzbezügen aus Brokat ausstaffieren liess. Das Auto war für seinen englischen Landsitz gedacht, und Coachbuilder wie Mulliner tendierten dazu, sämtliche Sonderwünsche zu erfüllen. Man liess sich ja gut bezahlen.

Dieses Auto kaufte Seeger unrestauriert, mit normalen Sitzbezügen ausgestattet. Vom ursprünglichen Brokatüberzug hatte er jedoch gewusst und einen Brokatstoff gekauft – bis der Restaurator beim Zerlegen der Sitze auf eingenähte Muster der originalen Bezüge und Ledereinfassungen stiess. Seeger begann daraufhin zu recherchieren, wo er diesen Brokat würde bekommen können. Eine Club-Bekanntschaft wusste weiter: Eine kleine Firma in Deutschland, die ansonsten Wandbezüge für Burgen und Schlösser fertigt, stellte ihm den Originalbezug her. Heute glänzt sein Brokat-Bentley originalgetreu – doch allein das Nachbilden der Sitze verlängerte die Restauration um ein volles Jahr.

Ganz der verschwiegene Treuhänder

Kaufpreise, Schätzwerte, Vorbesitzer oder Verkäufer seiner Autos, Namen seiner Bekannten aus der Oldtimer-Szene – darüber spricht Seeger nicht, ganz der verschwiegene Treuhänder. Klar: Es gibt keine transparenten Marktpreise. Auktionsergebnisse vergleichbarer Fahrzeuge legen nahe, dass die Preise für Glanzstücke wie den Prinzessinnen-Phantom oder Lorens Cabrio durchaus zwei Millionen Franken erreichen dürften.

Honorargeneralkonsul ist Seeger übrigens tatsächlich: für Mazedonien. Und selbst die Sache mit dem Geldspeicher trifft halbwegs zu. Seine Sammlung nimmt im Stabiq nur zwei von sieben Stockwerken ein, den Rest belegen zu einem grossen Teil «Wertschutzräume», die er an Kunden vermietet. Entgegen seinen Erwartungen, wonach die kleinen mit acht oder zwölf Quadratmetern die grösste Nachfrage finden würden, gingen die grossen Räume am schnellsten weg: Der erste vermietete Raum, zugleich der grösste, bietet mit 350 Quadratmetern so viel Fläche wie ein kleines Baugrundstück. Dafür dürfte eine gute halbe Million Franken Mietkosten pro Jahr fällig werden. Plus Mehrwertsteuer.

Mechaniker der alten Schule

Nur wenn Seeger zugleich die Einstellgüter versichert oder sie im offenen Zollfreilager unterbringt, weiss er genau, was die Kunden bringen. Aber zumeist lagern wohl in grösseren Räumen Skulpturen und Kunstsammlungen, in kleineren eher Schmuckstücke oder Edelmetalle. Auch für Classic Cars anderer Sammler sei Platz im Gebäude – einen eigenen Mechaniker beschäftigt Seeger ohnehin: Der Vorarlberger Klaus Tschabrun kümmert sich neben Fremdfahrzeugen um die Seeger-Collection, wartet und pflegt die Autos.

Als klassisch ausgebildeter Automech mit Meisterbrief kann er noch Zylinderköpfe zerlegen und Vergaser einstellen, aber «die Autos sind in Topzustand, meistens fallen nur Servicearbeiten an». Dafür «muss» er die Autos immer wieder fahren, damit keine Standschäden auftreten. Man kennt ihn inzwischen in der Gegend, und Oldtimer haben keine Neider, sondern nur Freunde, weiss Tschabrun. «Die Leute sind alle sehr nett auf den Strassen, und meistens bekommt man Vortritt.»

«Bewahren und weitergeben»

Am liebsten bewegt Seeger seine Autos selber. Die Vorkriegsmodelle bekommen alle drei Monate Auslauf, andere alle sechs Wochen – das kostet Zeit, und die üblichen Schönheitswettbewerbe der Oldtimer-Szene wie jener beim Grandhotel Villa d’Este wollen ja auch besucht werden: Hier ergeben sich nicht nur Freundschaften, hier lässt sich auch der eine oder andere Neukunde für Advokatur oder Tresorgebäude akquirieren.

Dass seine Sammlung sozusagen fertig ist, belastet das Sammlerherz in Seeger nicht – weitere Fahrzeuge regelmässig zu bewegen, liege zeitlich gar nicht drin. Und seine mit juristisch klarer Strategie zusammengestellte Sammlung zu verwässern, wäre wenig sinnvoll. Wertzuwachs oder Kaufofferten, sagt er, könnten ihn kaum locken: «Ich möchte die Sammlung bewahren und weitergeben.» Und wenn er zugibt, dass er seine drei Töchter, die jüngste Anfang zwanzig, ohne Wimpernzucken ans Steuer seiner Schätzchen lässt, verglimmt das Klischee vom übervorsichtigen Finanzadvokaten vollends. Sammlerherzen können nicht kalt sein.