Für Marcel Meyer, Leiter Sustainability Services bei Deloitte Schweiz, ist klar: «Eine detaillierte und vergleichbare Nachhaltigkeitsberichterstattung wird in zehn Jahren so verbreitet sein, wie es heute die Offenlegung finanzieller Aktivitäten ist.» 

In der Vergangenheit hätten vor allem grosse, multinationale Unternehmen ESG-Reports erstellt, weil diese sehr komplex und mit einem grossen Aufwand verbunden gewesen seien. Aufgrund neuer regulatorischer Anforderungen würden mittelfristig jedoch auch immer mehr KMU in die Pflicht genommen. 

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Fokus Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange

Seit Anfang Jahr ist in der Schweiz Artikel 964 OR in Kraft, der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Dementsprechend werden Unternehmen, die sich als «Gesellschaft des öffentlichen Interesses» qualifizieren und zusammen mit den von ihnen kontrollierten Tochtergesellschaften mindestens 500 Vollzeitstellen sowie mindestens 20 Millionen Franken Bilanzsumme oder 40 Millionen Franken Umsatz aufweisen, gesetzlich dazu verpflichtet, im Rahmen der nicht-finanziellen Berichterstattung Rechenschaft abzulegen.

Im Fokus stehen Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption. Nebst der nicht-finanziellen Berichterstattung sieht der indirekte Gegenvorschlag eine Sorgfaltsprüfungspflicht in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit vor. Noch bis am 2. Juli in der Vernehmlassung ist eine verbindliche Klimaberichterstattung, die auf den Vorgaben der Task Force on Climate Related Financial Disclosures (TCFD) basiert.

Gemäss Meyer ist abzusehen, dass Unternehmen wie Banken und Versicherungen auch von ihren KMU-Kunden Transparenz bezüglich Environment-, Social- und Governance-Belangen (ESG) erwarten. «Wer selbst rapportieren und Bericht erstatten muss, benötigt auch entsprechende Daten von Zulieferern und Partnern.»  Er ist überzeugt, dass deshalb auch mittelständische Unternehmen nicht um ein Nachhaltigkeits-Reporting herumkommen werden.

Aufbau nachhaltiger Geschäfte

Noch würden ESG-Themen eher selektiv betrachtet. Allerdings hätten Social- und Governance-Anliegen in der Schweizer Wirtschaft eine lange Tradition: «Viele mittelständische Unternehmen wie etwa genossenschaftlich organisierte Versicherungen oder Banken in Besitz der öffentlichen Hand sind regional stark verankert, gemeinnützig engagiert und fördern beispielsweise lokale Vereine», sagt Meyer.

Auch bezüglich verantwortungsvoller Unternehmensführung werde viel getan – schliesslich hätten hierzulande Patrons und Entrepreneurs über Generationen hinweg nachhaltige Geschäfte aufgebaut. «Was solche Bestrebungen betrifft, stehen die meisten KMU gut da: Es ist zwar nicht so, dass Social- und Governance-Aspekte in speziellen Berichten ausgewiesen werden, aber sie gehören seit Jahren zur DNA der Schweizer Firmen.»

Handlungsbedarf sieht Deloitte-Experte Marcel Meyer beim Umweltaspekt: Dieser habe hierzulande lange zu Unrecht einen negativ behafteten, alternativen Touch gehabt, weshalb sich viele Firmen nicht aus dem Fenster hätten lehnen wollen. In diesem Bereich müsse viel getan werden, um nationalen und internationalen Anforderungen gerecht zu werden. 

Neuer globaler Standard

Doch wie definiert und misst man Nachhaltigkeit? Laut Meyer besteht heute ein regelrechter Dschungel aus Standards, Labeln und Zertifikaten, die nicht miteinander vergleichbar sind. «In gewissen Sektoren gibt es unzählige Ratings, Koalitionen und Allianzen. Bei gewissen schneiden Unternehmen sehr gut ab, bei anderen weniger.» Was fehle, seien klar definierte, messbare Kriterien, die allgemein anerkannt würden.

Für dieses Problem zeichnet sich nun eine Lösung ab. Eine Schwesterorganisation der etablierten IFRS (International Financial Reporting Standards), unter dem die Finanzberichte global tätiger Unternehmen erstellt werden, ist dabei, einen internationalen Standard für die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit zu entwickeln. 

Anforderungen zur Klimaberichterstattung

Dieses International Sustainability Standards Board (ISSB) publizierte im März den ersten Entwurf eines allgemein verwendbaren ESG-Standards sowie einen Vorschlag mit zusätzlichen Anforderungen im Bereich der Klimaberichterstattung. Die Stellungnahmefrist endet am 29. Juli 2022. 

«Ich gehe davon aus, dass ISSB zumindest in Europa und Asien zum akzeptierten Reporting-Standard wird», sagt Meyer. Wichtig sei, dass dieser sowohl von globalen Konzernen als auch von kleinen und mittleren Unternehmen angewendet werden könne. 

Bis relevante Daten und Nachhaltigkeits-Reportings vergleichbar sein würden, brauche es jedoch noch eine gewisse Zeit. Dies sei auch so gewesen, als nach der Weltwirtschaftskrise 1929 erstmals Finanzberichterstattungs-Standards eingeführt wurden. «Ich denke, dass auch in zehn Jahren noch nicht alles perfekt sein wird – auch in der Finanzberichterstattung gibt es schliesslich immer wieder Themen, die verbesserungswürdig wären – doch man wird sicher mehr Vergleichbares haben als heute.»