Jörg Leeser hat einen eigenen Namen für seine Kunden. Es sind die «Lohas» – vornehmlich junge Menschen, die es in die Stadt zieht und die dort modern, aber auch gesund und nachhaltig leben möchten. Loha ist eine Wortneuschöpfung von Soziologen und steht für «Lifestyle of Health and Sustainability». Architekt Jörg Leeser glaubt, dass seine Lohas, anders als man es vermuten würde, relativ wenig Technik in ihren Wohnungen wünschen. Dafür aber viel Flexibilität.
Das junge Kölner Büro BeL des Professoren-Ehepaars Anne-Julchen Bernhardt und Jörg Leeser gilt zur Zeit als eines der innovativsten Architekturbüros im Bereich des Wohnungsbaus. Die Entwürfe sind besonders bei jungen Familien beliebt, die Richtung Stadtzentrum streben. Auch wenn seine Fassaden oft bunt und schräg daherkommen, setzt Leeser im Innenleben seiner Wohnungen ganz altmodisch auf Bewährtes – nach dem Motto «Vorwärts in die Vergangenheit».
Weniger Hightech
In einer dreiteiligen Serie setzt sich die «Welt am Sonntag» mit Grundrissen, technischer Ausstattung und Energieversorgung künftiger Wohnungen auseinander. In diesem ersten Teil wird deutlich: Innenraum und Ausstattung könnten in Zukunft viel konventioneller aussehen, als es Studien, Experimente und Science-Fiction-Filme häufig darstellen. Leesers Prognose für die nächsten zwanzig Jahre lautet: So wenig Hightech wie nötig, so viel direkte menschliche Kommunikation wie möglich. «Die voll automatisierte Hightech-Wohnung mit BUS-System wird sich nicht durchsetzen», glaubt der Architekt. «Sie ist schlicht zu teuer, um massenkompatibel zu sein, besonders vor dem Hintergrund weiterhin steigender Energie- und Immobilienpreise. Und energieeffizient sind diese Steuerungssysteme auch nicht. Es gibt schon diverse Studien, die besagen: Je aufwendiger die Steuerungstechnik, desto mehr Energie geht verloren.»
Futuristische Wohnungsentwürfe seien sowieso überholte Relikte aus der Vergangenheit, aus den technikbegeisterten 1960er-Jahren, als man noch nichts von Ressourcenknappheit und Klimawandel wusste und bedenkenlos Industrieprodukte auf der Basis von Erdöl fertigte. Eine Meinung, die auch Fritz Frenkler teilt. Der Designer und Professor für Industrial Design an der TU München ist sich sicher: «In 20 Jahren wird es in Wohnungen nicht mehr Hightech geben als heute.» Stattdessen dürften sich die Ansprüche der Bewohner an die Flexibilität ihrer Behausung vergrössern. Hintergrund dafür: der demografische Wandel. Ältere Bewohner wollen künftig nicht ins Altersheim umziehen, wenn sie gebrechlicher werden.
Feste Türen verschwinden
Die Idealwohnung der Zukunft, da sind sich Architekten, Inneneinrichter und Designer einig, muss in der Lage sein, für jeden Altersabschnitt nutzbar zu sein. Sie wird über flexible Grundrisse verfügen, so dass ihre Bewohner mit ihr wachsen und altern können. «Es wird künftig keine Spezialräume mehr wie heute geben – ein grosses Wohnzimmer, ein kleines Schlafzimmer, ein kleines Bad», sagt Architekt Leeser. Und auch Fritz Frenkler glaubt: «In der Innenarchitektur der Zukunft wird es nicht mehr das klassische Denken in einzelnen Räumen geben. Der Wohn- und Küchenbereich wird zusammenwachsen. Möbel aus der Küche werden sich auch im Wohnbereich finden und umgekehrt. Weil wir in den Grossstädten noch beengter als heute leben müssen, werden feste Türen verschwinden.
Die Räume werden durch Möbel unterteilt oder durch eingebaute Schiebetüren. Die Bäder werden sich zu den Schlafzimmern hin öffnen, Badewanne und Waschbecken werden Teil des Schlafzimmers. Das erleichtert auch alten Menschen den Zugang zum Bad und sorgt gleichzeitig aufgrund der höheren Luftfeuchtigkeit für ein besseres Raumklima im Schlafzimmer. Nur die Toilette wird als einziges Möbel durch eine Kabine vom Rest der Wohnung getrennt sein.» Doch in den meisten deutschen Neubauten im Wohnungsbereich sind offene Grundrisse, fliessende Wohnlandschaften und Universal-Design-gerechte Einbauten Zukunftsmusik. Dort, so Architekt Leeser, orientiere man sich immer noch an der klassischen deutschen Kleinfamilie mit einem Kind. Dabei würden bereits heute rund 40 Prozent aller innerstädtischen Wohnungen von Alleinstehenden bewohnt.
Japans Architekten legen vor
Während sich deutsche Architekten und Innenarchitekten noch mit starren Grundrissen und einer der restriktivsten Bauordnungen der Welt herumschlagen müssen, hat in Japan die Zukunft des Wohnens schon begonnen. Junge japanische Architekten wie der auch hierzulande gefeierte Sou Fujimoto entwerfen hybride Wohnungen, die wie Baumhäuser aus Glas und Stahl aussehen, wild übereinandergestapelte Boxen, in denen die Innen- und Aussenwelt, das Private und das Öffentliche, verschmelzen.
Architektur, sagt Fujimoto, diene sowieso nur als äusserer Rahmen für die Komplexität und den Reichtum der im steten Wandel begriffenen modernen Welt. Nicht der Innenarchitekt, sondern der Bewohner selbst müsse die ihm vom Architekten gegebene gestalterische Freiheit nutzen, um seine individuellen Wohnbedürfnisse zu befriedigen. Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels und der damit verbundenen Kostenexplosion im Gesundheitswesen werden die Menschen in 20 Jahren noch gesundheitsbewusster als heute sein, glaubt Michael Braungart. Dann, da ist sich der Umweltforscher und Cradle-to-Cradle-Erfinder sicher, wird es die heute noch allmächtige EnEV, die Energieeinsparverordnung, nicht mehr geben.
Angenehmes Raumklima
Der Gründer des Hamburger EPEA-Umwelt-Instituts und Cradle-to-Cradle-Erfinder, der unter anderem für Innenarchitekten umweltfreundliche Teppiche, Farben und Möbel entwickelt und zertifiziert, echauffiert sich: «Dieser gesetzlich verordnete Dämmwahn, der mit dem Wärmedämmverbundsystem gesundheitsschädlichen Sondermüll produziert, hat dafür gesorgt, dass heute 40 Prozent aller Häuser von Schimmel befallen sind.» Auch deshalb kämen, davon ist Braungart überzeugt, in der Wohnung der Zukunft nur noch gesunde, nachhaltig produzierte Materialien zum Einsatz. Beispielsweise Teppiche, die die Raumluft reinigen und nach Gebrauch komplett wieder in den Wertstoffkreislauf eingespeist werden können. Oder Möbel aus einer Kombination von kompostierbaren Stoffen und recycelbaren Wertstoffen. Gesundheitsgefährdende Fussbodenbeläge wie PVC und Laminate gehörten endgültig der Vergangenheit an, und auch Wandfarben werden komplett schadstofffrei sein.
Ein gestiegenes Umweltbewusstsein ihrer Kunden stellte Sophie Green heute schon fest. Die junge deutsch-amerikanische Innenarchitektin, die zwischen ihren Büros in München und Brüssel pendelt, glaubt: «Künftig wird es mehr Naturmaterialien in der Wohnung geben, man wird, um teure 'graue Energie' zu sparen, im Innenausbau grösstenteils regional produzierte Materialien und Stoffe verwenden.» So werde man vermehrt Ziegel im Norden und Holz im Süden Deutschlands verarbeiten. Als besonders nachhaltiger Bodenbelag wird Naturkautschuk eingesetzt werden, dessen Oberfläche geschlossener und damit auch langlebiger sei als das heute so beliebte, aber umwelt- und gesundheitsschädliche Laminat. Ein weiteres Wohnmaterial der Zukunft sei Lehm, glaubt Sophie Green. Lehmwände sorgten nicht nur für ein besonders angenehmes Raumklima, sie seien auch mit Farben auf Wasserbasis gut zu pigmentieren.
Bei den umweltbewussten Lohas der Zukunft hätten zudem Möbel-Discounter mit ihren Pressspanplatten mit Formaldehyd-Ausdünstungen keine Chance. Wie in der guten alten Zeit würden Möbel aus Massivholz eine Renaissance erleben – aus Kostengründen zur Not auch vom Flohmarkt. Die neue Bescheidenheit zieht ein in die Wohnung der Zukunft.
Der japanische Architekt Sou Fujimoto in seiner Serpentine Gallerie, 2013. (Bild: Keystone)
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.