Im Oktober 2020, als diese Zeilen entstehen, dominieren zwei Themen die Nachrichten: die Wahl des US-Präsidenten und die Corona-Pandemie. Gemeinsam ist beiden, dass Prognosen einen sehr zentralen Platz einnehmen. Im Fall der US-Wahl sind oft die Vorhersagen selbst die Nachricht, während wir in der Corona-Pandemie Woche für Woche erleben müssen, wie sehr die Prognosen danebenliegen können.
Dies illustriert die Bedeutung von Prognosen, und in diese Welt nimmt uns Nate Silver mit. Wir greifen dabei weder zu einem statistischen Lehrbuch, noch darf man eine Zauberformel für die Erstellung von Prognosen erwarten – auch wenn beides einem «Wundernerd» («The Atlantic») wohl zuzutrauen wäre. Vielmehr führt er in einer Reihe von Essays durch die Welt der Anwendung von Statistik, von Vorhersagen und Prognosen, wobei die Themen so unterschiedliche Bereiche wie Wetter, Erdbeben, Baseball, den Finanzsektor, Poker, Politik und Klima umfassen. Fast schon nebenbei wird gezeigt, «warum so viele Prognosen danebenliegen, einige aber nicht», wie der Untertitel des Buchs verspricht.
Zwei Punkte verdienen besondere Aufmerksamkeit. So legt uns Silver die probabilistische Denkweise des Mathematikers Thomas Bayes nahe: Die bewusste Verwendung unseres Vorwissens – des Priors – und die Neubewertung dieses Wissens angesichts zusätzlicher Informationen können uns zu wesentlich zutreffenderen Einschätzungen führen. So intuitiv plausibel dieses Vorgehen klingt, so wenig ist es im Denken der meisten Menschen verankert. Wie aktuell dies ist, zeigt Corona: Ein Bayes’scher Denkansatz hätte uns wohl früher auf die zweite Welle aufmerksam werden lassen.
Wahlprognose anders betrachtet
Der zweite Punkt betrifft das Modethema Big Data. Das immense Wachstum an verfügbaren Daten hat bereits zur Ausrufung des «Endes aller Theorie» geführt, etwa 2008 vom «Wired»-Chefredaktor Chris Anderson. Silver ist anderer Meinung: «The numbers have no way to speak for themselves.» Erst unsere Interpretation gibt den Zahlen Bedeutung. Sind wir uns dessen nicht bewusst, laufen wir Gefahr, den «Noise» für das «Signal» zu halten. Doch mehr Rauschen macht eben kein besseres Signal. Silver hat dies auch in seinen Prognosen zu den US-Wahlen gezeigt: Mit denselben Informationen wie alle Prognostiker, jedoch einer unterschiedlichen Betrachtung dieser Informationen konnte er wesentlich treffsicherere Prognosen erstellen.
«The Signal and the Noise» ist ein spannender, oft unterhaltsamer und – für ein normalerweise komplexes und mathematisch geprägtes Thema – leicht zugänglicher Lesestoff. Silver hilft uns, die Welt der Prognosen besser zu verstehen und so vielleicht «… [to] gain a little more insight into planning our futures», wie er in der Einleitung schreibt.