Ein wenig erinnert die Wirkung von Angela Merkels Auftritt im Truderinger Bierzelt an die Rede ihres Vorgängers Gerhard Schröder auf dem Marktplatz in Goslar im Januar 2003: Damals erteilte der SPD-Kanzler US-Präsident George Bush eine Absage für eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg. Am Sonntag sandte Merkel US-Präsident Donald Trump die Botschaft, sie habe in den vergangenen Tagen gelernt, dass man sich «ein Stück weit» nicht mehr auf Partner verlassen könne.
Auch wenn sie Trump namentlich nicht erwähnte: Die Äusserung schlug in den USA ein wie eine Bombe. Die «New York Times» oder die «Washington Post» werteten die Merkels Bemerkung als transatlantischen Bruch - den Trump zu verantworten habe, der mit seinen europäischen Partner gerade einige Tage auf dem Nato- und dem G7-Gipfel verbracht hatte.
Europäer sollen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen
Merkel hatte bereits am Ende des G7-Gipfels am Samstag ungewöhnlich offen kritisiert, dass die USA sich nicht zum Pariser Klimaschutzabkommen bekennen wollten. Und sie wiederholte dies in aller Deutlichkeit am Montag. Deutsche Medien sprachen nach Taormina von einem Treffen der «G6» und der USA, als ob die Einheit des Westens zerbrochen sei.
Dies wies Merkel am Montag ausdrücklich zurück und betonte die transatlantische Übereinstimmung bei Werten und Interessen. Ohnehin hatte sie nicht zum ersten Mal gesagt, dass die Europäer ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen sollten. Schon im Zusammenhang mit dem Zwei-Prozent-Ausgaben-Ziel der Nato für Verteidigung hatte sie früh gemahnt, dass sich die Europäer nicht mehr automatisch darauf verlassen könnten, dass die USA sie in Zukunft immer verteidigten. Dennoch verdeutlichen ihre Worte eine Entwicklung im Verhältnis zwischen Merkel und Trump.
Merkel hielt sich zunächst sehr zurück
Im US-Präsidentschaftswahlkampf und bis zur Amtseinführung Trumps hielt Merkel sich mit Urteilen über Trump sehr zurück. Man müsse abwarten, was von den Wahlkampfankündigungen übrig bleibe, war ihre Devise. Aber bereits in ihren Statements zur Wahl Trumps am 9. November 2016 hatte Merkel als überzeugte Transatlantikerin ungewöhnlich kritisch geklungen: Ausdrücklich knüpfte sie die künftige Zusammenarbeit an die Bedingung, dass dies nur auf der Basis gemeinsamer Werte geschehen könnte.
Und erstmals erinnerte damals ein deutscher Nachkriegs-Regierungschef einen künftigen Chef der westlichen Supermacht daran, was diese sind: «Demokratie, Freiheit, dem Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung», zählte Merkel auf. Zudem mahnte sie, dass der Präsident der Supermacht immer eine Verantwortung nicht nur für sein Land, sondern für die Welt habe. Am Montag schickte sie die dazu passende Warnung hinterher, dass ins Abseits laufe, wer «nationale Scheuklappen» aufsetze.
Positionsveränderungen bei Trump
Dabei sieht man in Einzelfragen im Kanzleramt aus deutscher Sicht durchaus eine positive Entwicklung bei Trump: Am 7. Februar äusserte sich Merkel zufrieden mit dessen Klarstellung, dass die Nato doch nicht obsolet sei. Seither sammelt man Positionsveränderungen Trumps, bis hin zum Bekenntnis zum Freihandel auf dem G7-Gipfel. Wenn nötig, wurde Merkel aber erneut grundsätzlich, weil Trump unilateral argumentierte: «Heute müssen wir zudem erkennen, ... dass sich vieles auf der Welt verändert, auch zum Beispiel der Charakter der transatlantischen Beziehungen», sagte sie im März im Bundestag.
Die Grundunsicherheit blieb also. «Noch nie gab es vier Monate nach Amtsantritt eines US-Präsidenten so viel Unklarheit über dessen Kurs und noch nie so viele Widersprüche in den Aussagen des Präsidenten», sagte der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), am Montag zu Reuters.
Drei Gründe für die neue Klarheit Merkels
Dafür, dass die sonst so zurückhaltende Kanzlerin diesmal so deutlich wird, gibt es nach Angaben aus Regierungs- und Unionskreisen drei Gründe: Zum einen sollen die deutlichen Worte Trump deutlich machen, was auf dem Spiel steht. Denn als Hauptkonflikt bleibt aus Merkels Sicht das fehlende Bekenntnis Trumps zum Pariser Klimaschutzabkommen - das aus ihrer Sicht nicht «irgendein» Abkommen ist, sondern eine der Grundlagen für die Bewältigung der Globalisierung. Trump will in dieser Woche entscheiden. Von seinem Urteil dürfte abhängen, ob den USA eine Konfrontation mit fast allen internationalen Partnern droht.
Zweitens geht es um die EU. Wenn Merkel fordert, dass die EU-27 ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen solle, reagiert sie damit nicht nur auf Trump, sondern auch auf den Brexit. «Nun muss man das Momentum nutzen, um eine stärkere EU-Aussenpolitik zu erreichen», stösst etwa der außenpolitische Sprecher der SPD, Niels Annen, gegenüber Reuters ins gleiche Horn. Je unsicherer die Anglo-Amerikaner als Alliierte gelten, desto enger sollten die Kontinental-Europäer zusammenrücken. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte bereits eine EU-Verteidigungsunion.
Damit ist die dritte Ebene der Diskussion erreicht: Merkels Deutlichkeit hat auch eine Funktion im Bundestagswahlkampf. Die SPD hat Trumps Forderung nach höheren Militärausgaben als Wahlkampfthema entdeckt, weil sich die Kanzlerin zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato bekennt. Die Union wolle Waffen statt Sozialausgaben, lautet die Angriffslinie der Sozialdemokraten, die sich als die eigentlichen Europäer präsentieren wollen. Generalsekretärin Katharina Barley warf der CDU-Chefin deshalb vor, sie knicke vor Trump ein. In der Union dagegen glaubt man, dass sich die CDU-Chefin ausreichend gegen Angriffe immunisiert hat. Erst wurde sie von Ex-US-Präsident Barack Obama auf dem Kirchentag gelobt. Danach fand sie deutliche Worte zu Trump.
(reuters/ccr)
Das sind die Uhren von Merkel, Trump und Co.: